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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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statt der gewöhnlichen Sollstärke von 100,000 Mann, nur 90,000 eingezogen
worden. Von den Stellvertretern, deren Zahl man zu circa 60,000 annahm,
war ein großer Theil schon in so hohen Jahren oder so mitgenommen, daß
er nicht mehr feldtüchtig war. Da man nun dadurch, wie bei den vielfachen
persönlichen Berücksichtigungen einen Abgang von circa 10 Proc. annehmen
konnte, so stellte sich die Gesammtzahl der activen Armee im Frieden auf
nur etwa 350,000 Mann heraus und da man weiter keine feldtüchtigen
Truppen zur Verfügung hatte, so war dies eigentlich auch die Kriegsstärke.

Der taktische Mechanismus und die darauf bezüglichen Reglements und
Verordnungen bekundeten noch vieles Alte und Verzopfte. Diejenigen für die
Infanterie und Cavalerie fundiren noch in der Zeit des Großen Friedrich.
Im siebenjährigen Kriege, durch diesen etwas belehrt, bequemte man sich, die
preußischen Institutionen als Vorbild zu nehmen, und der damalige Kriegs¬
minister, General N. Germain, führte daraus Vieles in die französische Ar¬
mee ein. Später entstand daraus das neue französische Reglement, das kurz
vor der großen Revolution eingeführt wurde. Dazu kamen noch die Erfah¬
rungen, welche die Franzosen im nordamerikanischen Befreiungskriege gemacht
hatten. Selbst Napoleon I. änderte im Ganzen wenig daran, indem er
nur eingehendere Bestimmungen über das Tirailliren und die Colonnenforma-
tionen hinzugab. Erst lange nach den Napoleon'schen Kriegen, im I. 1832,
fügte Marschall Soult noch einige Abänderungen bei und so blieb es im
Wesentlichen bis in die Neuzeit herein. Als der preußische General von Öl-
berg vom großen Generalstabe vor dem Ausbruche des italienischen Krieges
(1859) im Geheimen nach Frankreich entsendet wurde, um die dortigen Ar¬
meezustände zu studiren und darüber zu berichten, sagt er in der später
darüber veröffentlichten trefflichen Schrift: "Das Reglement der Infanterie
ist etwas veraltet und gleicht einem Kochbuche voll detaillirter Recepte für
jede einzelne Evolution. Es entbehrt des Prinzips der Beweglichkeit und
paßt daher um so weniger für die Beweglichkeit der Franzosen"*).

Größere felddienstliche Uebungen mit gemischten Waffengattungen waren
von jeher in Frankreich nicht beliebt, und kam es dann und wann dazu, so
waren es mehr größere Exercitien wie auf dem Dressurplatze, wobei man auch
mehr die Form als den Geist im Auge hatte.

Auch die ganze taktische Gliederung hatte etwas Schwerfälliges und
Complicirtes. So bestand z. B. der Stab eines Infanterieregiments aus:
1 Oberst, 1 Oberstlieutenant, 3 Bataillonschefö, 1 Major, 3 CApitg,w8 ach'u-
Wut majors, 1 Oapiwm ivstrneteur as dir (Schießinstructor), I Lapiwin trv-
sorier (Zahlmeister), 1 OaMain ä'I^billemönt (für Ausrüstung und Bettel-



') "Die französische Armee auf dem Exercirplahe und im Felde. Von einem alten Offizier."
Berlin 18V1.

statt der gewöhnlichen Sollstärke von 100,000 Mann, nur 90,000 eingezogen
worden. Von den Stellvertretern, deren Zahl man zu circa 60,000 annahm,
war ein großer Theil schon in so hohen Jahren oder so mitgenommen, daß
er nicht mehr feldtüchtig war. Da man nun dadurch, wie bei den vielfachen
persönlichen Berücksichtigungen einen Abgang von circa 10 Proc. annehmen
konnte, so stellte sich die Gesammtzahl der activen Armee im Frieden auf
nur etwa 350,000 Mann heraus und da man weiter keine feldtüchtigen
Truppen zur Verfügung hatte, so war dies eigentlich auch die Kriegsstärke.

Der taktische Mechanismus und die darauf bezüglichen Reglements und
Verordnungen bekundeten noch vieles Alte und Verzopfte. Diejenigen für die
Infanterie und Cavalerie fundiren noch in der Zeit des Großen Friedrich.
Im siebenjährigen Kriege, durch diesen etwas belehrt, bequemte man sich, die
preußischen Institutionen als Vorbild zu nehmen, und der damalige Kriegs¬
minister, General N. Germain, führte daraus Vieles in die französische Ar¬
mee ein. Später entstand daraus das neue französische Reglement, das kurz
vor der großen Revolution eingeführt wurde. Dazu kamen noch die Erfah¬
rungen, welche die Franzosen im nordamerikanischen Befreiungskriege gemacht
hatten. Selbst Napoleon I. änderte im Ganzen wenig daran, indem er
nur eingehendere Bestimmungen über das Tirailliren und die Colonnenforma-
tionen hinzugab. Erst lange nach den Napoleon'schen Kriegen, im I. 1832,
fügte Marschall Soult noch einige Abänderungen bei und so blieb es im
Wesentlichen bis in die Neuzeit herein. Als der preußische General von Öl-
berg vom großen Generalstabe vor dem Ausbruche des italienischen Krieges
(1859) im Geheimen nach Frankreich entsendet wurde, um die dortigen Ar¬
meezustände zu studiren und darüber zu berichten, sagt er in der später
darüber veröffentlichten trefflichen Schrift: „Das Reglement der Infanterie
ist etwas veraltet und gleicht einem Kochbuche voll detaillirter Recepte für
jede einzelne Evolution. Es entbehrt des Prinzips der Beweglichkeit und
paßt daher um so weniger für die Beweglichkeit der Franzosen"*).

Größere felddienstliche Uebungen mit gemischten Waffengattungen waren
von jeher in Frankreich nicht beliebt, und kam es dann und wann dazu, so
waren es mehr größere Exercitien wie auf dem Dressurplatze, wobei man auch
mehr die Form als den Geist im Auge hatte.

Auch die ganze taktische Gliederung hatte etwas Schwerfälliges und
Complicirtes. So bestand z. B. der Stab eines Infanterieregiments aus:
1 Oberst, 1 Oberstlieutenant, 3 Bataillonschefö, 1 Major, 3 CApitg,w8 ach'u-
Wut majors, 1 Oapiwm ivstrneteur as dir (Schießinstructor), I Lapiwin trv-
sorier (Zahlmeister), 1 OaMain ä'I^billemönt (für Ausrüstung und Bettel-



') „Die französische Armee auf dem Exercirplahe und im Felde. Von einem alten Offizier."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/149>, abgerufen am 28.09.2024.