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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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auch ein Theil der Offiziere, fast die Hälfte hervor, was ein weiterer Uebel¬
stand, namentlich im Frieden, blieb, denn bei dem Mangel an Sachkenntnissen
den Offizieren gegenüber, die in der Kriegsschule gebildet worden, brachten es
nur Einzelne über den Capitain hinaus. Beide Klassen blieben fast stets
isolirt. Dazu kam noch, daß auch unter den durch die Kriegsschule gebildeten
Offizieren nur Wenige über das Niveau des gewöhnlichen Dienstes sich er-
e rhoben, d. h. sich durch Selbststudium fortbildeten. Die sich so reich und
leicht bietenden sinnlichen Genüsse, namentlich in den größeren Garnisons¬
plätzen, sagten ihnen mehr zu. Geist und Körper freilich litten schmählich
darunter. Das erkannte auch Marschall Niet und er suchte diesem nach
Möglichkeit abzuhelfen. Er traf die Einrichtung, daß die Stämme der
Offiziere, in den verschiedenen Truppentheilen, zu gewisser Zeit zu wissen¬
schaftlichen Vorträgen und Unterhaltungen sich zusammenfinden sollten, die
man kurzweg die "Conferences" nannte. Aber in der Armee fand das keinen
Anklang, man spottete vielmehr darüber und die Generäle selbst zeigten dazu
nicht die geringste Neigung.

Die Neuorganisation datirt vom Jahre 1868. Bis dahin konnte man
nur über eine active Armee verfügen, die sowohl zu den Operationen im
Felde, wie auch zur Sicherung des Landes und der Colonien, zur Besetzung
der größeren Städte und fester Plätze verwendet wurde, und die Cadres zur
Ausbildung der Ersatzmannschaften hergeben mußten. Dabei war die ge¬
wöhnliche Activstärke im Verhältniß der Größe Frankreichs zu anderen Staaten
keine besonders hohe. Um diesem Mangel abzuhelfen, ging man in dem ge¬
nannten Jahre an die Bildung einer Landwehr, die man in der mobilen
Nationalgarde schuf, und welcher zunächst die Bestimmung wurde: die
ins Feld ausgerückte Armee im Innern des Landes zu ersetzen, somit als
Besatzung der Garnisonen und der Festungen zu dienen. So zerfiel denn
die Landmacht Frankreichs in zwei Theile: die Linie mit der Reserve
und die^Mobilg art e.

Der Ausbildung der Reserve und der Mobilgarde wurde eine nur ge¬
ringe Aufmerksamkeit geschenkt, während die entsprechenden Truppenkörper
in Deutschland die geschultesten Truppen waren, da sie erst nach der vollen
Dienstzeit in der Linie, in diese Klassen eintraten. Die französische Reserve
der Linie war zum Theil noch ganz roh, zum Theil bestand sie aus nur
halbausgebildeten Recruten, und die Mobilgarde war nichts Anderes, als
unsere in den Jahren 1848 und 49 errichteten Bürgerwehren, die, namentlich
in den größeren Städten, jener Mobilgarde in Vielem noch vorzuziehen
waren.

Die Friedensstärke des französischen Heeres erreichte in den letzten beiden
Jahren nicht einmal die Höhe von 400,000 Mann und für das letztere waren


auch ein Theil der Offiziere, fast die Hälfte hervor, was ein weiterer Uebel¬
stand, namentlich im Frieden, blieb, denn bei dem Mangel an Sachkenntnissen
den Offizieren gegenüber, die in der Kriegsschule gebildet worden, brachten es
nur Einzelne über den Capitain hinaus. Beide Klassen blieben fast stets
isolirt. Dazu kam noch, daß auch unter den durch die Kriegsschule gebildeten
Offizieren nur Wenige über das Niveau des gewöhnlichen Dienstes sich er-
e rhoben, d. h. sich durch Selbststudium fortbildeten. Die sich so reich und
leicht bietenden sinnlichen Genüsse, namentlich in den größeren Garnisons¬
plätzen, sagten ihnen mehr zu. Geist und Körper freilich litten schmählich
darunter. Das erkannte auch Marschall Niet und er suchte diesem nach
Möglichkeit abzuhelfen. Er traf die Einrichtung, daß die Stämme der
Offiziere, in den verschiedenen Truppentheilen, zu gewisser Zeit zu wissen¬
schaftlichen Vorträgen und Unterhaltungen sich zusammenfinden sollten, die
man kurzweg die „Conferences" nannte. Aber in der Armee fand das keinen
Anklang, man spottete vielmehr darüber und die Generäle selbst zeigten dazu
nicht die geringste Neigung.

Die Neuorganisation datirt vom Jahre 1868. Bis dahin konnte man
nur über eine active Armee verfügen, die sowohl zu den Operationen im
Felde, wie auch zur Sicherung des Landes und der Colonien, zur Besetzung
der größeren Städte und fester Plätze verwendet wurde, und die Cadres zur
Ausbildung der Ersatzmannschaften hergeben mußten. Dabei war die ge¬
wöhnliche Activstärke im Verhältniß der Größe Frankreichs zu anderen Staaten
keine besonders hohe. Um diesem Mangel abzuhelfen, ging man in dem ge¬
nannten Jahre an die Bildung einer Landwehr, die man in der mobilen
Nationalgarde schuf, und welcher zunächst die Bestimmung wurde: die
ins Feld ausgerückte Armee im Innern des Landes zu ersetzen, somit als
Besatzung der Garnisonen und der Festungen zu dienen. So zerfiel denn
die Landmacht Frankreichs in zwei Theile: die Linie mit der Reserve
und die^Mobilg art e.

Der Ausbildung der Reserve und der Mobilgarde wurde eine nur ge¬
ringe Aufmerksamkeit geschenkt, während die entsprechenden Truppenkörper
in Deutschland die geschultesten Truppen waren, da sie erst nach der vollen
Dienstzeit in der Linie, in diese Klassen eintraten. Die französische Reserve
der Linie war zum Theil noch ganz roh, zum Theil bestand sie aus nur
halbausgebildeten Recruten, und die Mobilgarde war nichts Anderes, als
unsere in den Jahren 1848 und 49 errichteten Bürgerwehren, die, namentlich
in den größeren Städten, jener Mobilgarde in Vielem noch vorzuziehen
waren.

Die Friedensstärke des französischen Heeres erreichte in den letzten beiden
Jahren nicht einmal die Höhe von 400,000 Mann und für das letztere waren


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[0148] auch ein Theil der Offiziere, fast die Hälfte hervor, was ein weiterer Uebel¬ stand, namentlich im Frieden, blieb, denn bei dem Mangel an Sachkenntnissen den Offizieren gegenüber, die in der Kriegsschule gebildet worden, brachten es nur Einzelne über den Capitain hinaus. Beide Klassen blieben fast stets isolirt. Dazu kam noch, daß auch unter den durch die Kriegsschule gebildeten Offizieren nur Wenige über das Niveau des gewöhnlichen Dienstes sich er- e rhoben, d. h. sich durch Selbststudium fortbildeten. Die sich so reich und leicht bietenden sinnlichen Genüsse, namentlich in den größeren Garnisons¬ plätzen, sagten ihnen mehr zu. Geist und Körper freilich litten schmählich darunter. Das erkannte auch Marschall Niet und er suchte diesem nach Möglichkeit abzuhelfen. Er traf die Einrichtung, daß die Stämme der Offiziere, in den verschiedenen Truppentheilen, zu gewisser Zeit zu wissen¬ schaftlichen Vorträgen und Unterhaltungen sich zusammenfinden sollten, die man kurzweg die „Conferences" nannte. Aber in der Armee fand das keinen Anklang, man spottete vielmehr darüber und die Generäle selbst zeigten dazu nicht die geringste Neigung. Die Neuorganisation datirt vom Jahre 1868. Bis dahin konnte man nur über eine active Armee verfügen, die sowohl zu den Operationen im Felde, wie auch zur Sicherung des Landes und der Colonien, zur Besetzung der größeren Städte und fester Plätze verwendet wurde, und die Cadres zur Ausbildung der Ersatzmannschaften hergeben mußten. Dabei war die ge¬ wöhnliche Activstärke im Verhältniß der Größe Frankreichs zu anderen Staaten keine besonders hohe. Um diesem Mangel abzuhelfen, ging man in dem ge¬ nannten Jahre an die Bildung einer Landwehr, die man in der mobilen Nationalgarde schuf, und welcher zunächst die Bestimmung wurde: die ins Feld ausgerückte Armee im Innern des Landes zu ersetzen, somit als Besatzung der Garnisonen und der Festungen zu dienen. So zerfiel denn die Landmacht Frankreichs in zwei Theile: die Linie mit der Reserve und die^Mobilg art e. Der Ausbildung der Reserve und der Mobilgarde wurde eine nur ge¬ ringe Aufmerksamkeit geschenkt, während die entsprechenden Truppenkörper in Deutschland die geschultesten Truppen waren, da sie erst nach der vollen Dienstzeit in der Linie, in diese Klassen eintraten. Die französische Reserve der Linie war zum Theil noch ganz roh, zum Theil bestand sie aus nur halbausgebildeten Recruten, und die Mobilgarde war nichts Anderes, als unsere in den Jahren 1848 und 49 errichteten Bürgerwehren, die, namentlich in den größeren Städten, jener Mobilgarde in Vielem noch vorzuziehen waren. Die Friedensstärke des französischen Heeres erreichte in den letzten beiden Jahren nicht einmal die Höhe von 400,000 Mann und für das letztere waren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/148>, abgerufen am 23.07.2024.