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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Reichs gemahnte, da die Pfalzen des Rheines wiederhallten von dem Jubel
der Tausende, welche die Kaiserkrönung festlich begingen, oder stromabwärts
fuhren gen Aachen zur Krönung. Keine Freudenschüsse, keine weißgekleideten
Jungfrauen, kein Fahnenwald bezeichnete die Stunden, da Deutschland sich
einigte in einer neuen Verfassung und seinem Feldherrn die neugeschmiedete
Kaiserkrone anbot. Und doch haben wir Alle den Ernst und die Bedeutung
des Glücks und die Größe jener Stunden überall in Deutschland voll em¬
pfunden. Aber es ist gut und vernünftig, daß das neue Reich und der neue
Kaisertitel ohne Sang und Klang errichtet werden. Die Ruhe des Volkes
entspricht der nüchternen Größe des Augenblicks und dem kaltblütigen
eisernen Heldengeschlecht, das wir auf den deutschen Kaiserthron erheben.
Das Haus der Hohenzollern hat Jahrhunderte hindurch rastlos gearbeitet bis
zu dieser Stunde, nicht für sich, sondern für den Staat, den wir jetzt grün¬
den. Das neue Reich wird wenig von dem glänzenden Prunk und dem hei¬
tern Leben der Hohenstaufenzeit erfahren -- aber es wird auch nicht hin¬
gehen wie der Traum einer kurzen Sommernacht. Das neue Kaisergeschlecht
wird wenig mitbringen von der anbiedernden Kunst östreichischer Erzherzöge,
aber es wird auch, wie bisher, die Pflichten und die Arbeit für den deutschen
Staat höher stellen, als alle Vortheile des eigenen Hauses. Darum geziemt
auch uns Bürgern des neuen Reichs, den Eintritt in die deutsche Staats¬
gemeinschaft zu vollziehen mit dem nüchternen Vorsatz des harten Werktags:
ihm unsre beste Arbeit und Kraft zu widmen.

Nach einer dreißigjährigen Wirksamkeit sehen diese Blätter ihr politisches
Ideal in dem neuen deutschen Staat erfüllt. Sie sind nicht mehr die "Grenz¬
boten" von ehedem -- welche von der Grenzmark Belgiens aus die Mah¬
nungen und Hoffnungen an bessere Tage hineinriefen in das bundestägliche
Deutschland. Auch nicht mehr die "Grenzboten" der letztvergangenen Jahr¬
zehnte, die dem deutschen Volke kündeten von dem gelobten Lande, das es
einst noch schauen solle. Sie stehen jetzt mitten in der neubegrenzten
Staatsgemeinschaft der Deutschen. Und dennoch mag der alte Name dieser
Blätter auch für die Zukunft seine tiefere Bedeutung behalten. Sie wollen
im Interesse der Bildung einer großen deutschen Mittelpartei, welche die
Politik des Reichskanzlers stützen soll nach außen, und die freie Entwickelung
der Reichsverfassung fördern im Innern, die Grenze stecken nach Rechts und
nach Links, die Grenze, die von den heutigen mittleren Parteien unserer Parla¬
mente so häufig überschritten ward nach dem vorherrschenden Interesse der
Stunde. Sie sind in diesem Streben der Unterstützung und des Beifalls aller
H. B. vorwärts strebenden deutschen Patrioten gewiß.




Reichs gemahnte, da die Pfalzen des Rheines wiederhallten von dem Jubel
der Tausende, welche die Kaiserkrönung festlich begingen, oder stromabwärts
fuhren gen Aachen zur Krönung. Keine Freudenschüsse, keine weißgekleideten
Jungfrauen, kein Fahnenwald bezeichnete die Stunden, da Deutschland sich
einigte in einer neuen Verfassung und seinem Feldherrn die neugeschmiedete
Kaiserkrone anbot. Und doch haben wir Alle den Ernst und die Bedeutung
des Glücks und die Größe jener Stunden überall in Deutschland voll em¬
pfunden. Aber es ist gut und vernünftig, daß das neue Reich und der neue
Kaisertitel ohne Sang und Klang errichtet werden. Die Ruhe des Volkes
entspricht der nüchternen Größe des Augenblicks und dem kaltblütigen
eisernen Heldengeschlecht, das wir auf den deutschen Kaiserthron erheben.
Das Haus der Hohenzollern hat Jahrhunderte hindurch rastlos gearbeitet bis
zu dieser Stunde, nicht für sich, sondern für den Staat, den wir jetzt grün¬
den. Das neue Reich wird wenig von dem glänzenden Prunk und dem hei¬
tern Leben der Hohenstaufenzeit erfahren — aber es wird auch nicht hin¬
gehen wie der Traum einer kurzen Sommernacht. Das neue Kaisergeschlecht
wird wenig mitbringen von der anbiedernden Kunst östreichischer Erzherzöge,
aber es wird auch, wie bisher, die Pflichten und die Arbeit für den deutschen
Staat höher stellen, als alle Vortheile des eigenen Hauses. Darum geziemt
auch uns Bürgern des neuen Reichs, den Eintritt in die deutsche Staats¬
gemeinschaft zu vollziehen mit dem nüchternen Vorsatz des harten Werktags:
ihm unsre beste Arbeit und Kraft zu widmen.

Nach einer dreißigjährigen Wirksamkeit sehen diese Blätter ihr politisches
Ideal in dem neuen deutschen Staat erfüllt. Sie sind nicht mehr die „Grenz¬
boten" von ehedem — welche von der Grenzmark Belgiens aus die Mah¬
nungen und Hoffnungen an bessere Tage hineinriefen in das bundestägliche
Deutschland. Auch nicht mehr die „Grenzboten" der letztvergangenen Jahr¬
zehnte, die dem deutschen Volke kündeten von dem gelobten Lande, das es
einst noch schauen solle. Sie stehen jetzt mitten in der neubegrenzten
Staatsgemeinschaft der Deutschen. Und dennoch mag der alte Name dieser
Blätter auch für die Zukunft seine tiefere Bedeutung behalten. Sie wollen
im Interesse der Bildung einer großen deutschen Mittelpartei, welche die
Politik des Reichskanzlers stützen soll nach außen, und die freie Entwickelung
der Reichsverfassung fördern im Innern, die Grenze stecken nach Rechts und
nach Links, die Grenze, die von den heutigen mittleren Parteien unserer Parla¬
mente so häufig überschritten ward nach dem vorherrschenden Interesse der
Stunde. Sie sind in diesem Streben der Unterstützung und des Beifalls aller
H. B. vorwärts strebenden deutschen Patrioten gewiß.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/14>, abgerufen am 26.06.2024.