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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Mriser Indiscretionen.
Aus dem Nachlaß eines verstorbenen Publicisten.
I.

Die Kunst, die sogenannte "öffentliche Meinung" zu fabriciren,
zu lenken und zu beeinflussen, stand von Anfang an, bei einem Regiments,
wie dem kaiserlich französischen, das zu keiner Zeit der dramatischen Effecte
und der theatralischen Jnscenesetzung zu entbehren vermochte, in höchstem Ansehen.
Dem Inlands, wie dem Auslande durch diese künstliche "oMions Mdligue"
Sand in die Augen zu streuen, galt daher für einen der wichtigsten Regie¬
rungszwecke.

Hierfür ward natürlich die Presse als der vorzüglichste Hebel benutzt und
zwar mit solchem Geschick, daß nur die solidesten Gewissen -- und deren Zahl
war nicht Legion -- der Verderbniß sich fern zu halten wußten, welche seit
dem Staatsstreich innerhalb der Zeus der Presse krebsartig um sich gefressen.

Die Tage, in denen der nachmalige liberale Deputirte, Latour de Mou-
lin, gewissermaßen als Menschenfresser die Preßdirection im Ministerium des
Innern leitete, sind schon mehrfach geschildert worden -- aber es bleibt auch
hier ein Zeichen der Zeit, daß dieser rothe Imperialist erst liberal wurde,
nachdem er mit Morny ein Geschäft abgeschlossen, dessen reich dotirte, altlich
gewordene Maitresse geheirathet und gleichzeitig aus dem Staatsdienste aus¬
geschieden war. Einmal reich geworden, - vergab man ihm in Paris schnell
die Art und Weise, wie er zu Geld und Unabhängigkeit gekommen und
seine leckeren Diners hatten Macht genug, ihm unter der Partei der "ehrlichen
Leute", wie sie sich nannten, dem linken Centrum des gesetzgebenden Körpers,
eine kleine Phalanx heranzuziehen, welche immer bereit war, den im Grunde
unbedeutenden, aber höchst ehrgeizigen Expreßleiter für ein fein bereitetes Lin¬
sengericht nebst obligatem ClMeau Dquem ein Ministerportefeuille einzu¬
handeln.

Die Mysterien der Pariser Preßleitung dürften schwerlich jemals voll¬
ständig ans Licht kommen. Fern sei auch von mir die Absicht, eine prag¬
matische Uebersicht über ihre Führung und deren Verzweigungen zu geben. Es
genügen für meinen Zweck gewisse Schattenrisse und Einzelheiten, welche dem
Leser, der zu lesen versteht, den Schlüssel zu manchen Vorgängen bieten, deren
hieroglyphische Existenz anders nicht leicht zu verstehen sein mag.

Die Preßgesetzgebung der ersten Periode des zweiten Empire ist genug¬
sam bekannt; aber auch später, als anscheinend die Zügel der Presse am


Mriser Indiscretionen.
Aus dem Nachlaß eines verstorbenen Publicisten.
I.

Die Kunst, die sogenannte „öffentliche Meinung" zu fabriciren,
zu lenken und zu beeinflussen, stand von Anfang an, bei einem Regiments,
wie dem kaiserlich französischen, das zu keiner Zeit der dramatischen Effecte
und der theatralischen Jnscenesetzung zu entbehren vermochte, in höchstem Ansehen.
Dem Inlands, wie dem Auslande durch diese künstliche „oMions Mdligue"
Sand in die Augen zu streuen, galt daher für einen der wichtigsten Regie¬
rungszwecke.

Hierfür ward natürlich die Presse als der vorzüglichste Hebel benutzt und
zwar mit solchem Geschick, daß nur die solidesten Gewissen — und deren Zahl
war nicht Legion — der Verderbniß sich fern zu halten wußten, welche seit
dem Staatsstreich innerhalb der Zeus der Presse krebsartig um sich gefressen.

Die Tage, in denen der nachmalige liberale Deputirte, Latour de Mou-
lin, gewissermaßen als Menschenfresser die Preßdirection im Ministerium des
Innern leitete, sind schon mehrfach geschildert worden — aber es bleibt auch
hier ein Zeichen der Zeit, daß dieser rothe Imperialist erst liberal wurde,
nachdem er mit Morny ein Geschäft abgeschlossen, dessen reich dotirte, altlich
gewordene Maitresse geheirathet und gleichzeitig aus dem Staatsdienste aus¬
geschieden war. Einmal reich geworden, - vergab man ihm in Paris schnell
die Art und Weise, wie er zu Geld und Unabhängigkeit gekommen und
seine leckeren Diners hatten Macht genug, ihm unter der Partei der „ehrlichen
Leute", wie sie sich nannten, dem linken Centrum des gesetzgebenden Körpers,
eine kleine Phalanx heranzuziehen, welche immer bereit war, den im Grunde
unbedeutenden, aber höchst ehrgeizigen Expreßleiter für ein fein bereitetes Lin¬
sengericht nebst obligatem ClMeau Dquem ein Ministerportefeuille einzu¬
handeln.

Die Mysterien der Pariser Preßleitung dürften schwerlich jemals voll¬
ständig ans Licht kommen. Fern sei auch von mir die Absicht, eine prag¬
matische Uebersicht über ihre Führung und deren Verzweigungen zu geben. Es
genügen für meinen Zweck gewisse Schattenrisse und Einzelheiten, welche dem
Leser, der zu lesen versteht, den Schlüssel zu manchen Vorgängen bieten, deren
hieroglyphische Existenz anders nicht leicht zu verstehen sein mag.

Die Preßgesetzgebung der ersten Periode des zweiten Empire ist genug¬
sam bekannt; aber auch später, als anscheinend die Zügel der Presse am


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/15>, abgerufen am 26.06.2024.