Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.lich zu denken war, Herr Pietri, Senator und früherer Polizeiminister. Mit Gvenzboten I. I87l. 17
lich zu denken war, Herr Pietri, Senator und früherer Polizeiminister. Mit Gvenzboten I. I87l. 17
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0137" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125381"/> <p xml:id="ID_496" prev="#ID_495" next="#ID_497"> lich zu denken war, Herr Pietri, Senator und früherer Polizeiminister. Mit<lb/> ihm liefen die zwei französischen Corvetten „Le Descartes" und „La Mayenne"<lb/> in der Rhede ein. Die Zahl der Beamten, Agenten und sonst nützlichen<lb/> Franzosen, die Herr Pietri mit sich führte oder anzog, zählten nach Hun¬<lb/> derten. Auch die schnurrigen Broschüren, mit denen sich der Bonapartismus<lb/> in Frankreich in jeder ernsten Lage an den Köhlerglauben der biedern Land¬<lb/> leute zu wenden gewohnt war, fehlten hier nicht. Ein „Gespräch" zwischen<lb/> ,,^<zg,n et pöre -laeyue«" mußte dem Ungläubigsten die Augen öffnen über<lb/> die Segnungen der französischen Herrschaft. Wie im französischen Lustspiel<lb/> der Jüngling immer die incarnirte Tugend darstellt gegenüber dem einge¬<lb/> wurzelten Laster des Vaters, so ist Jean der Prophet des neuen goldenen<lb/> Zeitalters gegenüber dem dummen poro .liieczuvZ. Er sagt: „Wir werden<lb/> das Salz zu drei Sous haben und keine Militärpflicht, keine Zollämter, keine<lb/> Paßplackerei, keine Wucherer, weniger Steuern, Straßen, Arbeit, Geld: vor<lb/> Allem, wir werden zu einem großen Volke gehören. Es gibt nur Einen<lb/> Gott, nur Ein Frankreich. Es lebe Frankreich. Es lebe der Kaiser."<lb/> Kirchen, Kanäle, Brücken, Eisenbahnen versprachen natürlich Herr Pietri und<lb/> seine Leute außerdem mit jener französischen Großmuth, die durch ihre primi¬<lb/> tiven geographischen Kenntnisse des Landes so sehr begünstigt wurde. Den<lb/> Pfarrern, Lehrern und Lehrerinnen sagte man dreist sogar dreifachen Gehalt<lb/> zu. Es wäre gewiß zeitgemäß, wenn die Nizzarden im gegebenen Augenblick<lb/> die Männer in Bordeaux an all diese schönen Versprechungen erinnern woll¬<lb/> ten, namentlich an die Befreiung von der Militärpflicht. Außerdem hatte<lb/> aber auch der kluge Jean gegen die staatsrechtlichen Bedenken des dummen<lb/> alten zx:re ^aeques eine überlegene Antwort: „Sieh mal", sagt er, „der<lb/> König von Sardinien ist es ja, der uns verläßt; wir haben ihm unser Gut<lb/> und Blut dahingegeben, daß er die Lombardei wieder erobern konnte, und<lb/> nun hält er es immer mit den Lombarden. Er sieht, daß er uns einmal<lb/> nicht glücklich machen, über unsere Angelegenheiten nicht wachen kann, da<lb/> sagt er uns: Gute Leute, ich dank' Euch schön, aber geht nur hin, wohin<lb/> Eure Interessen Euch führen." Selbstverständlich erhielt Herr Pietri auch<lb/> von dem französischen Consul detaillirte Berichte über die Zustände des Lan¬<lb/> des, die Bedürfnisse der verschiedenen Gemeinden, Listen über die einflu߬<lb/> reichen Persönlichkeiten, die Gut- und Schlechtgesinnten. Dazu liefen im<lb/> Hotel de France all die Hunderte zusammen, die von der neuen Gnadensonne<lb/> erwärmende Strahlen erwarteten: Richter, Lehrer, Geistliche, Grundbesitzer,<lb/> Kaufleute, Speculanten. Alle zogen mit reichen Verheißungen nach Hause.<lb/> Den italienischen Patrioten hielt man mit heuchlerischen Schmerz die bittere<lb/> Nothwendigkeit, die Größe des übrigen Italien vor Augen, der man sich</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Gvenzboten I. I87l. 17</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0137]
lich zu denken war, Herr Pietri, Senator und früherer Polizeiminister. Mit
ihm liefen die zwei französischen Corvetten „Le Descartes" und „La Mayenne"
in der Rhede ein. Die Zahl der Beamten, Agenten und sonst nützlichen
Franzosen, die Herr Pietri mit sich führte oder anzog, zählten nach Hun¬
derten. Auch die schnurrigen Broschüren, mit denen sich der Bonapartismus
in Frankreich in jeder ernsten Lage an den Köhlerglauben der biedern Land¬
leute zu wenden gewohnt war, fehlten hier nicht. Ein „Gespräch" zwischen
,,^<zg,n et pöre -laeyue«" mußte dem Ungläubigsten die Augen öffnen über
die Segnungen der französischen Herrschaft. Wie im französischen Lustspiel
der Jüngling immer die incarnirte Tugend darstellt gegenüber dem einge¬
wurzelten Laster des Vaters, so ist Jean der Prophet des neuen goldenen
Zeitalters gegenüber dem dummen poro .liieczuvZ. Er sagt: „Wir werden
das Salz zu drei Sous haben und keine Militärpflicht, keine Zollämter, keine
Paßplackerei, keine Wucherer, weniger Steuern, Straßen, Arbeit, Geld: vor
Allem, wir werden zu einem großen Volke gehören. Es gibt nur Einen
Gott, nur Ein Frankreich. Es lebe Frankreich. Es lebe der Kaiser."
Kirchen, Kanäle, Brücken, Eisenbahnen versprachen natürlich Herr Pietri und
seine Leute außerdem mit jener französischen Großmuth, die durch ihre primi¬
tiven geographischen Kenntnisse des Landes so sehr begünstigt wurde. Den
Pfarrern, Lehrern und Lehrerinnen sagte man dreist sogar dreifachen Gehalt
zu. Es wäre gewiß zeitgemäß, wenn die Nizzarden im gegebenen Augenblick
die Männer in Bordeaux an all diese schönen Versprechungen erinnern woll¬
ten, namentlich an die Befreiung von der Militärpflicht. Außerdem hatte
aber auch der kluge Jean gegen die staatsrechtlichen Bedenken des dummen
alten zx:re ^aeques eine überlegene Antwort: „Sieh mal", sagt er, „der
König von Sardinien ist es ja, der uns verläßt; wir haben ihm unser Gut
und Blut dahingegeben, daß er die Lombardei wieder erobern konnte, und
nun hält er es immer mit den Lombarden. Er sieht, daß er uns einmal
nicht glücklich machen, über unsere Angelegenheiten nicht wachen kann, da
sagt er uns: Gute Leute, ich dank' Euch schön, aber geht nur hin, wohin
Eure Interessen Euch führen." Selbstverständlich erhielt Herr Pietri auch
von dem französischen Consul detaillirte Berichte über die Zustände des Lan¬
des, die Bedürfnisse der verschiedenen Gemeinden, Listen über die einflu߬
reichen Persönlichkeiten, die Gut- und Schlechtgesinnten. Dazu liefen im
Hotel de France all die Hunderte zusammen, die von der neuen Gnadensonne
erwärmende Strahlen erwarteten: Richter, Lehrer, Geistliche, Grundbesitzer,
Kaufleute, Speculanten. Alle zogen mit reichen Verheißungen nach Hause.
Den italienischen Patrioten hielt man mit heuchlerischen Schmerz die bittere
Nothwendigkeit, die Größe des übrigen Italien vor Augen, der man sich
Gvenzboten I. I87l. 17
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |