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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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"glaubte, daß bei dieser Sachlage eine Befriedigung der Wünsche der treuen
Nizzarden nicht mehr in der Macht der Negierung liege; was aber die Neu-
tralisirung der Grafschaft angehe, so glaube er kaum dazu die Zustimmung
des Königs zu finden, der indessen davon unterrichtet werden solle." In der
Begrüßung, welche unmitttelbar darauf der König Victor Emanuel der De¬
putation angedeihen ließ, verdient vornehmlich die Zusicherung Erwähnung,
"daß er zur Bedingung der Annexion gemacht habe: eine freie und vor jedem
Druck sichere Abstimmung der Bevölkerung, und daß er dagegen Protestiren
werde, sobald die Stadt (von den Franzosen)' militärisch besetzt oder die ge¬
nannte Bedingung auf irgend eine andere Weise verletzt werde." Am 26ten
März schon zeigte Cavour der Deputation an, daß der Abtretungsvertrag
unterzeichnet worden sei. Dieser Vertrag war vom 24. März datirt und ist
insofern merkwürdig, als der "König von Sardinien" "für sich und seine
Nachkommen und Thronfolger" lediglich "zu Gunsten Sr. Maj. des Kaisers
der Franzosen auf seine Rechte und Rechtstitel auf Savoyen und das Arron-
dissement von Nizza verzichtet", nicht zu Gunsten Frankreichs überhaupt.
Wir überlassen den italienischen Kronjuristen, die nöthigen Consequenzen
hieraus zu ziehen, wie dies ja auch schon aus Anlaß der Septembercvnvention
geschehen ist, die gleichfalls nur Napoleon als gegentheiligen Contrahenten
anführte. Weiter aber enthält der Vertrag auch die vom König Victor
Emanuel der Nizzaer Deputation zugesicherte Bedingung in voller Schärfe,
wenn er fortfährt: "Ihre Majestäten sind übereingekommen (it enwnclu
lzntr"! Jour8 MijWtös), daß diese Vereinigung (mit Frankreich) ausgeführt
werden wird ohne allen Zwang auf den Willen der Bevölkerung, und daß
der König von Sardinien und der Kaiser der Franzosen sobald als möglich
ihre Ansichten austauschen werden über die besten Mittel, um den Ausdruck
dieses Willens zu würdigen und festzustellen."

Eine seltsame Illustration zu diesem letzten Theile des Vertrages war,
daß am 2K. März die französische Fregatte La Foutre in der Rhede von
Villafranca Anker warf, und noch dieselbe Nacht die etwa 300 Mann stark
an Land gekommene französische Bemannung im Theater zu Nizza einen
Scandal aufführte, der roher und rücksichtsloser gegen die schwergereizten Ge¬
fühle der Italiener nicht gedacht werden kann. Denn, als der Tumult im
Theater durch die Mahnung an den Gehorsam gegen die Behörden vom Di¬
rektor zu beschwichtigen versucht wurde, schrie einer der Mitarbeiter des
"Avenir de Rice": "II n'^ a, iilus ä'tmloritö; lei nous xomnws "Ko" nous!".
Bis zur Straßen Wacht und schweren Verletzungen steigerte sich nun der
Tumult.

Tags darauf, den 26. März, erschien denn auch der Mann in Nizza, der
schon seit Jahren mit den Großthaten der imperialistischen Polizei unzertrenn-


„glaubte, daß bei dieser Sachlage eine Befriedigung der Wünsche der treuen
Nizzarden nicht mehr in der Macht der Negierung liege; was aber die Neu-
tralisirung der Grafschaft angehe, so glaube er kaum dazu die Zustimmung
des Königs zu finden, der indessen davon unterrichtet werden solle." In der
Begrüßung, welche unmitttelbar darauf der König Victor Emanuel der De¬
putation angedeihen ließ, verdient vornehmlich die Zusicherung Erwähnung,
„daß er zur Bedingung der Annexion gemacht habe: eine freie und vor jedem
Druck sichere Abstimmung der Bevölkerung, und daß er dagegen Protestiren
werde, sobald die Stadt (von den Franzosen)' militärisch besetzt oder die ge¬
nannte Bedingung auf irgend eine andere Weise verletzt werde." Am 26ten
März schon zeigte Cavour der Deputation an, daß der Abtretungsvertrag
unterzeichnet worden sei. Dieser Vertrag war vom 24. März datirt und ist
insofern merkwürdig, als der „König von Sardinien" „für sich und seine
Nachkommen und Thronfolger" lediglich „zu Gunsten Sr. Maj. des Kaisers
der Franzosen auf seine Rechte und Rechtstitel auf Savoyen und das Arron-
dissement von Nizza verzichtet", nicht zu Gunsten Frankreichs überhaupt.
Wir überlassen den italienischen Kronjuristen, die nöthigen Consequenzen
hieraus zu ziehen, wie dies ja auch schon aus Anlaß der Septembercvnvention
geschehen ist, die gleichfalls nur Napoleon als gegentheiligen Contrahenten
anführte. Weiter aber enthält der Vertrag auch die vom König Victor
Emanuel der Nizzaer Deputation zugesicherte Bedingung in voller Schärfe,
wenn er fortfährt: „Ihre Majestäten sind übereingekommen (it enwnclu
lzntr«! Jour8 MijWtös), daß diese Vereinigung (mit Frankreich) ausgeführt
werden wird ohne allen Zwang auf den Willen der Bevölkerung, und daß
der König von Sardinien und der Kaiser der Franzosen sobald als möglich
ihre Ansichten austauschen werden über die besten Mittel, um den Ausdruck
dieses Willens zu würdigen und festzustellen."

Eine seltsame Illustration zu diesem letzten Theile des Vertrages war,
daß am 2K. März die französische Fregatte La Foutre in der Rhede von
Villafranca Anker warf, und noch dieselbe Nacht die etwa 300 Mann stark
an Land gekommene französische Bemannung im Theater zu Nizza einen
Scandal aufführte, der roher und rücksichtsloser gegen die schwergereizten Ge¬
fühle der Italiener nicht gedacht werden kann. Denn, als der Tumult im
Theater durch die Mahnung an den Gehorsam gegen die Behörden vom Di¬
rektor zu beschwichtigen versucht wurde, schrie einer der Mitarbeiter des
„Avenir de Rice": „II n'^ a, iilus ä'tmloritö; lei nous xomnws «Ko« nous!".
Bis zur Straßen Wacht und schweren Verletzungen steigerte sich nun der
Tumult.

Tags darauf, den 26. März, erschien denn auch der Mann in Nizza, der
schon seit Jahren mit den Großthaten der imperialistischen Polizei unzertrenn-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/136>, abgerufen am 04.07.2024.