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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Hier, wo der Oheim seine Orgien feierte, haust jetzt der Neffe als Ge¬
fangener. Derselbe französische Kaiser, dessen bewaffneten Beistand der letzte
Kurfürst von Hessen wider den König von Preußen, den Vertreter der deut¬
schen Einheit, 1866 angerufen hatte, ist 1870, als er sich anschickte, unsere
nationale Einheit zu bekämpfen, demselben Repräsentanten der Einheit er¬
legen. Beide Gegner unserer nationalen Entwickelung, der einheimische Re¬
belle und der auswärtige Feind, haben nun aufgehört zu regieren, beide blos
deshalb, weil sie sich unserer Wiedergeburt widersetzten. Beide wollten dem
Rade der Zeit in die Speichen greifen; beide sind zermalmt worden. Merke
sich das Jeder, den's angeht!

Und wie die Weltgeschichte es ähnlich, wie Shakespeare, liebt, selbst
in ihre erhabensten Tragödien zuweilen eine humoristische Scene einzufügen'
so ereignete sich im October 1870 Folgendes:

Während der depossedirte Kurfürst in Horsowitz und der gefangene Kaiser
auf Wilhelmshöhe über den Wechsel der Geschicke nachdenkt, fällt es den ein¬
geschlossenen Parisern ein, "lediglich für Basseldang" (eine deutsch.französische
Redensart, die ich kürzlich im Elsaß hörte, deutsch: blos zum Zeitvertreib,
französisch: seulemellt pour passer Is temps), vielleicht auch, um ein kräf¬
tiges Zeugniß ihrer UnVersöhnlichkeit gegenüber dem depossedirten Kaiser ab¬
zulegen, das schöne Schloß Senne-Cloud zusammenzuschießen. Unser deutsches
Heer, der Feind, sucht der Barbarei, welche der Franzose hier wie ander¬
wärts an seinem eigenen Lande verübt, nach Kräften zu steuern. Er löscht
den Brand, so lange es möglich ist, mit eigener Lebensgefahr, und dann als
es nicht mehr möglich ist, sucht er wenigstens an fahrender Habe zu retten
was zu retten ist. Unter dem Geretteten befindet sich nun auch u. A. ein
eigenhändiges Schreiben Seiner Königlichen Hoheit des letzten Kurfürsten
Friedrich Wilhelm von Hessen an Seine Majestät Napoleon III., durch
Gottes Gnaden und des französischen Volkes Willen Kaiser der Franzosen,
datirt vom Juli 1866, worin der letzte Sprosse des Hauses Brabant franzö¬
sische Hilfe nachsucht gegen die von Preußen getragenen deutschen Einheits-
bestrebungen, sowie der Protest des Kurfürsten, in rothem Maroquin gebunden.
Denn nur der Haß gegen Preußen, nicht Vorliebe für das Haus Habsburg
Lothringen war es, was den Kurfürsten 1866 vermochte, aus die Seite Oestreichs
zu treten. Dieser kurfürstliche Brief nebst Denkschrift ist geeignet, den wenigen
Leuten in weiland Kurhessen, welche noch mit dem Jahr 1866 schmollen, voraus¬
gesetzt, daß sie ehrliche Deutsche sind, die letzten sentimentalen Velleitäten zu ver¬
treiben. Indessen haben die tapferen hessischen Regimenter in Frankreich schon
das Nöthige gethan, um die Schmach jenes Briefes und Protestes zu sühnen.

Der Oppermann'sche Roman, der uns im vierten Bande die französische
Fremdherrschaft in Deutschland schildert, führt uns im fünften in den Be-


Hier, wo der Oheim seine Orgien feierte, haust jetzt der Neffe als Ge¬
fangener. Derselbe französische Kaiser, dessen bewaffneten Beistand der letzte
Kurfürst von Hessen wider den König von Preußen, den Vertreter der deut¬
schen Einheit, 1866 angerufen hatte, ist 1870, als er sich anschickte, unsere
nationale Einheit zu bekämpfen, demselben Repräsentanten der Einheit er¬
legen. Beide Gegner unserer nationalen Entwickelung, der einheimische Re¬
belle und der auswärtige Feind, haben nun aufgehört zu regieren, beide blos
deshalb, weil sie sich unserer Wiedergeburt widersetzten. Beide wollten dem
Rade der Zeit in die Speichen greifen; beide sind zermalmt worden. Merke
sich das Jeder, den's angeht!

Und wie die Weltgeschichte es ähnlich, wie Shakespeare, liebt, selbst
in ihre erhabensten Tragödien zuweilen eine humoristische Scene einzufügen'
so ereignete sich im October 1870 Folgendes:

Während der depossedirte Kurfürst in Horsowitz und der gefangene Kaiser
auf Wilhelmshöhe über den Wechsel der Geschicke nachdenkt, fällt es den ein¬
geschlossenen Parisern ein, „lediglich für Basseldang" (eine deutsch.französische
Redensart, die ich kürzlich im Elsaß hörte, deutsch: blos zum Zeitvertreib,
französisch: seulemellt pour passer Is temps), vielleicht auch, um ein kräf¬
tiges Zeugniß ihrer UnVersöhnlichkeit gegenüber dem depossedirten Kaiser ab¬
zulegen, das schöne Schloß Senne-Cloud zusammenzuschießen. Unser deutsches
Heer, der Feind, sucht der Barbarei, welche der Franzose hier wie ander¬
wärts an seinem eigenen Lande verübt, nach Kräften zu steuern. Er löscht
den Brand, so lange es möglich ist, mit eigener Lebensgefahr, und dann als
es nicht mehr möglich ist, sucht er wenigstens an fahrender Habe zu retten
was zu retten ist. Unter dem Geretteten befindet sich nun auch u. A. ein
eigenhändiges Schreiben Seiner Königlichen Hoheit des letzten Kurfürsten
Friedrich Wilhelm von Hessen an Seine Majestät Napoleon III., durch
Gottes Gnaden und des französischen Volkes Willen Kaiser der Franzosen,
datirt vom Juli 1866, worin der letzte Sprosse des Hauses Brabant franzö¬
sische Hilfe nachsucht gegen die von Preußen getragenen deutschen Einheits-
bestrebungen, sowie der Protest des Kurfürsten, in rothem Maroquin gebunden.
Denn nur der Haß gegen Preußen, nicht Vorliebe für das Haus Habsburg
Lothringen war es, was den Kurfürsten 1866 vermochte, aus die Seite Oestreichs
zu treten. Dieser kurfürstliche Brief nebst Denkschrift ist geeignet, den wenigen
Leuten in weiland Kurhessen, welche noch mit dem Jahr 1866 schmollen, voraus¬
gesetzt, daß sie ehrliche Deutsche sind, die letzten sentimentalen Velleitäten zu ver¬
treiben. Indessen haben die tapferen hessischen Regimenter in Frankreich schon
das Nöthige gethan, um die Schmach jenes Briefes und Protestes zu sühnen.

Der Oppermann'sche Roman, der uns im vierten Bande die französische
Fremdherrschaft in Deutschland schildert, führt uns im fünften in den Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/100>, abgerufen am 29.06.2024.