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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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umfassende Staatshilfe ^ist namentlich nach den letzten Kriegsjahren 1864
und 1866 Außerordentliches geschehen. Allein es liegt in der Natur der
Sache, daß der Staat als solcher nicht im Stande ist, allen Bedürfnissen zu
genügen. Der Ansprüche der Betheiligten sind zu viele, zu verschiedenartige:
von Hause aus ist die Staatshilfe durch gleichmäßige Regeln begrenzt, an
eine gewisse Schablone gebunden, die ein Eingehen auf individuelle Verhält¬
nisse nicht gestattet. Für eine ganze Reihe Fälle der infolge des Kriegs ver¬
minderten Erwerbsfähigkeit ist in der Staatsunterstützung kein Raum, so
wenig wie für die Krankheiten und Lebensschäden, welche, wenn auch eine
Folge des Feldzugs, erst nach der Demobtlisirung eingetreten sind. Hier hat die
Thätigkeit freier Vereine ergänzend und helfend einzutreten: ja ihr bleibt das
Wesentlichste vorbehalten. Denn nur von diesen localen Vereinen läßt sich
die rechte Schätzung der mannigfachen Anforderungen und Bedürfnisse be¬
sonderer Art erwarten, die hier in Frage kommen können, und nur sie be¬
sitzen die nöthige Beweglichkeit, die Hilfleistung dem Bedürfnisse in jedem
Falle anzupassen.

Dies eben ist die schwerste, oft undankbare Aufgabe, die nur das Zu¬
sammenwirken der Einzelnen lösen kann. Einer zweckentsprechenden Unterstützung
muß eine gewissenhafte Prüfung vorausgehen. Großartige Geldspenden rei¬
chen noch nicht aus und könnten oft Schaden anstatt Nutzen stiften. Es darf
bei uns nicht die Absicht sein, unsere Invaliden in Schlössern oder Colonieen
nach dem Muster des Hotel des Invalides oder des Greenwich der Engländer
zu isoliren und in einem leeren Scheindasein der Außenwelt zu entfremden.
Es gilt vielmehr, den Invaliden seiner Familie und seinem Heimathsort zu
erhalten und ihm womöglich durch Beschäftigung oder Anstellung Gelegen¬
heit zu geben, nach Maßgabe der ihm gebliebenen Kräfte sich nützlich zu
machen. Sehr richtig hebt der Aufruf des Kronprinzen als wesentliche Pflicht
der freiwilligen Hilfe hervor, "die Vorsorge, daß die Unterstützung nicht die
noch vorhandene Erwerbskraft schwache, anstatt sie zu stärken, und daß sie
wahrhaft heilsam für das Leben der Unterstützten wirke." Jenes ist der Fall,
wenn die Unterstützung in verschwenderisches Wohlthun ausartet, das nur
Krafterschlaffung und Gewöhnung an den Anspruch auf fremdes Erbarmen
zur Folge hat. Was willkürlich, oberflächlich, unbedacht gethan wird, kann
leicht die ungünstigsten sittlichen Nachwirkungen haben.

Eine einheitliche Leitung und Regelung dieser freien Liebesthätigkeit thut
daher vor Allem Noth. Diese ist die Aufgabe der gegenwärtig ins Leben
gerufenen deutschen Invaliden-Stiftung. Eine principlose Theilung der Kräfte
und Mittel würde nur ihre Verzettelung verursachen. Die Nothwendigkeit
tüchtiger, einheitlicher Organisation hat sich noch kürzlich bei den Unter¬
stützungsvereinen recht klar herausgestellt und ist auch in diesen Blättern


umfassende Staatshilfe ^ist namentlich nach den letzten Kriegsjahren 1864
und 1866 Außerordentliches geschehen. Allein es liegt in der Natur der
Sache, daß der Staat als solcher nicht im Stande ist, allen Bedürfnissen zu
genügen. Der Ansprüche der Betheiligten sind zu viele, zu verschiedenartige:
von Hause aus ist die Staatshilfe durch gleichmäßige Regeln begrenzt, an
eine gewisse Schablone gebunden, die ein Eingehen auf individuelle Verhält¬
nisse nicht gestattet. Für eine ganze Reihe Fälle der infolge des Kriegs ver¬
minderten Erwerbsfähigkeit ist in der Staatsunterstützung kein Raum, so
wenig wie für die Krankheiten und Lebensschäden, welche, wenn auch eine
Folge des Feldzugs, erst nach der Demobtlisirung eingetreten sind. Hier hat die
Thätigkeit freier Vereine ergänzend und helfend einzutreten: ja ihr bleibt das
Wesentlichste vorbehalten. Denn nur von diesen localen Vereinen läßt sich
die rechte Schätzung der mannigfachen Anforderungen und Bedürfnisse be¬
sonderer Art erwarten, die hier in Frage kommen können, und nur sie be¬
sitzen die nöthige Beweglichkeit, die Hilfleistung dem Bedürfnisse in jedem
Falle anzupassen.

Dies eben ist die schwerste, oft undankbare Aufgabe, die nur das Zu¬
sammenwirken der Einzelnen lösen kann. Einer zweckentsprechenden Unterstützung
muß eine gewissenhafte Prüfung vorausgehen. Großartige Geldspenden rei¬
chen noch nicht aus und könnten oft Schaden anstatt Nutzen stiften. Es darf
bei uns nicht die Absicht sein, unsere Invaliden in Schlössern oder Colonieen
nach dem Muster des Hotel des Invalides oder des Greenwich der Engländer
zu isoliren und in einem leeren Scheindasein der Außenwelt zu entfremden.
Es gilt vielmehr, den Invaliden seiner Familie und seinem Heimathsort zu
erhalten und ihm womöglich durch Beschäftigung oder Anstellung Gelegen¬
heit zu geben, nach Maßgabe der ihm gebliebenen Kräfte sich nützlich zu
machen. Sehr richtig hebt der Aufruf des Kronprinzen als wesentliche Pflicht
der freiwilligen Hilfe hervor, „die Vorsorge, daß die Unterstützung nicht die
noch vorhandene Erwerbskraft schwache, anstatt sie zu stärken, und daß sie
wahrhaft heilsam für das Leben der Unterstützten wirke." Jenes ist der Fall,
wenn die Unterstützung in verschwenderisches Wohlthun ausartet, das nur
Krafterschlaffung und Gewöhnung an den Anspruch auf fremdes Erbarmen
zur Folge hat. Was willkürlich, oberflächlich, unbedacht gethan wird, kann
leicht die ungünstigsten sittlichen Nachwirkungen haben.

Eine einheitliche Leitung und Regelung dieser freien Liebesthätigkeit thut
daher vor Allem Noth. Diese ist die Aufgabe der gegenwärtig ins Leben
gerufenen deutschen Invaliden-Stiftung. Eine principlose Theilung der Kräfte
und Mittel würde nur ihre Verzettelung verursachen. Die Nothwendigkeit
tüchtiger, einheitlicher Organisation hat sich noch kürzlich bei den Unter¬
stützungsvereinen recht klar herausgestellt und ist auch in diesen Blättern


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[0095] umfassende Staatshilfe ^ist namentlich nach den letzten Kriegsjahren 1864 und 1866 Außerordentliches geschehen. Allein es liegt in der Natur der Sache, daß der Staat als solcher nicht im Stande ist, allen Bedürfnissen zu genügen. Der Ansprüche der Betheiligten sind zu viele, zu verschiedenartige: von Hause aus ist die Staatshilfe durch gleichmäßige Regeln begrenzt, an eine gewisse Schablone gebunden, die ein Eingehen auf individuelle Verhält¬ nisse nicht gestattet. Für eine ganze Reihe Fälle der infolge des Kriegs ver¬ minderten Erwerbsfähigkeit ist in der Staatsunterstützung kein Raum, so wenig wie für die Krankheiten und Lebensschäden, welche, wenn auch eine Folge des Feldzugs, erst nach der Demobtlisirung eingetreten sind. Hier hat die Thätigkeit freier Vereine ergänzend und helfend einzutreten: ja ihr bleibt das Wesentlichste vorbehalten. Denn nur von diesen localen Vereinen läßt sich die rechte Schätzung der mannigfachen Anforderungen und Bedürfnisse be¬ sonderer Art erwarten, die hier in Frage kommen können, und nur sie be¬ sitzen die nöthige Beweglichkeit, die Hilfleistung dem Bedürfnisse in jedem Falle anzupassen. Dies eben ist die schwerste, oft undankbare Aufgabe, die nur das Zu¬ sammenwirken der Einzelnen lösen kann. Einer zweckentsprechenden Unterstützung muß eine gewissenhafte Prüfung vorausgehen. Großartige Geldspenden rei¬ chen noch nicht aus und könnten oft Schaden anstatt Nutzen stiften. Es darf bei uns nicht die Absicht sein, unsere Invaliden in Schlössern oder Colonieen nach dem Muster des Hotel des Invalides oder des Greenwich der Engländer zu isoliren und in einem leeren Scheindasein der Außenwelt zu entfremden. Es gilt vielmehr, den Invaliden seiner Familie und seinem Heimathsort zu erhalten und ihm womöglich durch Beschäftigung oder Anstellung Gelegen¬ heit zu geben, nach Maßgabe der ihm gebliebenen Kräfte sich nützlich zu machen. Sehr richtig hebt der Aufruf des Kronprinzen als wesentliche Pflicht der freiwilligen Hilfe hervor, „die Vorsorge, daß die Unterstützung nicht die noch vorhandene Erwerbskraft schwache, anstatt sie zu stärken, und daß sie wahrhaft heilsam für das Leben der Unterstützten wirke." Jenes ist der Fall, wenn die Unterstützung in verschwenderisches Wohlthun ausartet, das nur Krafterschlaffung und Gewöhnung an den Anspruch auf fremdes Erbarmen zur Folge hat. Was willkürlich, oberflächlich, unbedacht gethan wird, kann leicht die ungünstigsten sittlichen Nachwirkungen haben. Eine einheitliche Leitung und Regelung dieser freien Liebesthätigkeit thut daher vor Allem Noth. Diese ist die Aufgabe der gegenwärtig ins Leben gerufenen deutschen Invaliden-Stiftung. Eine principlose Theilung der Kräfte und Mittel würde nur ihre Verzettelung verursachen. Die Nothwendigkeit tüchtiger, einheitlicher Organisation hat sich noch kürzlich bei den Unter¬ stützungsvereinen recht klar herausgestellt und ist auch in diesen Blättern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/95>, abgerufen am 22.12.2024.