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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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unglücklichen Opfer des Kriegs, welche in ihrer Gesundheit und ihrem Lebens"
glück gebrochen oder schwer geschädigt der Hilfe des Vaterlandes bedürfen
werden, für das sie gestritten haben. Ehre dem edelsinnigen Fürsten, der auf
der Siegeshöhe der Gegenwart den Blick einer Zukunft von Leiden und ver¬
kümmerter Existenz nicht verschloß, deren Bild ihm die eben verlassenen
Schlachtfelder nahe brachten.

Das Volk, an welches der Kronprinz seinen Aufruf gerichtet hat, wird
auf diese edle Initiative die Antwort nicht schuldig bleiben. Unser Volk ver¬
gißt seine Braven nicht. Noch nie hat wie heut ein werkthätiges Gemeingefühl
so völlig alle Kreise der Nation durchdrungen. Noch nie war das Volk so
Eins mit seinem Heer, war Trauer über jedes Opfer, Jubel über jeden Sieg so
Allen gemeinsam. Groß, wie die Thaten unserer Helden, hat sich der Opfer¬
muth der Zurückgebliebenen bewährt. Zur Stärkung und Verpflegung der
Truppen im Felde, zur Entschädigung der ihres Ernährers beraubten Fa¬
milien, zur Aufnahme und Pflege der Verwundeten und Kranken, zur Unter¬
stützung der bedrängten Grenzprovinzen haben Communen und Private mit
einmüthigem Eifer beigetragen, und noch täglich fließen die Spenden an
Geld, Nahrungsmitteln, Gebrauchsstücken, widmen sich Hunderte unserer
Männer und Frauen dem Samariterdienst in den Lazarethen.

Diese freie Liebesthätigkeit verbindet unmittelbar Volk und Heer. Sie
ist nicht die Frucht eines improvisirten Aufschwungs, und sie wird nicht er¬
lahmen, wenn die erste bittere Kriegsnoth beseitigt ist. Auch wenn der Friede
geschlossen, wenn die Lazarethe geräumt sein werden, bleiben große Anforde¬
rungen an die freiwillige Hilfe zu stellen. Erst nach Beendigung des Krieges
werden die furchtbaren Opfer, die unser Volk gebracht hat, uns ganz zum
Bewußtsein kommen. Welche Lücke in unseren Häusern, in allen Berufs¬
kreisen! Wie Viele, die nicht wiederkehren, waren daheim die einzige Stütze
ihrer Familie; wie Viele, die lebensfrisch hinausgezogen waren, kommen zurück,
zu Krüppeln geschossen oder durch Krankheit und Strapazen für die Zeit
ihres Lebens geschwächt und unfähig durch selbständigen Erwerb, wie früher,
ihre Existenz zu sichern! Wie Mancher, der von einem kaum begründeten
Geschäft zur Fahne abgerufen, durch die Stockung die Früchte langjähriger
Anstrengung eingebüßt hat! Die Sorge für die Invaliden und die Hinter¬
bliebenen der im Felde Gefallenen ist ein heiliges Vermächtniß dieses Krie¬
ges, eine Ehrenschuld, welche das ganze Vaterland einlösen muß.

Allerdings ist es in erster Linie Sache des Staats, für die lebenden
Opfer des Kriegs einzutreten und ihnen seinen Schutz zu gewähren. Und der
Staat erkennt diese Pflicht und übt sie heute besser als in früheren Zeiten.
Es ist mit der Sorge für die Invaliden jetzt anders geworden, als da noch
der Dichter sein bitteres "Leipzig, Leipzig, arger Boden" sang. Für eine


unglücklichen Opfer des Kriegs, welche in ihrer Gesundheit und ihrem Lebens«
glück gebrochen oder schwer geschädigt der Hilfe des Vaterlandes bedürfen
werden, für das sie gestritten haben. Ehre dem edelsinnigen Fürsten, der auf
der Siegeshöhe der Gegenwart den Blick einer Zukunft von Leiden und ver¬
kümmerter Existenz nicht verschloß, deren Bild ihm die eben verlassenen
Schlachtfelder nahe brachten.

Das Volk, an welches der Kronprinz seinen Aufruf gerichtet hat, wird
auf diese edle Initiative die Antwort nicht schuldig bleiben. Unser Volk ver¬
gißt seine Braven nicht. Noch nie hat wie heut ein werkthätiges Gemeingefühl
so völlig alle Kreise der Nation durchdrungen. Noch nie war das Volk so
Eins mit seinem Heer, war Trauer über jedes Opfer, Jubel über jeden Sieg so
Allen gemeinsam. Groß, wie die Thaten unserer Helden, hat sich der Opfer¬
muth der Zurückgebliebenen bewährt. Zur Stärkung und Verpflegung der
Truppen im Felde, zur Entschädigung der ihres Ernährers beraubten Fa¬
milien, zur Aufnahme und Pflege der Verwundeten und Kranken, zur Unter¬
stützung der bedrängten Grenzprovinzen haben Communen und Private mit
einmüthigem Eifer beigetragen, und noch täglich fließen die Spenden an
Geld, Nahrungsmitteln, Gebrauchsstücken, widmen sich Hunderte unserer
Männer und Frauen dem Samariterdienst in den Lazarethen.

Diese freie Liebesthätigkeit verbindet unmittelbar Volk und Heer. Sie
ist nicht die Frucht eines improvisirten Aufschwungs, und sie wird nicht er¬
lahmen, wenn die erste bittere Kriegsnoth beseitigt ist. Auch wenn der Friede
geschlossen, wenn die Lazarethe geräumt sein werden, bleiben große Anforde¬
rungen an die freiwillige Hilfe zu stellen. Erst nach Beendigung des Krieges
werden die furchtbaren Opfer, die unser Volk gebracht hat, uns ganz zum
Bewußtsein kommen. Welche Lücke in unseren Häusern, in allen Berufs¬
kreisen! Wie Viele, die nicht wiederkehren, waren daheim die einzige Stütze
ihrer Familie; wie Viele, die lebensfrisch hinausgezogen waren, kommen zurück,
zu Krüppeln geschossen oder durch Krankheit und Strapazen für die Zeit
ihres Lebens geschwächt und unfähig durch selbständigen Erwerb, wie früher,
ihre Existenz zu sichern! Wie Mancher, der von einem kaum begründeten
Geschäft zur Fahne abgerufen, durch die Stockung die Früchte langjähriger
Anstrengung eingebüßt hat! Die Sorge für die Invaliden und die Hinter¬
bliebenen der im Felde Gefallenen ist ein heiliges Vermächtniß dieses Krie¬
ges, eine Ehrenschuld, welche das ganze Vaterland einlösen muß.

Allerdings ist es in erster Linie Sache des Staats, für die lebenden
Opfer des Kriegs einzutreten und ihnen seinen Schutz zu gewähren. Und der
Staat erkennt diese Pflicht und übt sie heute besser als in früheren Zeiten.
Es ist mit der Sorge für die Invaliden jetzt anders geworden, als da noch
der Dichter sein bitteres „Leipzig, Leipzig, arger Boden" sang. Für eine


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[0094] unglücklichen Opfer des Kriegs, welche in ihrer Gesundheit und ihrem Lebens« glück gebrochen oder schwer geschädigt der Hilfe des Vaterlandes bedürfen werden, für das sie gestritten haben. Ehre dem edelsinnigen Fürsten, der auf der Siegeshöhe der Gegenwart den Blick einer Zukunft von Leiden und ver¬ kümmerter Existenz nicht verschloß, deren Bild ihm die eben verlassenen Schlachtfelder nahe brachten. Das Volk, an welches der Kronprinz seinen Aufruf gerichtet hat, wird auf diese edle Initiative die Antwort nicht schuldig bleiben. Unser Volk ver¬ gißt seine Braven nicht. Noch nie hat wie heut ein werkthätiges Gemeingefühl so völlig alle Kreise der Nation durchdrungen. Noch nie war das Volk so Eins mit seinem Heer, war Trauer über jedes Opfer, Jubel über jeden Sieg so Allen gemeinsam. Groß, wie die Thaten unserer Helden, hat sich der Opfer¬ muth der Zurückgebliebenen bewährt. Zur Stärkung und Verpflegung der Truppen im Felde, zur Entschädigung der ihres Ernährers beraubten Fa¬ milien, zur Aufnahme und Pflege der Verwundeten und Kranken, zur Unter¬ stützung der bedrängten Grenzprovinzen haben Communen und Private mit einmüthigem Eifer beigetragen, und noch täglich fließen die Spenden an Geld, Nahrungsmitteln, Gebrauchsstücken, widmen sich Hunderte unserer Männer und Frauen dem Samariterdienst in den Lazarethen. Diese freie Liebesthätigkeit verbindet unmittelbar Volk und Heer. Sie ist nicht die Frucht eines improvisirten Aufschwungs, und sie wird nicht er¬ lahmen, wenn die erste bittere Kriegsnoth beseitigt ist. Auch wenn der Friede geschlossen, wenn die Lazarethe geräumt sein werden, bleiben große Anforde¬ rungen an die freiwillige Hilfe zu stellen. Erst nach Beendigung des Krieges werden die furchtbaren Opfer, die unser Volk gebracht hat, uns ganz zum Bewußtsein kommen. Welche Lücke in unseren Häusern, in allen Berufs¬ kreisen! Wie Viele, die nicht wiederkehren, waren daheim die einzige Stütze ihrer Familie; wie Viele, die lebensfrisch hinausgezogen waren, kommen zurück, zu Krüppeln geschossen oder durch Krankheit und Strapazen für die Zeit ihres Lebens geschwächt und unfähig durch selbständigen Erwerb, wie früher, ihre Existenz zu sichern! Wie Mancher, der von einem kaum begründeten Geschäft zur Fahne abgerufen, durch die Stockung die Früchte langjähriger Anstrengung eingebüßt hat! Die Sorge für die Invaliden und die Hinter¬ bliebenen der im Felde Gefallenen ist ein heiliges Vermächtniß dieses Krie¬ ges, eine Ehrenschuld, welche das ganze Vaterland einlösen muß. Allerdings ist es in erster Linie Sache des Staats, für die lebenden Opfer des Kriegs einzutreten und ihnen seinen Schutz zu gewähren. Und der Staat erkennt diese Pflicht und übt sie heute besser als in früheren Zeiten. Es ist mit der Sorge für die Invaliden jetzt anders geworden, als da noch der Dichter sein bitteres „Leipzig, Leipzig, arger Boden" sang. Für eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/94>, abgerufen am 22.12.2024.