Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.zerstückelt werden sollte, so wurde man wirklich vor dieser Ueberschwänglichkeit Aber wenn die Frage des Elsaß glücklich vorüberging, und damit die Be¬ Sehr anders lagen die Dinge in München. Auch der beste Wille und Die Sendung des Staatsministers Delbrück nach München hat den 9*
zerstückelt werden sollte, so wurde man wirklich vor dieser Ueberschwänglichkeit Aber wenn die Frage des Elsaß glücklich vorüberging, und damit die Be¬ Sehr anders lagen die Dinge in München. Auch der beste Wille und Die Sendung des Staatsministers Delbrück nach München hat den 9*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0075" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124781"/> <p xml:id="ID_207" prev="#ID_206"> zerstückelt werden sollte, so wurde man wirklich vor dieser Ueberschwänglichkeit<lb/> der Gefühlspolitik angst und bange. Glücklicherweise ist dann grade vom<lb/> Süden aus diese unselige Belohnungstheorie so nachdrücklich und mit so un-<lb/> widerleglicher Argumenten zurückgewiesen, daß sie in Kurzem völlig aus der<lb/> öffentlichen Discusston verschwand. Dabei ist sehr zu bemerken, wie wenig<lb/> die drohende Gefahr diejenigen Kräfte aus dem Platze fand, welche mit der<lb/> Frage des Elsaß ernste Schwierigkeiten hätten schaffen können. Wir können<lb/> nicht genug dem Himmel dafür danken, daß diese widerstrebenden Kräfte mit<lb/> so großer Unfähigkeit geschlagen sind. Ihre Kurzsichtigkeit ist so erstaunlich,<lb/> daß sie oft den entscheidenden Punkt gar nicht wahrnahmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_208"> Aber wenn die Frage des Elsaß glücklich vorüberging, und damit die Be¬<lb/> ruhigung gewonnen wurde, daß der süddeutsche Particularismus auch aus<lb/> politischem Gebiete wesentlich gebrochen sei, so blieb doch immer noch das<lb/> Problem ungelöst, wie sich die beiden Königreiche in Zukunft zum Norden<lb/> zu stellen dächten. Ohne das Ereigniß von Sedan hätte dieses Problem<lb/> vielleicht noch lange geruht. Denn Preußen hielt offenbar auch jetzt noch<lb/> an dem Grundsatze fest, auf die Königreiche keinerlei Pression zu üben. Aber<lb/> der Schlag des 2. September machte auch die einst von Napoleon geschaffe¬<lb/> nen Königskronen erzittern. Es scheint, daß in München wie in Stuttgart<lb/> merkwürdiger Weise an demselben Tage das Studium der norddeutschen<lb/> Verfassung und der etwa bei einem Eintritt zu fordernden Ratifikationen<lb/> oder Exemptionen begann. Acht Tage nach der Gefangennehmung des Kai¬<lb/> sers waren diese Untersuchungen im besten Gange. Natürlich kam man mit<lb/> ihnen in Stuttgart rascher aus der Stelle wie in München, und es dauerte<lb/> nicht lange, so begab sich der würtenbergische Kriegsminister ins preußische<lb/> Hauptquartier, offenbar nicht nur, um einen Orden zu überbringen. Hie und<lb/> da verlautete über den Wechsel der Stuttgarter Intentionen höchst erfreu¬<lb/> liches. Von Könige und Ministern wurden die preiswürdigsten Aeußerungen<lb/> berichtet..</p><lb/> <p xml:id="ID_209"> Sehr anders lagen die Dinge in München. Auch der beste Wille und<lb/> die fähigste Entschlossenheit hätte dort erhebliche sachliche Schwierigkeiten nicht<lb/> alsbald aus dem Wege räumen können. Wie es mit dem Willen der ma߬<lb/> gebenden Persönlichkeiten bestellt gewesen, darüber erlaube ich mir keine<lb/> Muthmaßung; Alles aber, was seit Wochen aus zuverlässiger Quelle be¬<lb/> kannt geworden ist, gestattet leider keinen Zweifel daran, daß die staats¬<lb/> männische Fähigkeit in dem heutigen bayrischen Ministerium nicht auf<lb/> der Höhe der Situation steht. Man hat kostbare Wochen mit Aufstellung<lb/> unmöglicher Projecte vergeudet und durch die ganze Behandlung der An¬<lb/> gelegenheit bewiesen, daß der Kern der politischen Ausgabe nicht erkannt ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_210" next="#ID_211"> Die Sendung des Staatsministers Delbrück nach München hat den</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 9*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0075]
zerstückelt werden sollte, so wurde man wirklich vor dieser Ueberschwänglichkeit
der Gefühlspolitik angst und bange. Glücklicherweise ist dann grade vom
Süden aus diese unselige Belohnungstheorie so nachdrücklich und mit so un-
widerleglicher Argumenten zurückgewiesen, daß sie in Kurzem völlig aus der
öffentlichen Discusston verschwand. Dabei ist sehr zu bemerken, wie wenig
die drohende Gefahr diejenigen Kräfte aus dem Platze fand, welche mit der
Frage des Elsaß ernste Schwierigkeiten hätten schaffen können. Wir können
nicht genug dem Himmel dafür danken, daß diese widerstrebenden Kräfte mit
so großer Unfähigkeit geschlagen sind. Ihre Kurzsichtigkeit ist so erstaunlich,
daß sie oft den entscheidenden Punkt gar nicht wahrnahmen.
Aber wenn die Frage des Elsaß glücklich vorüberging, und damit die Be¬
ruhigung gewonnen wurde, daß der süddeutsche Particularismus auch aus
politischem Gebiete wesentlich gebrochen sei, so blieb doch immer noch das
Problem ungelöst, wie sich die beiden Königreiche in Zukunft zum Norden
zu stellen dächten. Ohne das Ereigniß von Sedan hätte dieses Problem
vielleicht noch lange geruht. Denn Preußen hielt offenbar auch jetzt noch
an dem Grundsatze fest, auf die Königreiche keinerlei Pression zu üben. Aber
der Schlag des 2. September machte auch die einst von Napoleon geschaffe¬
nen Königskronen erzittern. Es scheint, daß in München wie in Stuttgart
merkwürdiger Weise an demselben Tage das Studium der norddeutschen
Verfassung und der etwa bei einem Eintritt zu fordernden Ratifikationen
oder Exemptionen begann. Acht Tage nach der Gefangennehmung des Kai¬
sers waren diese Untersuchungen im besten Gange. Natürlich kam man mit
ihnen in Stuttgart rascher aus der Stelle wie in München, und es dauerte
nicht lange, so begab sich der würtenbergische Kriegsminister ins preußische
Hauptquartier, offenbar nicht nur, um einen Orden zu überbringen. Hie und
da verlautete über den Wechsel der Stuttgarter Intentionen höchst erfreu¬
liches. Von Könige und Ministern wurden die preiswürdigsten Aeußerungen
berichtet..
Sehr anders lagen die Dinge in München. Auch der beste Wille und
die fähigste Entschlossenheit hätte dort erhebliche sachliche Schwierigkeiten nicht
alsbald aus dem Wege räumen können. Wie es mit dem Willen der ma߬
gebenden Persönlichkeiten bestellt gewesen, darüber erlaube ich mir keine
Muthmaßung; Alles aber, was seit Wochen aus zuverlässiger Quelle be¬
kannt geworden ist, gestattet leider keinen Zweifel daran, daß die staats¬
männische Fähigkeit in dem heutigen bayrischen Ministerium nicht auf
der Höhe der Situation steht. Man hat kostbare Wochen mit Aufstellung
unmöglicher Projecte vergeudet und durch die ganze Behandlung der An¬
gelegenheit bewiesen, daß der Kern der politischen Ausgabe nicht erkannt ist.
Die Sendung des Staatsministers Delbrück nach München hat den
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