Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.Wenn man will, hat diese Politik in der großen Krisis des letzten Juli Nichtsdestoweniger mußten mit den Verhältnissen vertraute Männer Wenn man will, hat diese Politik in der großen Krisis des letzten Juli Nichtsdestoweniger mußten mit den Verhältnissen vertraute Männer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0074" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124780"/> <p xml:id="ID_205"> Wenn man will, hat diese Politik in der großen Krisis des letzten Juli<lb/> eine glänzende Rechtfertigung erhalten. Baden that seine Pflicht grade so<lb/> gut, als wäre es seit Jahren Mitglied des Nordhundes und in München<lb/> und Stuttgart wurden die Verträge trotz Demokraten und Ultramontanen<lb/> gewissenhaft erfüllt. Wie peinlich allerdings an beiden Orten die Entschei¬<lb/> dung geschwankt, wie lange Herr von Varnbüler an der Erhaltung gewisser<lb/> Beziehungen zu Paris gearbeitet, wie die entgegengesetzten Kräfte in München<lb/> noch am 19. Juli sich die Wage hielten, so daß der französische Gesandte<lb/> wenige Stunden vor der Kammerabstimmung telegraphiren konnte, Frankreich<lb/> sei Bayerns sicher, das sind Dinge, über welche die hohe Begeisterung dieser<lb/> Monate großmüthig hinweg gesehen hat. Gewiß ist Frankreich bei seinen<lb/> Speculationen auf den Süden im Irrthum gewesen; daß dieselben aber gar<lb/> keinen Grund gehabt, daß die bayrischen „Patrioten" und die schwäbischen<lb/> Demokraten und sehr viele vornehme und fromme Herren in beiden Ländern<lb/> dazu gar keinen Anlaß geboten hätten, wird Niemand behaupten können.<lb/> Hätte sich die Nachricht, welche amtlich am 17. Juli in Darmstadt verkündigt<lb/> wurde, die Franzosen ständen in Freiburg, bestätigt, hätte Frankreich gethan,<lb/> was es nach seiner Einleitung des Krieges durchaus mußte und das Land<lb/> von Basel bis Rastatt alsbald nach dem 15. Juli occupirt. so wäre wohl<lb/> manches an den Tag gekommen, was ein günstiges Geschick jetzt uns erspart<lb/> hat. Thatsache ist: Niemand in Deutschland hat den Lenkern von Bayern<lb/> und Würtemberg damals vorgerückt, daß zum großen Theil ihre frühere<lb/> Politik den Krieg herbei geführt habe, sondern Jedermann mit der größten<lb/> Wärme anerkannt, daß sie schließlich auf die deutsche Seite traten. Der<lb/> glückliche Beginn des Kampfes, die Theilnahme der Bayern und Würten-<lb/> berger an der Schlacht bei Wörth verwischte die letzten trüben Erinnerungen.<lb/> Alle früheren Gegensätze schwanden vor den staunenswerthen Früchten der<lb/> gegenwärtigen Einigkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_206" next="#ID_207"> Nichtsdestoweniger mußten mit den Verhältnissen vertraute Männer<lb/> frühzeitig die Frage aufwerfen, ob die herrliche militärische Eintracht auch<lb/> die nothwendige Wirkung auf politischem Gebiet haben werde. Sehr viel<lb/> länger, als die allgemeine Begeisterung für möglich zu halten geneigt war,<lb/> fand diese Frage bedenkliche Antwort. Ja, man durfte wohl ernstlich sorgen,<lb/> ob der gar zu unbedingte Enthusiasmus des Nordens im Süden nicht Pra.<lb/> tensionen wecken werde, die uns vielleicht um einen erheblichen Theil der<lb/> Siegesfrucht bringen konnten. Wenn man in norddeutschen Blättern bet<lb/> Erörterung der Zukunft des Elsaß häufig den Gedanken ausgesprochen fand,<lb/> jetzt sei der Augenblick zur Belohnung der süddeutschen Treue gekommen,<lb/> eine Belohnung, die Einzelne in der Weise einzurichten dachten, daß der<lb/> wirklich Treue zum Vortheil der bis vor wenig Wochen sehr Unzuverlässiger</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0074]
Wenn man will, hat diese Politik in der großen Krisis des letzten Juli
eine glänzende Rechtfertigung erhalten. Baden that seine Pflicht grade so
gut, als wäre es seit Jahren Mitglied des Nordhundes und in München
und Stuttgart wurden die Verträge trotz Demokraten und Ultramontanen
gewissenhaft erfüllt. Wie peinlich allerdings an beiden Orten die Entschei¬
dung geschwankt, wie lange Herr von Varnbüler an der Erhaltung gewisser
Beziehungen zu Paris gearbeitet, wie die entgegengesetzten Kräfte in München
noch am 19. Juli sich die Wage hielten, so daß der französische Gesandte
wenige Stunden vor der Kammerabstimmung telegraphiren konnte, Frankreich
sei Bayerns sicher, das sind Dinge, über welche die hohe Begeisterung dieser
Monate großmüthig hinweg gesehen hat. Gewiß ist Frankreich bei seinen
Speculationen auf den Süden im Irrthum gewesen; daß dieselben aber gar
keinen Grund gehabt, daß die bayrischen „Patrioten" und die schwäbischen
Demokraten und sehr viele vornehme und fromme Herren in beiden Ländern
dazu gar keinen Anlaß geboten hätten, wird Niemand behaupten können.
Hätte sich die Nachricht, welche amtlich am 17. Juli in Darmstadt verkündigt
wurde, die Franzosen ständen in Freiburg, bestätigt, hätte Frankreich gethan,
was es nach seiner Einleitung des Krieges durchaus mußte und das Land
von Basel bis Rastatt alsbald nach dem 15. Juli occupirt. so wäre wohl
manches an den Tag gekommen, was ein günstiges Geschick jetzt uns erspart
hat. Thatsache ist: Niemand in Deutschland hat den Lenkern von Bayern
und Würtemberg damals vorgerückt, daß zum großen Theil ihre frühere
Politik den Krieg herbei geführt habe, sondern Jedermann mit der größten
Wärme anerkannt, daß sie schließlich auf die deutsche Seite traten. Der
glückliche Beginn des Kampfes, die Theilnahme der Bayern und Würten-
berger an der Schlacht bei Wörth verwischte die letzten trüben Erinnerungen.
Alle früheren Gegensätze schwanden vor den staunenswerthen Früchten der
gegenwärtigen Einigkeit.
Nichtsdestoweniger mußten mit den Verhältnissen vertraute Männer
frühzeitig die Frage aufwerfen, ob die herrliche militärische Eintracht auch
die nothwendige Wirkung auf politischem Gebiet haben werde. Sehr viel
länger, als die allgemeine Begeisterung für möglich zu halten geneigt war,
fand diese Frage bedenkliche Antwort. Ja, man durfte wohl ernstlich sorgen,
ob der gar zu unbedingte Enthusiasmus des Nordens im Süden nicht Pra.
tensionen wecken werde, die uns vielleicht um einen erheblichen Theil der
Siegesfrucht bringen konnten. Wenn man in norddeutschen Blättern bet
Erörterung der Zukunft des Elsaß häufig den Gedanken ausgesprochen fand,
jetzt sei der Augenblick zur Belohnung der süddeutschen Treue gekommen,
eine Belohnung, die Einzelne in der Weise einzurichten dachten, daß der
wirklich Treue zum Vortheil der bis vor wenig Wochen sehr Unzuverlässiger
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