Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.Straßburg, da Deutschland seiner selbst vergessen hatte; er giebt es uns Preußens Politik gegenüber dem deutschen Süden. Die Reise des Staatsministers Delbrück nach München hat jeden Zweifel Die Politik des Grafen Bismarck in Bezug auf den Süden war vor Grenzboten IV. 1870. 9
Straßburg, da Deutschland seiner selbst vergessen hatte; er giebt es uns Preußens Politik gegenüber dem deutschen Süden. Die Reise des Staatsministers Delbrück nach München hat jeden Zweifel Die Politik des Grafen Bismarck in Bezug auf den Süden war vor Grenzboten IV. 1870. 9
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0073" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124779"/> <p xml:id="ID_202" prev="#ID_201"> Straßburg, da Deutschland seiner selbst vergessen hatte; er giebt es uns<lb/> heute, in den Tagen der mächtigsten Volkserhebung, zurück als ein Pfand<lb/> der zu währenden Einheit und Kraft. Von den Zinnen Straßburgs weht<lb/> wieder die deutsche Fahne; anstatt eines „Passes ins Reich" wird Straßburg,<lb/> die deutsche Stadt, wieder werden, was sie einst war: die Warte und Grenz¬<lb/> hüterin Deutschlands wider den Franzosen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Preußens Politik gegenüber dem deutschen Süden.</head><lb/> <p xml:id="ID_203"> Die Reise des Staatsministers Delbrück nach München hat jeden Zweifel<lb/> an ernsten Verhandlungen über das Verhältniß der Südstaaten zum Nord¬<lb/> bunde beseitigt. Zu welchem Resultat aber die Münchener Besprechungen<lb/> geführt haben, darüber finden wir in nord- wie in süddeutschen Blättern<lb/> sehr widersprechende Angaben. Es wird daher nicht ohne Werth sein, so<lb/> viel es im Augenblicke angeht, den Gang dieser wichtigen Angelegenheit fest<lb/> zu stellen.</p><lb/> <p xml:id="ID_204"> Die Politik des Grafen Bismarck in Bezug auf den Süden war vor<lb/> dem Kriege dahin gegangen, gegen die beiden Königreiche auch nicht den<lb/> leisesten Druck zu üben oder üben zu lassen. Diese Politik würde bis zu dem<lb/> Punkte getrieben, daß, damit man ja in München und Stuttgart nicht<lb/> sagen könne, Preußen beeinträchtige die vollste Freiheit der Entschließungen,<lb/> im Interesse dieser bayrischen und würtembergischen Selbständigkeit auf den<lb/> dritten Südstaat mehr als einmal ein ziemlich empfindlicher Druck ausgeübt<lb/> wurde, ein Verfahren, das, von der eigentlich politischen Substanz abgesehen,<lb/> an den beiden Königshöfen ein sehr behagliches Gefühl hervorrufen mußte.<lb/> Gelegentlich gingen die Dinge so weit, daß sie nur aus der in Berlin herr¬<lb/> schenden Voraussetzung erklärt werden konnten, die badische Treue könne<lb/> durch nichts in der Welt erschüttert werden. Und zwar erstreckte sich diese<lb/> vielleicht beispiellose Schonung nicht allein auf das politische, sondern auch<lb/> auf das militärische Gebiet. Trotz Allianzverträgen konnte es sich die bay¬<lb/> rische und würtenbergische Armeeverwaltung so bequem machen, als es die<lb/> Kammeropposition gegen Preußen erheischte. Ja. das preußische Entgegen¬<lb/> kommen scheint sich nicht einmal darauf beschränkt zu haben, die bayrische und<lb/> würtenbergische Selbständigkeit ganz unbehindert gewähren zu lassen, son¬<lb/> dern eine Weile selbst den Bemühungen um die Aufrichtung eines Südbun¬<lb/> des aufrichtig hilfreich gewesen zu sein.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1870. 9</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0073]
Straßburg, da Deutschland seiner selbst vergessen hatte; er giebt es uns
heute, in den Tagen der mächtigsten Volkserhebung, zurück als ein Pfand
der zu währenden Einheit und Kraft. Von den Zinnen Straßburgs weht
wieder die deutsche Fahne; anstatt eines „Passes ins Reich" wird Straßburg,
die deutsche Stadt, wieder werden, was sie einst war: die Warte und Grenz¬
hüterin Deutschlands wider den Franzosen.
Preußens Politik gegenüber dem deutschen Süden.
Die Reise des Staatsministers Delbrück nach München hat jeden Zweifel
an ernsten Verhandlungen über das Verhältniß der Südstaaten zum Nord¬
bunde beseitigt. Zu welchem Resultat aber die Münchener Besprechungen
geführt haben, darüber finden wir in nord- wie in süddeutschen Blättern
sehr widersprechende Angaben. Es wird daher nicht ohne Werth sein, so
viel es im Augenblicke angeht, den Gang dieser wichtigen Angelegenheit fest
zu stellen.
Die Politik des Grafen Bismarck in Bezug auf den Süden war vor
dem Kriege dahin gegangen, gegen die beiden Königreiche auch nicht den
leisesten Druck zu üben oder üben zu lassen. Diese Politik würde bis zu dem
Punkte getrieben, daß, damit man ja in München und Stuttgart nicht
sagen könne, Preußen beeinträchtige die vollste Freiheit der Entschließungen,
im Interesse dieser bayrischen und würtembergischen Selbständigkeit auf den
dritten Südstaat mehr als einmal ein ziemlich empfindlicher Druck ausgeübt
wurde, ein Verfahren, das, von der eigentlich politischen Substanz abgesehen,
an den beiden Königshöfen ein sehr behagliches Gefühl hervorrufen mußte.
Gelegentlich gingen die Dinge so weit, daß sie nur aus der in Berlin herr¬
schenden Voraussetzung erklärt werden konnten, die badische Treue könne
durch nichts in der Welt erschüttert werden. Und zwar erstreckte sich diese
vielleicht beispiellose Schonung nicht allein auf das politische, sondern auch
auf das militärische Gebiet. Trotz Allianzverträgen konnte es sich die bay¬
rische und würtenbergische Armeeverwaltung so bequem machen, als es die
Kammeropposition gegen Preußen erheischte. Ja. das preußische Entgegen¬
kommen scheint sich nicht einmal darauf beschränkt zu haben, die bayrische und
würtenbergische Selbständigkeit ganz unbehindert gewähren zu lassen, son¬
dern eine Weile selbst den Bemühungen um die Aufrichtung eines Südbun¬
des aufrichtig hilfreich gewesen zu sein.
Grenzboten IV. 1870. 9
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