Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die reguläre Armee, weil ihre regulären Sanitätseorps zu schwach sind, zwar
der freiwilligen Hilfsthätigkeit gar nicht entbehren kann, daß aber die Ver¬
bindung zwischen jener und dieser viel zu lose ist. Es leuchtet ein, daßi man
die Zahl der Sarnath-Truppen unserer Armee nicht ohne Weiteres, auch in
Friedenszeiten, verzehnfachen kann. Aber das ist auch nicht nöthig. Nur
müßte vor jedem Kriege vom Armee-Commando aus ein Ruf an solche Per¬
sonen ergehen, welche freiwillig als Sanitätssoldaten dienen und sich natür¬
lich dem Commando der Sanitätstruppen vollständig unde, werfen wollen.
Eine strenge Musterung müßte die untauglichen Elemente ausscheiden ; die taug¬
lichen könnten bis zu den ersten Gefechten nothdürftig ausgebildet und völlig aus¬
rüstet werden; sie würden, wie das ja bei den Aerzten häufig vorkommt, "auf
Kriegsdauer" eingestellt. Man hätte so auf Kriegsdauer eine werthvolle, ja unent¬
behrliche Ergänzung des regulären Sanitätscorps, welches letztere überall den
Kern und Rahmen der ganzen Truppe bilden müßte. Man wäre so mit
einem Male auch jene zahllosen Schaaren los, welche der moderne Sprach¬
gebrauch als "Schlachtenbummler" bezeichnet, und welche erfahrungsmäßig
oft den Bewegungen, öfter den Verpflegungen der Truppen geradezu hinder¬
lich sind -- jene Schaaren von im besten Falle nur neugierigen Trägern
der Genfer Binde, welche den mit dem gleichen Zeichen ausgestatteten wirk¬
lich zur Hilfe entschlossenen und geschickten Personen den Ruf verderben und
es dahin bringen, daß Alles, was sich freiwillig zum Dienst auf dem Schlacht¬
felde anbietet, von der Armee mit scheelen Augen angesehen wird.

Man würde so aber auch über eine Anomalie hinwegkommen, welche
sich, wie schon im 66er, so auch im jetzigen Kriege oft genug als verderben¬
bringend herausgestellt hat, die Anomalie nämlich, daß die Leitung der frei¬
willigen Hilfsthätigkeit zum selbstverständlichen Berufe solcher Personen ge¬
macht wird, welche im Zweifel dazu nichts mitbringen, als die Uniform, das
Ordenskreuz und die Ahnenprobe. Das romantische Institut des Johanniter-
Ordens paßt in unsere nüchterne, praktische Zeit nicht, in der es nicht mehr
möglich ist, die Leute glauben zu machen, daß ein Rock und ein Orden und
ein Zeugniß über das Vorhandensein einer gewissen Ahnenzahl den Träger
dieser schönen Dinge zu einem gewissen Dienste fähig mache, zu dem eben
ganz bestimmte innere Fähigkeiten gehören. Es mögen ja unter diesen Herren
Ordensrittern manche treffliche Elemente sein, Männer, welche ihr Gelübde
heilig halten und es zu erfüllen ebenso bestrebt wie geschickt sind. Aber es
widerstreitet doch aller Vernunft und Erfahrung, von der Annahme auszu¬
gehen und auf die Voraussetzung bestimmte Einrichtungen zu bauen, daß wer
gewisse, ganz äußerliche Bedingungen, und darunter solche, deren Erfüllung
von der Willenskraft des Einzelnen gar nicht abhängt, erfüllt habe, nun auch
der Mann sein müsse, um Functionen zu versehen, zu deren erfolgreicher Ver-


die reguläre Armee, weil ihre regulären Sanitätseorps zu schwach sind, zwar
der freiwilligen Hilfsthätigkeit gar nicht entbehren kann, daß aber die Ver¬
bindung zwischen jener und dieser viel zu lose ist. Es leuchtet ein, daßi man
die Zahl der Sarnath-Truppen unserer Armee nicht ohne Weiteres, auch in
Friedenszeiten, verzehnfachen kann. Aber das ist auch nicht nöthig. Nur
müßte vor jedem Kriege vom Armee-Commando aus ein Ruf an solche Per¬
sonen ergehen, welche freiwillig als Sanitätssoldaten dienen und sich natür¬
lich dem Commando der Sanitätstruppen vollständig unde, werfen wollen.
Eine strenge Musterung müßte die untauglichen Elemente ausscheiden ; die taug¬
lichen könnten bis zu den ersten Gefechten nothdürftig ausgebildet und völlig aus¬
rüstet werden; sie würden, wie das ja bei den Aerzten häufig vorkommt, „auf
Kriegsdauer" eingestellt. Man hätte so auf Kriegsdauer eine werthvolle, ja unent¬
behrliche Ergänzung des regulären Sanitätscorps, welches letztere überall den
Kern und Rahmen der ganzen Truppe bilden müßte. Man wäre so mit
einem Male auch jene zahllosen Schaaren los, welche der moderne Sprach¬
gebrauch als „Schlachtenbummler" bezeichnet, und welche erfahrungsmäßig
oft den Bewegungen, öfter den Verpflegungen der Truppen geradezu hinder¬
lich sind — jene Schaaren von im besten Falle nur neugierigen Trägern
der Genfer Binde, welche den mit dem gleichen Zeichen ausgestatteten wirk¬
lich zur Hilfe entschlossenen und geschickten Personen den Ruf verderben und
es dahin bringen, daß Alles, was sich freiwillig zum Dienst auf dem Schlacht¬
felde anbietet, von der Armee mit scheelen Augen angesehen wird.

Man würde so aber auch über eine Anomalie hinwegkommen, welche
sich, wie schon im 66er, so auch im jetzigen Kriege oft genug als verderben¬
bringend herausgestellt hat, die Anomalie nämlich, daß die Leitung der frei¬
willigen Hilfsthätigkeit zum selbstverständlichen Berufe solcher Personen ge¬
macht wird, welche im Zweifel dazu nichts mitbringen, als die Uniform, das
Ordenskreuz und die Ahnenprobe. Das romantische Institut des Johanniter-
Ordens paßt in unsere nüchterne, praktische Zeit nicht, in der es nicht mehr
möglich ist, die Leute glauben zu machen, daß ein Rock und ein Orden und
ein Zeugniß über das Vorhandensein einer gewissen Ahnenzahl den Träger
dieser schönen Dinge zu einem gewissen Dienste fähig mache, zu dem eben
ganz bestimmte innere Fähigkeiten gehören. Es mögen ja unter diesen Herren
Ordensrittern manche treffliche Elemente sein, Männer, welche ihr Gelübde
heilig halten und es zu erfüllen ebenso bestrebt wie geschickt sind. Aber es
widerstreitet doch aller Vernunft und Erfahrung, von der Annahme auszu¬
gehen und auf die Voraussetzung bestimmte Einrichtungen zu bauen, daß wer
gewisse, ganz äußerliche Bedingungen, und darunter solche, deren Erfüllung
von der Willenskraft des Einzelnen gar nicht abhängt, erfüllt habe, nun auch
der Mann sein müsse, um Functionen zu versehen, zu deren erfolgreicher Ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124767"/>
          <p xml:id="ID_172" prev="#ID_171"> die reguläre Armee, weil ihre regulären Sanitätseorps zu schwach sind, zwar<lb/>
der freiwilligen Hilfsthätigkeit gar nicht entbehren kann, daß aber die Ver¬<lb/>
bindung zwischen jener und dieser viel zu lose ist. Es leuchtet ein, daßi man<lb/>
die Zahl der Sarnath-Truppen unserer Armee nicht ohne Weiteres, auch in<lb/>
Friedenszeiten, verzehnfachen kann. Aber das ist auch nicht nöthig. Nur<lb/>
müßte vor jedem Kriege vom Armee-Commando aus ein Ruf an solche Per¬<lb/>
sonen ergehen, welche freiwillig als Sanitätssoldaten dienen und sich natür¬<lb/>
lich dem Commando der Sanitätstruppen vollständig unde, werfen wollen.<lb/>
Eine strenge Musterung müßte die untauglichen Elemente ausscheiden ; die taug¬<lb/>
lichen könnten bis zu den ersten Gefechten nothdürftig ausgebildet und völlig aus¬<lb/>
rüstet werden; sie würden, wie das ja bei den Aerzten häufig vorkommt, &#x201E;auf<lb/>
Kriegsdauer" eingestellt. Man hätte so auf Kriegsdauer eine werthvolle, ja unent¬<lb/>
behrliche Ergänzung des regulären Sanitätscorps, welches letztere überall den<lb/>
Kern und Rahmen der ganzen Truppe bilden müßte. Man wäre so mit<lb/>
einem Male auch jene zahllosen Schaaren los, welche der moderne Sprach¬<lb/>
gebrauch als &#x201E;Schlachtenbummler" bezeichnet, und welche erfahrungsmäßig<lb/>
oft den Bewegungen, öfter den Verpflegungen der Truppen geradezu hinder¬<lb/>
lich sind &#x2014; jene Schaaren von im besten Falle nur neugierigen Trägern<lb/>
der Genfer Binde, welche den mit dem gleichen Zeichen ausgestatteten wirk¬<lb/>
lich zur Hilfe entschlossenen und geschickten Personen den Ruf verderben und<lb/>
es dahin bringen, daß Alles, was sich freiwillig zum Dienst auf dem Schlacht¬<lb/>
felde anbietet, von der Armee mit scheelen Augen angesehen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_173" next="#ID_174"> Man würde so aber auch über eine Anomalie hinwegkommen, welche<lb/>
sich, wie schon im 66er, so auch im jetzigen Kriege oft genug als verderben¬<lb/>
bringend herausgestellt hat, die Anomalie nämlich, daß die Leitung der frei¬<lb/>
willigen Hilfsthätigkeit zum selbstverständlichen Berufe solcher Personen ge¬<lb/>
macht wird, welche im Zweifel dazu nichts mitbringen, als die Uniform, das<lb/>
Ordenskreuz und die Ahnenprobe. Das romantische Institut des Johanniter-<lb/>
Ordens paßt in unsere nüchterne, praktische Zeit nicht, in der es nicht mehr<lb/>
möglich ist, die Leute glauben zu machen, daß ein Rock und ein Orden und<lb/>
ein Zeugniß über das Vorhandensein einer gewissen Ahnenzahl den Träger<lb/>
dieser schönen Dinge zu einem gewissen Dienste fähig mache, zu dem eben<lb/>
ganz bestimmte innere Fähigkeiten gehören. Es mögen ja unter diesen Herren<lb/>
Ordensrittern manche treffliche Elemente sein, Männer, welche ihr Gelübde<lb/>
heilig halten und es zu erfüllen ebenso bestrebt wie geschickt sind. Aber es<lb/>
widerstreitet doch aller Vernunft und Erfahrung, von der Annahme auszu¬<lb/>
gehen und auf die Voraussetzung bestimmte Einrichtungen zu bauen, daß wer<lb/>
gewisse, ganz äußerliche Bedingungen, und darunter solche, deren Erfüllung<lb/>
von der Willenskraft des Einzelnen gar nicht abhängt, erfüllt habe, nun auch<lb/>
der Mann sein müsse, um Functionen zu versehen, zu deren erfolgreicher Ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] die reguläre Armee, weil ihre regulären Sanitätseorps zu schwach sind, zwar der freiwilligen Hilfsthätigkeit gar nicht entbehren kann, daß aber die Ver¬ bindung zwischen jener und dieser viel zu lose ist. Es leuchtet ein, daßi man die Zahl der Sarnath-Truppen unserer Armee nicht ohne Weiteres, auch in Friedenszeiten, verzehnfachen kann. Aber das ist auch nicht nöthig. Nur müßte vor jedem Kriege vom Armee-Commando aus ein Ruf an solche Per¬ sonen ergehen, welche freiwillig als Sanitätssoldaten dienen und sich natür¬ lich dem Commando der Sanitätstruppen vollständig unde, werfen wollen. Eine strenge Musterung müßte die untauglichen Elemente ausscheiden ; die taug¬ lichen könnten bis zu den ersten Gefechten nothdürftig ausgebildet und völlig aus¬ rüstet werden; sie würden, wie das ja bei den Aerzten häufig vorkommt, „auf Kriegsdauer" eingestellt. Man hätte so auf Kriegsdauer eine werthvolle, ja unent¬ behrliche Ergänzung des regulären Sanitätscorps, welches letztere überall den Kern und Rahmen der ganzen Truppe bilden müßte. Man wäre so mit einem Male auch jene zahllosen Schaaren los, welche der moderne Sprach¬ gebrauch als „Schlachtenbummler" bezeichnet, und welche erfahrungsmäßig oft den Bewegungen, öfter den Verpflegungen der Truppen geradezu hinder¬ lich sind — jene Schaaren von im besten Falle nur neugierigen Trägern der Genfer Binde, welche den mit dem gleichen Zeichen ausgestatteten wirk¬ lich zur Hilfe entschlossenen und geschickten Personen den Ruf verderben und es dahin bringen, daß Alles, was sich freiwillig zum Dienst auf dem Schlacht¬ felde anbietet, von der Armee mit scheelen Augen angesehen wird. Man würde so aber auch über eine Anomalie hinwegkommen, welche sich, wie schon im 66er, so auch im jetzigen Kriege oft genug als verderben¬ bringend herausgestellt hat, die Anomalie nämlich, daß die Leitung der frei¬ willigen Hilfsthätigkeit zum selbstverständlichen Berufe solcher Personen ge¬ macht wird, welche im Zweifel dazu nichts mitbringen, als die Uniform, das Ordenskreuz und die Ahnenprobe. Das romantische Institut des Johanniter- Ordens paßt in unsere nüchterne, praktische Zeit nicht, in der es nicht mehr möglich ist, die Leute glauben zu machen, daß ein Rock und ein Orden und ein Zeugniß über das Vorhandensein einer gewissen Ahnenzahl den Träger dieser schönen Dinge zu einem gewissen Dienste fähig mache, zu dem eben ganz bestimmte innere Fähigkeiten gehören. Es mögen ja unter diesen Herren Ordensrittern manche treffliche Elemente sein, Männer, welche ihr Gelübde heilig halten und es zu erfüllen ebenso bestrebt wie geschickt sind. Aber es widerstreitet doch aller Vernunft und Erfahrung, von der Annahme auszu¬ gehen und auf die Voraussetzung bestimmte Einrichtungen zu bauen, daß wer gewisse, ganz äußerliche Bedingungen, und darunter solche, deren Erfüllung von der Willenskraft des Einzelnen gar nicht abhängt, erfüllt habe, nun auch der Mann sein müsse, um Functionen zu versehen, zu deren erfolgreicher Ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/61
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/61>, abgerufen am 22.12.2024.