Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

aus den selbst geschlagenen Wunden der Hugenottenkriege, und doch dauerten
in Metz noch lange die Spuren einer deutschen Partei fort. Nachdem zum
letzten Male der Kaiser Matthias (1614) die Metzer vergeblich zur Treue
gegen das Reich ermahnt, errichtete der eiserne Richelieu (1633) in der
Stadt, um sie ans engste an Frankreich zu ketten, ein Parlament als obersten
Gerichtshof für die drei Bisthümer, wodurch die Appellationen an die kaiser-
liche Kammer in Speier ein Ende nahmen. Statt des Reichsadlers erschie¬
nen jetzt die Lilien in den großen Gerichtssiegeln. Im westfälischen Frieden
erfolgte endlich (1648) die rechtsgiltige Abtretung an Frankreich; der kirch¬
liche Zusammenhang mit Trier, an dessen Stelle Besanxon trat, hörte erst
mit dem Ende des deutschen Reiches auf.

Gleichzeitig mit dieser Lösung von Deutschland wurden auch die Frei¬
heiten der Stadt, obgleich von allen Königen beschworen, mehr und mehr
zum wesenlosen Schatten. Eine starke Besatzung, der Bürgerschaft, bei der
sie einquartirt war, eine furchtbare Last -- denn erst 1726 wurde für dieselbe
die erste Caserne erbaut --, hielt alle Regungen der Selbständigkeit nieder.
Das von den Einwohnern mit großer Abneigung begrüßte Parlament,
-- es brachte gleichzeitig die Abschaffung der Dreizehn und die Einfüh¬
rung einer Salzsteuer mit sich -- bildete ein neues starkes Glied in der
Kette. Mit rührender Anhänglichkeit hielten dennoch die Bürger bis zur
Revolution, welche die letzten Reste der alten Zeit hinwegfegte, an ihrem
Schöffenmeister fest, der von seinen früheren Vorzügen wenigstens den Ritter-
rang und das Recht sich bewahrt hatte, allein und ohne Kniebeugung mit
dem Könige zu reden. Sein Amtsantritt war, fast wie der der Consuln im
alten Rom, ein allgemeines Fest, zumal wenn er sich unter dem Geläute der
uur selten vernommenen großen Glocke, 1a, Rutte genannt, in feierlichem
Aufzuge in die Kathedrale begab und dabei kleine Münzen unter das Volk
ausstreute.

Eine Seite in dem Bilde der sinkenden Stadt fesselt noch besonders un¬
sere Aufmerksamkeit, die religiöse. Wie Bischof und Klerisei vornehmlich Metz
an Frankreich überliefert hatten, so deuteten sie dessen Erfolg nun ihrer-
seits dazu aus, ketzerische Lehren und Schriften sofort durch strenges Verbot
zu unterdrücken. Ihr Bemühen aber drang um so weniger durch, als Vieille-
ville mit dem Bischöfe ohnehin verfeindet, aus politischer Klugheit in der
Strenge gegen die Protestanten nachließ, so daß diese seit 15S8 offen hervor¬
traten. War früher der erste Anstoß von Deutschland ausgegangen im
lutherischen Sinne, so schloß sich Metz jetzt vielmehr ganz der hugenottischen
Bewegung an. Seit 1362 nahm diese in der Stadt einen großen Auf¬
schwung, Priester und Nonnen heiratheten, die Calvinisten gründeten eine
Kirche, ein Collegium und eine Druckerei, ja sie versuchten 1367 durch eine


aus den selbst geschlagenen Wunden der Hugenottenkriege, und doch dauerten
in Metz noch lange die Spuren einer deutschen Partei fort. Nachdem zum
letzten Male der Kaiser Matthias (1614) die Metzer vergeblich zur Treue
gegen das Reich ermahnt, errichtete der eiserne Richelieu (1633) in der
Stadt, um sie ans engste an Frankreich zu ketten, ein Parlament als obersten
Gerichtshof für die drei Bisthümer, wodurch die Appellationen an die kaiser-
liche Kammer in Speier ein Ende nahmen. Statt des Reichsadlers erschie¬
nen jetzt die Lilien in den großen Gerichtssiegeln. Im westfälischen Frieden
erfolgte endlich (1648) die rechtsgiltige Abtretung an Frankreich; der kirch¬
liche Zusammenhang mit Trier, an dessen Stelle Besanxon trat, hörte erst
mit dem Ende des deutschen Reiches auf.

Gleichzeitig mit dieser Lösung von Deutschland wurden auch die Frei¬
heiten der Stadt, obgleich von allen Königen beschworen, mehr und mehr
zum wesenlosen Schatten. Eine starke Besatzung, der Bürgerschaft, bei der
sie einquartirt war, eine furchtbare Last — denn erst 1726 wurde für dieselbe
die erste Caserne erbaut —, hielt alle Regungen der Selbständigkeit nieder.
Das von den Einwohnern mit großer Abneigung begrüßte Parlament,
— es brachte gleichzeitig die Abschaffung der Dreizehn und die Einfüh¬
rung einer Salzsteuer mit sich — bildete ein neues starkes Glied in der
Kette. Mit rührender Anhänglichkeit hielten dennoch die Bürger bis zur
Revolution, welche die letzten Reste der alten Zeit hinwegfegte, an ihrem
Schöffenmeister fest, der von seinen früheren Vorzügen wenigstens den Ritter-
rang und das Recht sich bewahrt hatte, allein und ohne Kniebeugung mit
dem Könige zu reden. Sein Amtsantritt war, fast wie der der Consuln im
alten Rom, ein allgemeines Fest, zumal wenn er sich unter dem Geläute der
uur selten vernommenen großen Glocke, 1a, Rutte genannt, in feierlichem
Aufzuge in die Kathedrale begab und dabei kleine Münzen unter das Volk
ausstreute.

Eine Seite in dem Bilde der sinkenden Stadt fesselt noch besonders un¬
sere Aufmerksamkeit, die religiöse. Wie Bischof und Klerisei vornehmlich Metz
an Frankreich überliefert hatten, so deuteten sie dessen Erfolg nun ihrer-
seits dazu aus, ketzerische Lehren und Schriften sofort durch strenges Verbot
zu unterdrücken. Ihr Bemühen aber drang um so weniger durch, als Vieille-
ville mit dem Bischöfe ohnehin verfeindet, aus politischer Klugheit in der
Strenge gegen die Protestanten nachließ, so daß diese seit 15S8 offen hervor¬
traten. War früher der erste Anstoß von Deutschland ausgegangen im
lutherischen Sinne, so schloß sich Metz jetzt vielmehr ganz der hugenottischen
Bewegung an. Seit 1362 nahm diese in der Stadt einen großen Auf¬
schwung, Priester und Nonnen heiratheten, die Calvinisten gründeten eine
Kirche, ein Collegium und eine Druckerei, ja sie versuchten 1367 durch eine


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125207"/>
          <p xml:id="ID_1526" prev="#ID_1525"> aus den selbst geschlagenen Wunden der Hugenottenkriege, und doch dauerten<lb/>
in Metz noch lange die Spuren einer deutschen Partei fort. Nachdem zum<lb/>
letzten Male der Kaiser Matthias (1614) die Metzer vergeblich zur Treue<lb/>
gegen das Reich ermahnt, errichtete der eiserne Richelieu (1633) in der<lb/>
Stadt, um sie ans engste an Frankreich zu ketten, ein Parlament als obersten<lb/>
Gerichtshof für die drei Bisthümer, wodurch die Appellationen an die kaiser-<lb/>
liche Kammer in Speier ein Ende nahmen. Statt des Reichsadlers erschie¬<lb/>
nen jetzt die Lilien in den großen Gerichtssiegeln. Im westfälischen Frieden<lb/>
erfolgte endlich (1648) die rechtsgiltige Abtretung an Frankreich; der kirch¬<lb/>
liche Zusammenhang mit Trier, an dessen Stelle Besanxon trat, hörte erst<lb/>
mit dem Ende des deutschen Reiches auf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1527"> Gleichzeitig mit dieser Lösung von Deutschland wurden auch die Frei¬<lb/>
heiten der Stadt, obgleich von allen Königen beschworen, mehr und mehr<lb/>
zum wesenlosen Schatten. Eine starke Besatzung, der Bürgerschaft, bei der<lb/>
sie einquartirt war, eine furchtbare Last &#x2014; denn erst 1726 wurde für dieselbe<lb/>
die erste Caserne erbaut &#x2014;, hielt alle Regungen der Selbständigkeit nieder.<lb/>
Das von den Einwohnern mit großer Abneigung begrüßte Parlament,<lb/>
&#x2014; es brachte gleichzeitig die Abschaffung der Dreizehn und die Einfüh¬<lb/>
rung einer Salzsteuer mit sich &#x2014; bildete ein neues starkes Glied in der<lb/>
Kette. Mit rührender Anhänglichkeit hielten dennoch die Bürger bis zur<lb/>
Revolution, welche die letzten Reste der alten Zeit hinwegfegte, an ihrem<lb/>
Schöffenmeister fest, der von seinen früheren Vorzügen wenigstens den Ritter-<lb/>
rang und das Recht sich bewahrt hatte, allein und ohne Kniebeugung mit<lb/>
dem Könige zu reden. Sein Amtsantritt war, fast wie der der Consuln im<lb/>
alten Rom, ein allgemeines Fest, zumal wenn er sich unter dem Geläute der<lb/>
uur selten vernommenen großen Glocke, 1a, Rutte genannt, in feierlichem<lb/>
Aufzuge in die Kathedrale begab und dabei kleine Münzen unter das Volk<lb/>
ausstreute.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1528" next="#ID_1529"> Eine Seite in dem Bilde der sinkenden Stadt fesselt noch besonders un¬<lb/>
sere Aufmerksamkeit, die religiöse. Wie Bischof und Klerisei vornehmlich Metz<lb/>
an Frankreich überliefert hatten, so deuteten sie dessen Erfolg nun ihrer-<lb/>
seits dazu aus, ketzerische Lehren und Schriften sofort durch strenges Verbot<lb/>
zu unterdrücken. Ihr Bemühen aber drang um so weniger durch, als Vieille-<lb/>
ville mit dem Bischöfe ohnehin verfeindet, aus politischer Klugheit in der<lb/>
Strenge gegen die Protestanten nachließ, so daß diese seit 15S8 offen hervor¬<lb/>
traten. War früher der erste Anstoß von Deutschland ausgegangen im<lb/>
lutherischen Sinne, so schloß sich Metz jetzt vielmehr ganz der hugenottischen<lb/>
Bewegung an. Seit 1362 nahm diese in der Stadt einen großen Auf¬<lb/>
schwung, Priester und Nonnen heiratheten, die Calvinisten gründeten eine<lb/>
Kirche, ein Collegium und eine Druckerei, ja sie versuchten 1367 durch eine</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0501] aus den selbst geschlagenen Wunden der Hugenottenkriege, und doch dauerten in Metz noch lange die Spuren einer deutschen Partei fort. Nachdem zum letzten Male der Kaiser Matthias (1614) die Metzer vergeblich zur Treue gegen das Reich ermahnt, errichtete der eiserne Richelieu (1633) in der Stadt, um sie ans engste an Frankreich zu ketten, ein Parlament als obersten Gerichtshof für die drei Bisthümer, wodurch die Appellationen an die kaiser- liche Kammer in Speier ein Ende nahmen. Statt des Reichsadlers erschie¬ nen jetzt die Lilien in den großen Gerichtssiegeln. Im westfälischen Frieden erfolgte endlich (1648) die rechtsgiltige Abtretung an Frankreich; der kirch¬ liche Zusammenhang mit Trier, an dessen Stelle Besanxon trat, hörte erst mit dem Ende des deutschen Reiches auf. Gleichzeitig mit dieser Lösung von Deutschland wurden auch die Frei¬ heiten der Stadt, obgleich von allen Königen beschworen, mehr und mehr zum wesenlosen Schatten. Eine starke Besatzung, der Bürgerschaft, bei der sie einquartirt war, eine furchtbare Last — denn erst 1726 wurde für dieselbe die erste Caserne erbaut —, hielt alle Regungen der Selbständigkeit nieder. Das von den Einwohnern mit großer Abneigung begrüßte Parlament, — es brachte gleichzeitig die Abschaffung der Dreizehn und die Einfüh¬ rung einer Salzsteuer mit sich — bildete ein neues starkes Glied in der Kette. Mit rührender Anhänglichkeit hielten dennoch die Bürger bis zur Revolution, welche die letzten Reste der alten Zeit hinwegfegte, an ihrem Schöffenmeister fest, der von seinen früheren Vorzügen wenigstens den Ritter- rang und das Recht sich bewahrt hatte, allein und ohne Kniebeugung mit dem Könige zu reden. Sein Amtsantritt war, fast wie der der Consuln im alten Rom, ein allgemeines Fest, zumal wenn er sich unter dem Geläute der uur selten vernommenen großen Glocke, 1a, Rutte genannt, in feierlichem Aufzuge in die Kathedrale begab und dabei kleine Münzen unter das Volk ausstreute. Eine Seite in dem Bilde der sinkenden Stadt fesselt noch besonders un¬ sere Aufmerksamkeit, die religiöse. Wie Bischof und Klerisei vornehmlich Metz an Frankreich überliefert hatten, so deuteten sie dessen Erfolg nun ihrer- seits dazu aus, ketzerische Lehren und Schriften sofort durch strenges Verbot zu unterdrücken. Ihr Bemühen aber drang um so weniger durch, als Vieille- ville mit dem Bischöfe ohnehin verfeindet, aus politischer Klugheit in der Strenge gegen die Protestanten nachließ, so daß diese seit 15S8 offen hervor¬ traten. War früher der erste Anstoß von Deutschland ausgegangen im lutherischen Sinne, so schloß sich Metz jetzt vielmehr ganz der hugenottischen Bewegung an. Seit 1362 nahm diese in der Stadt einen großen Auf¬ schwung, Priester und Nonnen heiratheten, die Calvinisten gründeten eine Kirche, ein Collegium und eine Druckerei, ja sie versuchten 1367 durch eine

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/501
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/501>, abgerufen am 22.12.2024.