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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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sich, daß die demagogische Phrase abgenützt ist und der Appell an die klein¬
bürgerliche Schwärmerei für kleine Steuern und kleine Militärlasten vor
den großen Thatsachen des nationalen Kriegs seine Kraft verloren hat. Es
ist wirklich in diesen Kriegswochen ein Läuterungsproceß im Innern des
schwäbischen Volkes vor sich gegangen, und gerne sehen sich auch die Mi߬
trauischen belehrt, die befürchteten, daß die Empfänglichkeit für die geschickten
Schlagworte der radicalen Wühleret tiefer liege und durch den Wahlkampf
auf's Neue gereizt und genährt werden möchte. Und allerdings ein heißer
Kampf war es in den meisten Bezirken, denn die demokratischen und ultra¬
montanen Bewerber vertheidigten mit Leidenschaft ihre alten Stellungen,
und auch sie entnahmen ihre stärksten Argumente dem mörderischen unab¬
sehbaren Kriege. Wiederum ließe sich eine wenig erbauliche Blumenlese zu¬
sammenstellen. Klagte doch Probst geradezu Preußen an, daß es von 1866
her der intellectuelleUrheber dieses Krieges sei. Hopf, unser schwäbischer Jacoby,
scheute sich nicht den Wählern zu sagen: auf die Frage wer Schuld an dem
Kriege sei, lasse er sich nicht ein; ein Eroberer sei selten mit dem zufrieden
was er habe, heiße er nun Napoleon oder Wilhelm. Das Wort: du sollst
nicht tödten, gelte für Napoleon und König Wilhelm ebenso gut wie für
den gemeinen Mann. Nach Sedan hätte man Friede machen sollen und
nicht den Krieg fortsetzen gegen eine edelmüthige und brave Nation, die
nichts von uns gewollt hat. Daß man mit dem Eintritt in den Bund un¬
erschwingliche. Alles verzehrende Lasten für das Militärwesen aus sich nehme,
daß die Rechtspflege bedroht, die Staatsfinanzen ruinirt seien, die totale
Vernachlässigung des Schulunterrichts bevorstehe, das und ähnliches war
genau, wie bei den Wahlen vor zwei Jahren, der stehende Refrain in den
Reden der Gegner.

Vielleicht findet man, daß mitten in einem solchem Kriege das Gericht
des allgemeinen Stimmrechts über die alten Parteien noch vernichtender hätte
ausfallen sollen. Auch in der neuen Kammer werden die Probst, Mohl
Hopf, Osterlen und Andre ihrer Gesinnungsgenossen ihre Sitze wieder ein¬
nehmen. Allein wer die jahrelange Agitation kennt, die mit jenen schlechten
Mitteln in unsrem Volk getrieben wurde, wird den Ausfall immerhin für
einen höchst erfreulichen Fortschritt zum Besseren halten müssen. Auch ist
die Bedeutung des klerikalen Elements nicht zu unterschätzen, das nun einmal
unbelehrbar ist, und weit gefährlicher sich zeigt, als der Lärm der Radicalen.
Es ist voraussehen, -- und gerade diese Wahl liefert beachtenswerthe Symp¬
tome -- daß den Klerikalen in Zukunft die eigentliche Leitung der Opposition
zufallen wird, und unsre Zustände werden somit mehr und mehr denen in Bayern
und Baden verwandt werden. In Zukunft werden die unversöhnlichen Demo¬
kraten nur noch dieversprengten Franctireurs des ultramontanen Hauptheeres sein.


sich, daß die demagogische Phrase abgenützt ist und der Appell an die klein¬
bürgerliche Schwärmerei für kleine Steuern und kleine Militärlasten vor
den großen Thatsachen des nationalen Kriegs seine Kraft verloren hat. Es
ist wirklich in diesen Kriegswochen ein Läuterungsproceß im Innern des
schwäbischen Volkes vor sich gegangen, und gerne sehen sich auch die Mi߬
trauischen belehrt, die befürchteten, daß die Empfänglichkeit für die geschickten
Schlagworte der radicalen Wühleret tiefer liege und durch den Wahlkampf
auf's Neue gereizt und genährt werden möchte. Und allerdings ein heißer
Kampf war es in den meisten Bezirken, denn die demokratischen und ultra¬
montanen Bewerber vertheidigten mit Leidenschaft ihre alten Stellungen,
und auch sie entnahmen ihre stärksten Argumente dem mörderischen unab¬
sehbaren Kriege. Wiederum ließe sich eine wenig erbauliche Blumenlese zu¬
sammenstellen. Klagte doch Probst geradezu Preußen an, daß es von 1866
her der intellectuelleUrheber dieses Krieges sei. Hopf, unser schwäbischer Jacoby,
scheute sich nicht den Wählern zu sagen: auf die Frage wer Schuld an dem
Kriege sei, lasse er sich nicht ein; ein Eroberer sei selten mit dem zufrieden
was er habe, heiße er nun Napoleon oder Wilhelm. Das Wort: du sollst
nicht tödten, gelte für Napoleon und König Wilhelm ebenso gut wie für
den gemeinen Mann. Nach Sedan hätte man Friede machen sollen und
nicht den Krieg fortsetzen gegen eine edelmüthige und brave Nation, die
nichts von uns gewollt hat. Daß man mit dem Eintritt in den Bund un¬
erschwingliche. Alles verzehrende Lasten für das Militärwesen aus sich nehme,
daß die Rechtspflege bedroht, die Staatsfinanzen ruinirt seien, die totale
Vernachlässigung des Schulunterrichts bevorstehe, das und ähnliches war
genau, wie bei den Wahlen vor zwei Jahren, der stehende Refrain in den
Reden der Gegner.

Vielleicht findet man, daß mitten in einem solchem Kriege das Gericht
des allgemeinen Stimmrechts über die alten Parteien noch vernichtender hätte
ausfallen sollen. Auch in der neuen Kammer werden die Probst, Mohl
Hopf, Osterlen und Andre ihrer Gesinnungsgenossen ihre Sitze wieder ein¬
nehmen. Allein wer die jahrelange Agitation kennt, die mit jenen schlechten
Mitteln in unsrem Volk getrieben wurde, wird den Ausfall immerhin für
einen höchst erfreulichen Fortschritt zum Besseren halten müssen. Auch ist
die Bedeutung des klerikalen Elements nicht zu unterschätzen, das nun einmal
unbelehrbar ist, und weit gefährlicher sich zeigt, als der Lärm der Radicalen.
Es ist voraussehen, — und gerade diese Wahl liefert beachtenswerthe Symp¬
tome — daß den Klerikalen in Zukunft die eigentliche Leitung der Opposition
zufallen wird, und unsre Zustände werden somit mehr und mehr denen in Bayern
und Baden verwandt werden. In Zukunft werden die unversöhnlichen Demo¬
kraten nur noch dieversprengten Franctireurs des ultramontanen Hauptheeres sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/480>, abgerufen am 22.12.2024.