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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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oder reichlich bemessen waren -- gletchviel.^wenn sie.nur an die Alpen reichte.
Dies blieb fortan der Inhalt der Wahlbewegung, und so sprach sich das
allgemeine Stimmrecht am 3. December über die Frage aus. ob Württem¬
berg dem neuen deutschen Bunde angehören solle oder nicht.

Noch vor dem Wahltag aber wurden plötzlich die Gemüther nach einer
ganz anderen Seite hin in Anspruch genommen. Eine tiefe Trauer und Be¬
stürzung bemächtigte sich des Landes, als die Kunde von den blutigen Aus¬
fallgefechten an der Marne vom 30. November und 2. December einliefen.
Die Württemberger hatten an diesen Tagen den heftigsten Ansturm des weit
überlegenen Feindes auszuhalten; sie erlitten Verluste, die in Hunderten von
Familien plötzlich Niedergeschlagenheit und Sorge verbreiteten. Wenn man
sie gegen diejenigen hält, welche die anderen Staaten erlitten hatten, so
konnte man sie freilich keineswegs unverhältnißmäßig nennen. Allein es
waren die ersten großen Verluste, welche Württemberg trafen, und nun
trafen sie zu einer Zeit, da man das Ende des Krieges bereits nahe glaubte
und man fast schon der Sicherheit sich hingab, daß die Gunst des Geschicks,
die unsere Landsleute bisher gnädig verschont hatte, ihnen vollends zu Ende
treu bleiben werde. So traf denn der Schlag allerdings doppelt heftig in
eine Stimmung, die beinahe schon zur Sorglosigkeit geworden war, die sich
an den Gedanken des Wiedersehens der glücklichen Sieger gewöhnt hatte.
Bisher war fröhlich zur Feier der Siege geflaggt worden, die nicht durch
das eigene Blut erkauft waren. An Sorge für die Verwundeten und Kran¬
ken hatte es auch in unserem Lande so wenig als anderswo gefehlt; aber
die Verwundeten, die in den Lazarethen des Landes lagen oder halbgenesen
durch die Straßen gingen, waren fast ausschließlich Preußen oder Bayern
gewesen. Jetzt zum ersten mal trat auch uns der Ernst des Krieges nahe.
Auch bei uns harrte man ängstlich der Verlustlisten. Auch unsere Zeitungen
füllten sich wie Traueranzeigen der Familien, die gefallene Söhne oder Brü¬
der beweinten. Wenn auch unser Contingent vermöge der erst begonnenen
Reorganisation des Heerwesens verhältnißmäßig das kleinste war, so hatte
es sich doch ebenbürtig erwiesen, an Tapferkett und Hingebung stand es
keinem nach: jetzt erst traten wir mit Deutschland in die volle Opfergemein-
schast. Mit einem mal ward die Stimmung eine ernstere, und die Redner
der deutschen Partei, die in den Wahlversammlungen sich auf die von Deutsch¬
land gebrachten Opfer beriefen, die nicht vergebens gebracht sein dürfen,
sahen sich noch in letzter Stunde unvermuthet durch Ereignisse unterstützt,
die einem Jeden unmittelbar zum Herzen sprachen.

Die Wahlen vom 6. December sind zu einem Erfolg der deutschen
Partei geworden, wie er noch während des Wahlkampfes kaum zu hoffen
war. Württemberg hat sich politisch rehabilitirt. Ueber Erwarten zeigte


oder reichlich bemessen waren — gletchviel.^wenn sie.nur an die Alpen reichte.
Dies blieb fortan der Inhalt der Wahlbewegung, und so sprach sich das
allgemeine Stimmrecht am 3. December über die Frage aus. ob Württem¬
berg dem neuen deutschen Bunde angehören solle oder nicht.

Noch vor dem Wahltag aber wurden plötzlich die Gemüther nach einer
ganz anderen Seite hin in Anspruch genommen. Eine tiefe Trauer und Be¬
stürzung bemächtigte sich des Landes, als die Kunde von den blutigen Aus¬
fallgefechten an der Marne vom 30. November und 2. December einliefen.
Die Württemberger hatten an diesen Tagen den heftigsten Ansturm des weit
überlegenen Feindes auszuhalten; sie erlitten Verluste, die in Hunderten von
Familien plötzlich Niedergeschlagenheit und Sorge verbreiteten. Wenn man
sie gegen diejenigen hält, welche die anderen Staaten erlitten hatten, so
konnte man sie freilich keineswegs unverhältnißmäßig nennen. Allein es
waren die ersten großen Verluste, welche Württemberg trafen, und nun
trafen sie zu einer Zeit, da man das Ende des Krieges bereits nahe glaubte
und man fast schon der Sicherheit sich hingab, daß die Gunst des Geschicks,
die unsere Landsleute bisher gnädig verschont hatte, ihnen vollends zu Ende
treu bleiben werde. So traf denn der Schlag allerdings doppelt heftig in
eine Stimmung, die beinahe schon zur Sorglosigkeit geworden war, die sich
an den Gedanken des Wiedersehens der glücklichen Sieger gewöhnt hatte.
Bisher war fröhlich zur Feier der Siege geflaggt worden, die nicht durch
das eigene Blut erkauft waren. An Sorge für die Verwundeten und Kran¬
ken hatte es auch in unserem Lande so wenig als anderswo gefehlt; aber
die Verwundeten, die in den Lazarethen des Landes lagen oder halbgenesen
durch die Straßen gingen, waren fast ausschließlich Preußen oder Bayern
gewesen. Jetzt zum ersten mal trat auch uns der Ernst des Krieges nahe.
Auch bei uns harrte man ängstlich der Verlustlisten. Auch unsere Zeitungen
füllten sich wie Traueranzeigen der Familien, die gefallene Söhne oder Brü¬
der beweinten. Wenn auch unser Contingent vermöge der erst begonnenen
Reorganisation des Heerwesens verhältnißmäßig das kleinste war, so hatte
es sich doch ebenbürtig erwiesen, an Tapferkett und Hingebung stand es
keinem nach: jetzt erst traten wir mit Deutschland in die volle Opfergemein-
schast. Mit einem mal ward die Stimmung eine ernstere, und die Redner
der deutschen Partei, die in den Wahlversammlungen sich auf die von Deutsch¬
land gebrachten Opfer beriefen, die nicht vergebens gebracht sein dürfen,
sahen sich noch in letzter Stunde unvermuthet durch Ereignisse unterstützt,
die einem Jeden unmittelbar zum Herzen sprachen.

Die Wahlen vom 6. December sind zu einem Erfolg der deutschen
Partei geworden, wie er noch während des Wahlkampfes kaum zu hoffen
war. Württemberg hat sich politisch rehabilitirt. Ueber Erwarten zeigte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/479>, abgerufen am 22.12.2024.