vor der Erfüllung ihres seit 4 Jahren festgehaltenen Programms sah, war betroffen über die Einräumungen, die dem Staatenprinzip gemacht wurden, über die Exemtionen und Privilegien, die an Württemberg und mehr noch an Bayern fielen, über die gewaltigen Barrieren, die jedem vernünftigen Fortschritt geflissentlich in den Weg gewälzt wurden. Umgekehrt die Gegner zürnten über eben diese Zugeständnisse, weil sie ihnen einen Theil der polemi¬ schen Argumente, an welche sie sich gewöhnt hatten, entzogen. Lieber wäre ihnen noch der unbedingte Eintritt in den Nordbund gewesen, weil sie dann noch gewaltiger protestiren und ihrer sittlichen Entrüstung hätten Luft machen können. Es ging, wie es immer bei Compromissen gegangen ist: sie befrie¬ digen Niemanden. Und doch war in diesem Fall ein Compromiß das einzig Mögliche gewesen.
Zum Glück hatte man nicht lange Zeit, müßige Kritik zu üben und verdrießlich zur Seite zu stehen. In wenigen Tagen standen die Wahlen zur Abgeordnetenkammer bevor, und dies bewirkte schnell, daß man Stellung für und wider nahm. Die Bewerber um die Sitze in dem künftigen Haus sahen sich genöthigt, vor den Wählern sich zur Annahme oder Verwerfung der neuen Verfassung zu bekennen. Bisher hatte es sich im Wahlkampf über¬ haupt um den Anschluß an den norddeutschen Bund gehandelt, der von der einen Seite verfochten, von der anderen bekämpft wurde. Jetzt da die Mo. dificationen des Eintritts bekannt wurden, zeigte sich bald, daß dies an der Stellung der beiden Hauptparteien lediglich nichts ändern konnte. Die Einen blieben dem Anschluß Feind, trotz der gemachten Einräumungen, die Andern befürworteten den Eintritt, auch unter den unerwünschten Bedingungen. Nur war für die Wahlbewegung der Umstand, daß überhaupt Aenderungen zu Gunsten der Südstaaten gemacht wurden, eher günstig zu nennen. Denn es schlug den Einwand, der von dem Schreckbild des "unbedingten Eintritts" hergenommen war, nieder; das Volk war doch nicht unempfänglich dafür, daß man auch auf der anderen Seite etwas nachgelassen habe, damit der Bruderbund zu Stande komme, und selbst einzelne Candidaten bekamen Lust, darin eine Brücke zu sehen, um von ihrem Nein zu einem Ja über¬ zugehen. Allein das Entscheidende konnten für Freund und Feind nicht diese Details und Abänderungen der Verfassung sein, das Entscheidende war die Verfassung selbst. Die Dinge lagen doch anders als im Norden, wo wenig¬ stens einen Augenblick die Frage aufgeworfen werden konnte, ob die Ver¬ schlechterung der Verfassung aufgewogen werde durch ihre Ausdehnung über die Südstaaten. In diesen letzteren stand nur das eine im Vordergründe: die Ueberbrückung des Mains, die Einfügung in den Bundesstaat, die Aus¬ dehnung von Centralgewalt, Parlament, einheitlicher Heeresverfassung und Gesetzgebung auch auf Württemberg. Ob die Rechte der Centralgewalt karg
vor der Erfüllung ihres seit 4 Jahren festgehaltenen Programms sah, war betroffen über die Einräumungen, die dem Staatenprinzip gemacht wurden, über die Exemtionen und Privilegien, die an Württemberg und mehr noch an Bayern fielen, über die gewaltigen Barrieren, die jedem vernünftigen Fortschritt geflissentlich in den Weg gewälzt wurden. Umgekehrt die Gegner zürnten über eben diese Zugeständnisse, weil sie ihnen einen Theil der polemi¬ schen Argumente, an welche sie sich gewöhnt hatten, entzogen. Lieber wäre ihnen noch der unbedingte Eintritt in den Nordbund gewesen, weil sie dann noch gewaltiger protestiren und ihrer sittlichen Entrüstung hätten Luft machen können. Es ging, wie es immer bei Compromissen gegangen ist: sie befrie¬ digen Niemanden. Und doch war in diesem Fall ein Compromiß das einzig Mögliche gewesen.
Zum Glück hatte man nicht lange Zeit, müßige Kritik zu üben und verdrießlich zur Seite zu stehen. In wenigen Tagen standen die Wahlen zur Abgeordnetenkammer bevor, und dies bewirkte schnell, daß man Stellung für und wider nahm. Die Bewerber um die Sitze in dem künftigen Haus sahen sich genöthigt, vor den Wählern sich zur Annahme oder Verwerfung der neuen Verfassung zu bekennen. Bisher hatte es sich im Wahlkampf über¬ haupt um den Anschluß an den norddeutschen Bund gehandelt, der von der einen Seite verfochten, von der anderen bekämpft wurde. Jetzt da die Mo. dificationen des Eintritts bekannt wurden, zeigte sich bald, daß dies an der Stellung der beiden Hauptparteien lediglich nichts ändern konnte. Die Einen blieben dem Anschluß Feind, trotz der gemachten Einräumungen, die Andern befürworteten den Eintritt, auch unter den unerwünschten Bedingungen. Nur war für die Wahlbewegung der Umstand, daß überhaupt Aenderungen zu Gunsten der Südstaaten gemacht wurden, eher günstig zu nennen. Denn es schlug den Einwand, der von dem Schreckbild des „unbedingten Eintritts" hergenommen war, nieder; das Volk war doch nicht unempfänglich dafür, daß man auch auf der anderen Seite etwas nachgelassen habe, damit der Bruderbund zu Stande komme, und selbst einzelne Candidaten bekamen Lust, darin eine Brücke zu sehen, um von ihrem Nein zu einem Ja über¬ zugehen. Allein das Entscheidende konnten für Freund und Feind nicht diese Details und Abänderungen der Verfassung sein, das Entscheidende war die Verfassung selbst. Die Dinge lagen doch anders als im Norden, wo wenig¬ stens einen Augenblick die Frage aufgeworfen werden konnte, ob die Ver¬ schlechterung der Verfassung aufgewogen werde durch ihre Ausdehnung über die Südstaaten. In diesen letzteren stand nur das eine im Vordergründe: die Ueberbrückung des Mains, die Einfügung in den Bundesstaat, die Aus¬ dehnung von Centralgewalt, Parlament, einheitlicher Heeresverfassung und Gesetzgebung auch auf Württemberg. Ob die Rechte der Centralgewalt karg
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betroffen über die Einräumungen, die dem Staatenprinzip gemacht wurden,
über die Exemtionen und Privilegien, die an Württemberg und mehr noch
an Bayern fielen, über die gewaltigen Barrieren, die jedem vernünftigen
Fortschritt geflissentlich in den Weg gewälzt wurden. Umgekehrt die Gegner
zürnten über eben diese Zugeständnisse, weil sie ihnen einen Theil der polemi¬
schen Argumente, an welche sie sich gewöhnt hatten, entzogen. Lieber wäre
ihnen noch der unbedingte Eintritt in den Nordbund gewesen, weil sie dann
noch gewaltiger protestiren und ihrer sittlichen Entrüstung hätten Luft machen
können. Es ging, wie es immer bei Compromissen gegangen ist: sie befrie¬
digen Niemanden. Und doch war in diesem Fall ein Compromiß das einzig
Mögliche gewesen.
Zum Glück hatte man nicht lange Zeit, müßige Kritik zu üben und
verdrießlich zur Seite zu stehen. In wenigen Tagen standen die Wahlen zur
Abgeordnetenkammer bevor, und dies bewirkte schnell, daß man Stellung für
und wider nahm. Die Bewerber um die Sitze in dem künftigen Haus sahen
sich genöthigt, vor den Wählern sich zur Annahme oder Verwerfung der
neuen Verfassung zu bekennen. Bisher hatte es sich im Wahlkampf über¬
haupt um den Anschluß an den norddeutschen Bund gehandelt, der von der
einen Seite verfochten, von der anderen bekämpft wurde. Jetzt da die Mo.
dificationen des Eintritts bekannt wurden, zeigte sich bald, daß dies an der
Stellung der beiden Hauptparteien lediglich nichts ändern konnte. Die Einen
blieben dem Anschluß Feind, trotz der gemachten Einräumungen, die Andern
befürworteten den Eintritt, auch unter den unerwünschten Bedingungen.
Nur war für die Wahlbewegung der Umstand, daß überhaupt Aenderungen
zu Gunsten der Südstaaten gemacht wurden, eher günstig zu nennen. Denn
es schlug den Einwand, der von dem Schreckbild des „unbedingten Eintritts"
hergenommen war, nieder; das Volk war doch nicht unempfänglich dafür,
daß man auch auf der anderen Seite etwas nachgelassen habe, damit der
Bruderbund zu Stande komme, und selbst einzelne Candidaten bekamen
Lust, darin eine Brücke zu sehen, um von ihrem Nein zu einem Ja über¬
zugehen. Allein das Entscheidende konnten für Freund und Feind nicht diese
Details und Abänderungen der Verfassung sein, das Entscheidende war die
Verfassung selbst. Die Dinge lagen doch anders als im Norden, wo wenig¬
stens einen Augenblick die Frage aufgeworfen werden konnte, ob die Ver¬
schlechterung der Verfassung aufgewogen werde durch ihre Ausdehnung über
die Südstaaten. In diesen letzteren stand nur das eine im Vordergründe:
die Ueberbrückung des Mains, die Einfügung in den Bundesstaat, die Aus¬
dehnung von Centralgewalt, Parlament, einheitlicher Heeresverfassung und
Gesetzgebung auch auf Württemberg. Ob die Rechte der Centralgewalt karg
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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/478>, abgerufen am 01.01.2025.
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