Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Haltens Gespräche möchte man in einem großen Theile der Tondichtungen
des unglücklichen Beethoven vermuthen. Nur daß ich damit keinen Tadel
aussprechen will. Lord Byron hat seinen ganzen Mißmuth leichtfertig in
deutlich redende oder schreiende Verse ergossen, künstlerische Ausgestaltung war
obenein überhaupt seine Sache nicht; Beethoven empfing von seinem Tief¬
sinne stets nur den Antrieb zum Schaffen, bei dem Umgusse seiner düsteren
Gedanken in die Form selbständiger Töne sind jene, wie es nicht anders
sein kann, bis zur Unkenntlichkeit verwandelt worden, denn die reine Musik
vermag nur ihre eigenen begrifflosen Ideen darzustellen; dazu kommt noch,
daß für Beethoven die fleißigste Durchbildung seiner Schöpfungen ernstes
Bedürfniß war. Bei gleicher Subjectivität und ähnlicher Stimmung über¬
ragte er den vornehmen Poeten des Weltschmerzes an plastischem Vermögen
so unendlich, daß man gar nicht daran denken kann, den Kunstwerth ihrer
Werke zu vergleichen. Da müßte man zu ganz anderen Namen greifen, zu
den ersten unter allen Gewaltigen des Geistes, wenn es nicht überhaupt
mißlich wäre, die Herrscher auf verschiedenen Kunstgebieten prüfend zusammen¬
zuhalten. Bleiben wir lieber in der eigenen Sphäre der Musik, sie ist weit
und doch auch klar genug, um den erhabenen Platz, den unser Meister in
ihr einnimmt, von allen andern absondernd zu erkennen.

Man hat die Musik lange einem philosophischen Schema zu Liebe eine
blos subjective Kunst genannt, aber wie sollte sie dann noch den Namen der
Kunst selber ernstlich verdienen? Vielmehr hat das Allgemeingültige in ihr
sehr lange fast ausschließlich vorgewogen. Nach ihren beiden Seiten, der
harmonischen wie der melodischen, hat sie -- für jene im großartigen katho¬
lischen Ktrchengesange des 16. Jahrhunderts, für diese im Volksliede und dem
aus ihm entsprungenen protestantischen Chorale -- so feste, typische Formen
hervorgehen lassen, daß man deren Gestaltung eher als eine Entdeckung der
in uns gelegten Klanggesetze bezeichnen möchte, denn als freie Erfindung.
Wie die Baukunst, ihr Gegenbild unter den räumlichen Künsten, ist die Musik
überaus lange dem religiösen Gemeingefühle dienstbar gewesen; erst als ge¬
rade durch das evangelisch-kirchliche Princip auch das individuelle Bewußtsein
zu eigener Bethätigung erweckt war, trat ein subjectives Moment erkennbar
in die Tonkunst ein; da ist es denn kein Wunder, daß diese Aufgabe, sie
von ihrer Gebundenheit zu lösen, dem deutschen Geiste zufiel, der sich durch
die Arbeit der Reformation vor anderen Völkern innerlich frei gemacht hatte.
Sebastian Bach, gleich Beethoven eine echt norddeutsche Natur, vollzog diese
Aufgabe in wunderbarer Weise: mit der meisterhaftesten Uebung der über¬
kommenen streng gesetzlichen Form verband er eine unerschöpfliche, eben nur
von Beethoven wieder erreichte Tiefe des subjectiven Inhalts; jene Form
blieb fast ohne Einfluß auf Bach's Nachfolger, aber auch der wirksamere In-


Haltens Gespräche möchte man in einem großen Theile der Tondichtungen
des unglücklichen Beethoven vermuthen. Nur daß ich damit keinen Tadel
aussprechen will. Lord Byron hat seinen ganzen Mißmuth leichtfertig in
deutlich redende oder schreiende Verse ergossen, künstlerische Ausgestaltung war
obenein überhaupt seine Sache nicht; Beethoven empfing von seinem Tief¬
sinne stets nur den Antrieb zum Schaffen, bei dem Umgusse seiner düsteren
Gedanken in die Form selbständiger Töne sind jene, wie es nicht anders
sein kann, bis zur Unkenntlichkeit verwandelt worden, denn die reine Musik
vermag nur ihre eigenen begrifflosen Ideen darzustellen; dazu kommt noch,
daß für Beethoven die fleißigste Durchbildung seiner Schöpfungen ernstes
Bedürfniß war. Bei gleicher Subjectivität und ähnlicher Stimmung über¬
ragte er den vornehmen Poeten des Weltschmerzes an plastischem Vermögen
so unendlich, daß man gar nicht daran denken kann, den Kunstwerth ihrer
Werke zu vergleichen. Da müßte man zu ganz anderen Namen greifen, zu
den ersten unter allen Gewaltigen des Geistes, wenn es nicht überhaupt
mißlich wäre, die Herrscher auf verschiedenen Kunstgebieten prüfend zusammen¬
zuhalten. Bleiben wir lieber in der eigenen Sphäre der Musik, sie ist weit
und doch auch klar genug, um den erhabenen Platz, den unser Meister in
ihr einnimmt, von allen andern absondernd zu erkennen.

Man hat die Musik lange einem philosophischen Schema zu Liebe eine
blos subjective Kunst genannt, aber wie sollte sie dann noch den Namen der
Kunst selber ernstlich verdienen? Vielmehr hat das Allgemeingültige in ihr
sehr lange fast ausschließlich vorgewogen. Nach ihren beiden Seiten, der
harmonischen wie der melodischen, hat sie — für jene im großartigen katho¬
lischen Ktrchengesange des 16. Jahrhunderts, für diese im Volksliede und dem
aus ihm entsprungenen protestantischen Chorale — so feste, typische Formen
hervorgehen lassen, daß man deren Gestaltung eher als eine Entdeckung der
in uns gelegten Klanggesetze bezeichnen möchte, denn als freie Erfindung.
Wie die Baukunst, ihr Gegenbild unter den räumlichen Künsten, ist die Musik
überaus lange dem religiösen Gemeingefühle dienstbar gewesen; erst als ge¬
rade durch das evangelisch-kirchliche Princip auch das individuelle Bewußtsein
zu eigener Bethätigung erweckt war, trat ein subjectives Moment erkennbar
in die Tonkunst ein; da ist es denn kein Wunder, daß diese Aufgabe, sie
von ihrer Gebundenheit zu lösen, dem deutschen Geiste zufiel, der sich durch
die Arbeit der Reformation vor anderen Völkern innerlich frei gemacht hatte.
Sebastian Bach, gleich Beethoven eine echt norddeutsche Natur, vollzog diese
Aufgabe in wunderbarer Weise: mit der meisterhaftesten Uebung der über¬
kommenen streng gesetzlichen Form verband er eine unerschöpfliche, eben nur
von Beethoven wieder erreichte Tiefe des subjectiven Inhalts; jene Form
blieb fast ohne Einfluß auf Bach's Nachfolger, aber auch der wirksamere In-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125157"/>
          <p xml:id="ID_1348" prev="#ID_1347"> Haltens Gespräche möchte man in einem großen Theile der Tondichtungen<lb/>
des unglücklichen Beethoven vermuthen. Nur daß ich damit keinen Tadel<lb/>
aussprechen will. Lord Byron hat seinen ganzen Mißmuth leichtfertig in<lb/>
deutlich redende oder schreiende Verse ergossen, künstlerische Ausgestaltung war<lb/>
obenein überhaupt seine Sache nicht; Beethoven empfing von seinem Tief¬<lb/>
sinne stets nur den Antrieb zum Schaffen, bei dem Umgusse seiner düsteren<lb/>
Gedanken in die Form selbständiger Töne sind jene, wie es nicht anders<lb/>
sein kann, bis zur Unkenntlichkeit verwandelt worden, denn die reine Musik<lb/>
vermag nur ihre eigenen begrifflosen Ideen darzustellen; dazu kommt noch,<lb/>
daß für Beethoven die fleißigste Durchbildung seiner Schöpfungen ernstes<lb/>
Bedürfniß war. Bei gleicher Subjectivität und ähnlicher Stimmung über¬<lb/>
ragte er den vornehmen Poeten des Weltschmerzes an plastischem Vermögen<lb/>
so unendlich, daß man gar nicht daran denken kann, den Kunstwerth ihrer<lb/>
Werke zu vergleichen. Da müßte man zu ganz anderen Namen greifen, zu<lb/>
den ersten unter allen Gewaltigen des Geistes, wenn es nicht überhaupt<lb/>
mißlich wäre, die Herrscher auf verschiedenen Kunstgebieten prüfend zusammen¬<lb/>
zuhalten. Bleiben wir lieber in der eigenen Sphäre der Musik, sie ist weit<lb/>
und doch auch klar genug, um den erhabenen Platz, den unser Meister in<lb/>
ihr einnimmt, von allen andern absondernd zu erkennen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1349" next="#ID_1350"> Man hat die Musik lange einem philosophischen Schema zu Liebe eine<lb/>
blos subjective Kunst genannt, aber wie sollte sie dann noch den Namen der<lb/>
Kunst selber ernstlich verdienen? Vielmehr hat das Allgemeingültige in ihr<lb/>
sehr lange fast ausschließlich vorgewogen. Nach ihren beiden Seiten, der<lb/>
harmonischen wie der melodischen, hat sie &#x2014; für jene im großartigen katho¬<lb/>
lischen Ktrchengesange des 16. Jahrhunderts, für diese im Volksliede und dem<lb/>
aus ihm entsprungenen protestantischen Chorale &#x2014; so feste, typische Formen<lb/>
hervorgehen lassen, daß man deren Gestaltung eher als eine Entdeckung der<lb/>
in uns gelegten Klanggesetze bezeichnen möchte, denn als freie Erfindung.<lb/>
Wie die Baukunst, ihr Gegenbild unter den räumlichen Künsten, ist die Musik<lb/>
überaus lange dem religiösen Gemeingefühle dienstbar gewesen; erst als ge¬<lb/>
rade durch das evangelisch-kirchliche Princip auch das individuelle Bewußtsein<lb/>
zu eigener Bethätigung erweckt war, trat ein subjectives Moment erkennbar<lb/>
in die Tonkunst ein; da ist es denn kein Wunder, daß diese Aufgabe, sie<lb/>
von ihrer Gebundenheit zu lösen, dem deutschen Geiste zufiel, der sich durch<lb/>
die Arbeit der Reformation vor anderen Völkern innerlich frei gemacht hatte.<lb/>
Sebastian Bach, gleich Beethoven eine echt norddeutsche Natur, vollzog diese<lb/>
Aufgabe in wunderbarer Weise: mit der meisterhaftesten Uebung der über¬<lb/>
kommenen streng gesetzlichen Form verband er eine unerschöpfliche, eben nur<lb/>
von Beethoven wieder erreichte Tiefe des subjectiven Inhalts; jene Form<lb/>
blieb fast ohne Einfluß auf Bach's Nachfolger, aber auch der wirksamere In-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0451] Haltens Gespräche möchte man in einem großen Theile der Tondichtungen des unglücklichen Beethoven vermuthen. Nur daß ich damit keinen Tadel aussprechen will. Lord Byron hat seinen ganzen Mißmuth leichtfertig in deutlich redende oder schreiende Verse ergossen, künstlerische Ausgestaltung war obenein überhaupt seine Sache nicht; Beethoven empfing von seinem Tief¬ sinne stets nur den Antrieb zum Schaffen, bei dem Umgusse seiner düsteren Gedanken in die Form selbständiger Töne sind jene, wie es nicht anders sein kann, bis zur Unkenntlichkeit verwandelt worden, denn die reine Musik vermag nur ihre eigenen begrifflosen Ideen darzustellen; dazu kommt noch, daß für Beethoven die fleißigste Durchbildung seiner Schöpfungen ernstes Bedürfniß war. Bei gleicher Subjectivität und ähnlicher Stimmung über¬ ragte er den vornehmen Poeten des Weltschmerzes an plastischem Vermögen so unendlich, daß man gar nicht daran denken kann, den Kunstwerth ihrer Werke zu vergleichen. Da müßte man zu ganz anderen Namen greifen, zu den ersten unter allen Gewaltigen des Geistes, wenn es nicht überhaupt mißlich wäre, die Herrscher auf verschiedenen Kunstgebieten prüfend zusammen¬ zuhalten. Bleiben wir lieber in der eigenen Sphäre der Musik, sie ist weit und doch auch klar genug, um den erhabenen Platz, den unser Meister in ihr einnimmt, von allen andern absondernd zu erkennen. Man hat die Musik lange einem philosophischen Schema zu Liebe eine blos subjective Kunst genannt, aber wie sollte sie dann noch den Namen der Kunst selber ernstlich verdienen? Vielmehr hat das Allgemeingültige in ihr sehr lange fast ausschließlich vorgewogen. Nach ihren beiden Seiten, der harmonischen wie der melodischen, hat sie — für jene im großartigen katho¬ lischen Ktrchengesange des 16. Jahrhunderts, für diese im Volksliede und dem aus ihm entsprungenen protestantischen Chorale — so feste, typische Formen hervorgehen lassen, daß man deren Gestaltung eher als eine Entdeckung der in uns gelegten Klanggesetze bezeichnen möchte, denn als freie Erfindung. Wie die Baukunst, ihr Gegenbild unter den räumlichen Künsten, ist die Musik überaus lange dem religiösen Gemeingefühle dienstbar gewesen; erst als ge¬ rade durch das evangelisch-kirchliche Princip auch das individuelle Bewußtsein zu eigener Bethätigung erweckt war, trat ein subjectives Moment erkennbar in die Tonkunst ein; da ist es denn kein Wunder, daß diese Aufgabe, sie von ihrer Gebundenheit zu lösen, dem deutschen Geiste zufiel, der sich durch die Arbeit der Reformation vor anderen Völkern innerlich frei gemacht hatte. Sebastian Bach, gleich Beethoven eine echt norddeutsche Natur, vollzog diese Aufgabe in wunderbarer Weise: mit der meisterhaftesten Uebung der über¬ kommenen streng gesetzlichen Form verband er eine unerschöpfliche, eben nur von Beethoven wieder erreichte Tiefe des subjectiven Inhalts; jene Form blieb fast ohne Einfluß auf Bach's Nachfolger, aber auch der wirksamere In-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/451
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/451>, abgerufen am 22.12.2024.