Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.einer nach Willkür gnädigen oder versagenden Natur, sondern das gesetz¬ Beethoven's Leben -- was man so Leben nennt, diesen kläglichen Rest einer nach Willkür gnädigen oder versagenden Natur, sondern das gesetz¬ Beethoven's Leben — was man so Leben nennt, diesen kläglichen Rest <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125156"/> <p xml:id="ID_1346" prev="#ID_1345"> einer nach Willkür gnädigen oder versagenden Natur, sondern das gesetz¬<lb/> mäßige Wirken wunderbar großer, aber doch endlich sich aufbrauchender<lb/> Kräfte zu erkennen. Diese Blätter nun haben ihre Leser längst gerade an<lb/> historische Betrachtung gewöhnt; billig also, denk' ich. überlassen sie heute die<lb/> tiefere Ausdeutung der einzelnen Werke des Meisters den Kreisen, welche die<lb/> Arbeit ihres Lebens an deren nachschaffendes Verständniß gesetzt haben, und<lb/> begnügen sich, auf die Stelle hinzuweisen, die er einnimmt in der Geschichte<lb/> der Tonkunst überhaupt und der deutschen Musik insbesondere, ohne dabei<lb/> die Gefahren seiner einsamen Größe zu verhüllen, deren er selber noch meist<lb/> Herr ward, die aber dem kleineren Geschlechte der Nacheiferer zum Ver-<lb/> derben ausgeschlagen sind. Und sollte mancher meinen, es sei diese unsere<lb/> einzelne Stimme doch höchstens sür sich allein zu reden berufen, so wird ihre<lb/> Kühnheit am ersten von dem großen Schatten selber verziehen werden, dem<lb/> man mit Recht nachrühmt, daß er jeglichem Instrumente verliehen habe,<lb/> seine eigene Sprache zu führen, um sie doch alle, so oft er wollte, zur gro߬<lb/> artigsten Harmonie zu verbinden. Das historische Gesammturtheil der Nach¬<lb/> welt hat auch einen symphonischen Charakter, sodaß der Einzelstimme selbst<lb/> daraus kein Vorwurf erwächst, daß sie die schon oft vernommenen Gedanken<lb/> nun in ihrer besonderen Weise leis abwandelnd wiederholt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1347" next="#ID_1348"> Beethoven's Leben — was man so Leben nennt, diesen kläglichen Rest<lb/> des Daseins, wenn man das wahre Wirken abzieht. — brauchen wir in<lb/> seinem dunkeln Einerlei nicht wieder zu durchdenken, aber das trübe Ge-<lb/> sammtbild muß man doch vor Augen haben, um die Eigenthümlichkeit dieses<lb/> Künstlers völlig zu begreifen. Seine tägliche Existenz war das unablässige,<lb/> mühselige, qualvoll vergebliche Trachten eines überaus reich und edel be¬<lb/> gabten und darum über alles bedürftigen Gemüths nach Ruhe und Glück,<lb/> „ein Verzehren ohne Genuß", gerade den gewöhnlichsten Lagen war er am min¬<lb/> desten gewachsen. Der Zustand, auf den einst Göthe von Rom aus froh<lb/> als auf einen überwundenen zurückblickt: „da er über sein Ich, des unbe¬<lb/> friedigten Geistes düstere Wege zu spähn, still in Betrachtung versank", dieser<lb/> Zustand ist für Beethoven die beständige Seelenverfassung gewesen, auch schon<lb/> eh' ihn das unaussprechlich traurige Geschick der Ertaubung ganz in die Ab-<lb/> geschiedenheit seines Inneren zurückdrängte. Seine ganze tiefe und weite<lb/> Weltanschauung hat er so in sich hineinziehen müssen, ohne sie im freund¬<lb/> lichen Verkehre mit Gleichgesinnten in's Heitere umbilden zu dürfen, und die<lb/> Epoche, in die er gestellt war. namentlich das letzte Viertel seiner Lebenszeit,<lb/> verlangte nur allzusehr ein Gegengewicht freier Heiterkeit, wenn man ihren<lb/> dumpf lastenden Druck vergessen sollte. Den großen Dichter, der fast den<lb/> gleichen Jahren angehört, Lord Byron, traf das schneidende Witzwort<lb/> Göthe's, daß manche seiner Gedichte verhaltene Parlamentsreden seien; ver-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0450]
einer nach Willkür gnädigen oder versagenden Natur, sondern das gesetz¬
mäßige Wirken wunderbar großer, aber doch endlich sich aufbrauchender
Kräfte zu erkennen. Diese Blätter nun haben ihre Leser längst gerade an
historische Betrachtung gewöhnt; billig also, denk' ich. überlassen sie heute die
tiefere Ausdeutung der einzelnen Werke des Meisters den Kreisen, welche die
Arbeit ihres Lebens an deren nachschaffendes Verständniß gesetzt haben, und
begnügen sich, auf die Stelle hinzuweisen, die er einnimmt in der Geschichte
der Tonkunst überhaupt und der deutschen Musik insbesondere, ohne dabei
die Gefahren seiner einsamen Größe zu verhüllen, deren er selber noch meist
Herr ward, die aber dem kleineren Geschlechte der Nacheiferer zum Ver-
derben ausgeschlagen sind. Und sollte mancher meinen, es sei diese unsere
einzelne Stimme doch höchstens sür sich allein zu reden berufen, so wird ihre
Kühnheit am ersten von dem großen Schatten selber verziehen werden, dem
man mit Recht nachrühmt, daß er jeglichem Instrumente verliehen habe,
seine eigene Sprache zu führen, um sie doch alle, so oft er wollte, zur gro߬
artigsten Harmonie zu verbinden. Das historische Gesammturtheil der Nach¬
welt hat auch einen symphonischen Charakter, sodaß der Einzelstimme selbst
daraus kein Vorwurf erwächst, daß sie die schon oft vernommenen Gedanken
nun in ihrer besonderen Weise leis abwandelnd wiederholt.
Beethoven's Leben — was man so Leben nennt, diesen kläglichen Rest
des Daseins, wenn man das wahre Wirken abzieht. — brauchen wir in
seinem dunkeln Einerlei nicht wieder zu durchdenken, aber das trübe Ge-
sammtbild muß man doch vor Augen haben, um die Eigenthümlichkeit dieses
Künstlers völlig zu begreifen. Seine tägliche Existenz war das unablässige,
mühselige, qualvoll vergebliche Trachten eines überaus reich und edel be¬
gabten und darum über alles bedürftigen Gemüths nach Ruhe und Glück,
„ein Verzehren ohne Genuß", gerade den gewöhnlichsten Lagen war er am min¬
desten gewachsen. Der Zustand, auf den einst Göthe von Rom aus froh
als auf einen überwundenen zurückblickt: „da er über sein Ich, des unbe¬
friedigten Geistes düstere Wege zu spähn, still in Betrachtung versank", dieser
Zustand ist für Beethoven die beständige Seelenverfassung gewesen, auch schon
eh' ihn das unaussprechlich traurige Geschick der Ertaubung ganz in die Ab-
geschiedenheit seines Inneren zurückdrängte. Seine ganze tiefe und weite
Weltanschauung hat er so in sich hineinziehen müssen, ohne sie im freund¬
lichen Verkehre mit Gleichgesinnten in's Heitere umbilden zu dürfen, und die
Epoche, in die er gestellt war. namentlich das letzte Viertel seiner Lebenszeit,
verlangte nur allzusehr ein Gegengewicht freier Heiterkeit, wenn man ihren
dumpf lastenden Druck vergessen sollte. Den großen Dichter, der fast den
gleichen Jahren angehört, Lord Byron, traf das schneidende Witzwort
Göthe's, daß manche seiner Gedichte verhaltene Parlamentsreden seien; ver-
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