Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.Wir haben deshalb fortan als einen besonderen Glücksfall zu betrachten, Jeden Tag berechnen die Kriegscorrespondenten, wie lange die Lebensmittel In Frankreich sucht man Muth in der Betrachtung, daß das Unglück Wir haben deshalb fortan als einen besonderen Glücksfall zu betrachten, Jeden Tag berechnen die Kriegscorrespondenten, wie lange die Lebensmittel In Frankreich sucht man Muth in der Betrachtung, daß das Unglück <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0402" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125108"/> <p xml:id="ID_1208" prev="#ID_1207"> Wir haben deshalb fortan als einen besonderen Glücksfall zu betrachten,<lb/> wenn der strategische Erfolg ein augenblicklicher und massenhafter wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1209"> Jeden Tag berechnen die Kriegscorrespondenten, wie lange die Lebensmittel<lb/> in Paris noch reichen können; die Deutschen sind geneigt, den Mangel an<lb/> Fleisch als zwingenden Grund zur Capitulation zu betrachten, die Franzosen¬<lb/> freunde setzen weitreichende Hoffnungen auf Vorräthe von Mehl und Wein.<lb/> Unzweifelhaft hat der Hunger dort seine furchtbare Arbeit begonnen. Es<lb/> stimmt nicht heiter, wenn ein deutsches Witzblatt den Hunger der Pariser<lb/> als Gegenstand des Scherzes behandelt, und es ist kein wackres Soldaten¬<lb/> stück, wenn in Wahrheit die Bayern hungrige Franzosen den Tag über ruhig<lb/> im Bereich ihrer Kugeln die Kartoffeln graben lassen, um ihnen am Abend<lb/> durch einige Schüsse die gefüllten Säcke mühelos abzunehmen, Sicher würde<lb/> sich Paris noch lange halten können, wenn es möglich wäre, die Vorräthe<lb/> der ungeheuren Stadt bis auf den letzten Centner gleichmäßig zu vertheilen,<lb/> aber die sociale Krisis hat dort bereits begonnen und sie läßt schnelle Ent¬<lb/> scheidung erwarten, sobald erst die fliegenden Hoffnungen auf Entsatz durch die<lb/> Loire- und Nordarmee niedergeschlagen sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_1210" next="#ID_1211"> In Frankreich sucht man Muth in der Betrachtung, daß das Unglück<lb/> sich seit dem Sturz Napoleons und der Ergebung seiner Marschälle und<lb/> Heere gewandt habe, die Soldaten und Generäle der Republik seien von<lb/> anderer Energie und besserem Metall. Auch bei uns ist eine ähnliche Auf¬<lb/> fassung nicht ungewöhnlich. Aber in Wahrheit haben sich die Truppen der<lb/> Republik nirgend besser, selten so gut geschlagen, als die kaiserlichen Heere<lb/> bei Wörth und vor Metz, und keiner der republikanischen Generäle hat zur<lb/> Zeit unzweifelhafte Proben eines größern Feldherrntalents erwiesen, als Mac<lb/> Mahon und Bazaine zeigten. Der Unterschied in den Resultaten liegt —<lb/> bis jetzt — allein in der veränderten Methode der Kriegführung, und diese<lb/> Veränderung ist an sich kein Verdienst der Franzosen, sondern eine Folge<lb/> ihrer Niederlagen. Der Anfang des Krieges war ein Kampf der gro¬<lb/> ßen geschulten Heere, er bot der Kunst der Feldherrn die umfassendsten Auf¬<lb/> gaben, stellte an die Offiziere und Soldaten die höchsten Zumuthun-<lb/> gen großer Feldschlachten. Es wäre baarer Unsinn, zu behaupten, daß<lb/> die Franctireurs Gambetta's und die Mobilen Trochu's in dieser Art von<lb/> Kampfe dasselbe oder ähnliches geleistet hätten, wie die Bataillone Bur-<lb/> backi's, die Eürassiere von Wörth, die Chasseurs d'Afrique von Sedan. Jene<lb/> Irregulären wären trotz alles ungeschulten Muthes in der großen Schlacht<lb/> vor den deutschen Granaten und dem preußischen Sturmangriff verweht wie<lb/> Spreu im Winde. Seit Sedan war die Feldarmee Frankreichs beseitigt,<lb/> nicht das Land unterworfen. Wir wissen allerdings, daß jene Feldarmee stär¬<lb/> ker war als man annahm, wenigstens 350,000 Mann, und daß Frankreich</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0402]
Wir haben deshalb fortan als einen besonderen Glücksfall zu betrachten,
wenn der strategische Erfolg ein augenblicklicher und massenhafter wird.
Jeden Tag berechnen die Kriegscorrespondenten, wie lange die Lebensmittel
in Paris noch reichen können; die Deutschen sind geneigt, den Mangel an
Fleisch als zwingenden Grund zur Capitulation zu betrachten, die Franzosen¬
freunde setzen weitreichende Hoffnungen auf Vorräthe von Mehl und Wein.
Unzweifelhaft hat der Hunger dort seine furchtbare Arbeit begonnen. Es
stimmt nicht heiter, wenn ein deutsches Witzblatt den Hunger der Pariser
als Gegenstand des Scherzes behandelt, und es ist kein wackres Soldaten¬
stück, wenn in Wahrheit die Bayern hungrige Franzosen den Tag über ruhig
im Bereich ihrer Kugeln die Kartoffeln graben lassen, um ihnen am Abend
durch einige Schüsse die gefüllten Säcke mühelos abzunehmen, Sicher würde
sich Paris noch lange halten können, wenn es möglich wäre, die Vorräthe
der ungeheuren Stadt bis auf den letzten Centner gleichmäßig zu vertheilen,
aber die sociale Krisis hat dort bereits begonnen und sie läßt schnelle Ent¬
scheidung erwarten, sobald erst die fliegenden Hoffnungen auf Entsatz durch die
Loire- und Nordarmee niedergeschlagen sind.
In Frankreich sucht man Muth in der Betrachtung, daß das Unglück
sich seit dem Sturz Napoleons und der Ergebung seiner Marschälle und
Heere gewandt habe, die Soldaten und Generäle der Republik seien von
anderer Energie und besserem Metall. Auch bei uns ist eine ähnliche Auf¬
fassung nicht ungewöhnlich. Aber in Wahrheit haben sich die Truppen der
Republik nirgend besser, selten so gut geschlagen, als die kaiserlichen Heere
bei Wörth und vor Metz, und keiner der republikanischen Generäle hat zur
Zeit unzweifelhafte Proben eines größern Feldherrntalents erwiesen, als Mac
Mahon und Bazaine zeigten. Der Unterschied in den Resultaten liegt —
bis jetzt — allein in der veränderten Methode der Kriegführung, und diese
Veränderung ist an sich kein Verdienst der Franzosen, sondern eine Folge
ihrer Niederlagen. Der Anfang des Krieges war ein Kampf der gro¬
ßen geschulten Heere, er bot der Kunst der Feldherrn die umfassendsten Auf¬
gaben, stellte an die Offiziere und Soldaten die höchsten Zumuthun-
gen großer Feldschlachten. Es wäre baarer Unsinn, zu behaupten, daß
die Franctireurs Gambetta's und die Mobilen Trochu's in dieser Art von
Kampfe dasselbe oder ähnliches geleistet hätten, wie die Bataillone Bur-
backi's, die Eürassiere von Wörth, die Chasseurs d'Afrique von Sedan. Jene
Irregulären wären trotz alles ungeschulten Muthes in der großen Schlacht
vor den deutschen Granaten und dem preußischen Sturmangriff verweht wie
Spreu im Winde. Seit Sedan war die Feldarmee Frankreichs beseitigt,
nicht das Land unterworfen. Wir wissen allerdings, daß jene Feldarmee stär¬
ker war als man annahm, wenigstens 350,000 Mann, und daß Frankreich
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