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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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der Einnahme von La Före und Diedenhofen den auf Paris vorstoßenden
Feind in siegreichem Treffen über Amiens zurück. Unterdeß näherte sich die
Armee des Großherzogs von Mecklenburg von Nordwesten, die größere
Armee Friedrich Karl von Osten der Loirearmee, ersterer drängte die Vor¬
truppen von Dreux ohne große Mühe bis in die Nähe von Le Mans hin¬
auf, das 10te Corps des Prinzen Friedrich Karl parirte einen Tagemarsch
nordöstlich von Orleans erfolgreich einen heftigen Stoß des Feindes, welcher
sich hier der Flankirung durch die Deutschen vergebens zu erwehren suchte.
Da die Aufgabe der deutschen Heere sein muß, die Loirearmee, welche wir
auf der Linie von Orleans bis Le Mans annehmen, nicht nur zu beobach¬
ten, sondern vor der Einnahme von Paris zu schlagen, so haben wir aller¬
dings in der nächsten Zeit dort neue Zusammenstöße zu erwarten. Nur
möchten wir gegen die Sicherheit ankämpfen, mit welcher hier und da die
bevorstehende Vernichtung und Gefangennahme einer dritten feindlichen Armee
von ca. 80--100,000 Mann verkündet wird.

Abgesehen davon, daß dergleichen ungeheure Resultate nicht auf jedem
Terrain möglich sind, und am schicklichsten erst dann verkündet werden, wenn
sie zur That geworden sind, so hat die deutsche Kriegführung jetzt mit einem
Gegner zu rechnen, welcher entscheidende Schläge sehr erschwert, und welcher
der schönsten Berechnung des Feldherrn und der größten Tapferkeit seiner
Truppen nur spärliche Erfolge zu gönnen pflegt, und dieser Gegner großer
Siege ist der altherkömmliche Lauf unsrer Wintersonne, die Kürze der Tage.
Bei der Größe unserer Heere, bei der Methode unserer Kriegführung und
Armeeverpflegung sind die Hauptstellungen feindlicher Heere, selbst wenn diese ein¬
ander gegenüberlagern, fast immer durch ein Zwischenterrain von mehrern
Meilen getrent, welches zum Theil mit Vortruppen besetzt ist, und erst durch
systematischen Angriff genommen werden muß; auch die Theile des Heeres
müssen, um in ihre Schlachtstellung einzurücken, fast immer durch Märsche
von mehren Meilen sich concentriren. Bevor das Tageslicht den Feind
genau zu sehen gestattet, ist überhaupt keine Schußwirkung denkbar. Von der
Einleitung des Kampfes aber, welche häufig erst in den letzten Vormittags-
stunden möglich wird, bis zum Angriff der Hauptstellung des Gegners vergehen
sicher mehrere Stunden in Vormarsch, Artilleriegefecht, Einzelangriffen, neuer
Aufstellung. Eine Bewältigung der Hauptstellung eines größeren Heeres ist
deshalb erst am Nachmittag wahrscheinlich. Um S Uhr aber gebietet die
einbrechende Dunkelheit den Geschützen Ruhe, auf unbekanntem Terrain sehr
bald auch dem Fußvolk und den harrenden Reitern. Grade wenn die
Stunde kommt, wo der Sieger die Früchte seiner Arbeit in der Verfolgung
ernten könnte, entzieht die Finsterniß den geschlagenen Feind seinem Bereich.


Grenzvoten IV. 1870. S0

der Einnahme von La Före und Diedenhofen den auf Paris vorstoßenden
Feind in siegreichem Treffen über Amiens zurück. Unterdeß näherte sich die
Armee des Großherzogs von Mecklenburg von Nordwesten, die größere
Armee Friedrich Karl von Osten der Loirearmee, ersterer drängte die Vor¬
truppen von Dreux ohne große Mühe bis in die Nähe von Le Mans hin¬
auf, das 10te Corps des Prinzen Friedrich Karl parirte einen Tagemarsch
nordöstlich von Orleans erfolgreich einen heftigen Stoß des Feindes, welcher
sich hier der Flankirung durch die Deutschen vergebens zu erwehren suchte.
Da die Aufgabe der deutschen Heere sein muß, die Loirearmee, welche wir
auf der Linie von Orleans bis Le Mans annehmen, nicht nur zu beobach¬
ten, sondern vor der Einnahme von Paris zu schlagen, so haben wir aller¬
dings in der nächsten Zeit dort neue Zusammenstöße zu erwarten. Nur
möchten wir gegen die Sicherheit ankämpfen, mit welcher hier und da die
bevorstehende Vernichtung und Gefangennahme einer dritten feindlichen Armee
von ca. 80—100,000 Mann verkündet wird.

Abgesehen davon, daß dergleichen ungeheure Resultate nicht auf jedem
Terrain möglich sind, und am schicklichsten erst dann verkündet werden, wenn
sie zur That geworden sind, so hat die deutsche Kriegführung jetzt mit einem
Gegner zu rechnen, welcher entscheidende Schläge sehr erschwert, und welcher
der schönsten Berechnung des Feldherrn und der größten Tapferkeit seiner
Truppen nur spärliche Erfolge zu gönnen pflegt, und dieser Gegner großer
Siege ist der altherkömmliche Lauf unsrer Wintersonne, die Kürze der Tage.
Bei der Größe unserer Heere, bei der Methode unserer Kriegführung und
Armeeverpflegung sind die Hauptstellungen feindlicher Heere, selbst wenn diese ein¬
ander gegenüberlagern, fast immer durch ein Zwischenterrain von mehrern
Meilen getrent, welches zum Theil mit Vortruppen besetzt ist, und erst durch
systematischen Angriff genommen werden muß; auch die Theile des Heeres
müssen, um in ihre Schlachtstellung einzurücken, fast immer durch Märsche
von mehren Meilen sich concentriren. Bevor das Tageslicht den Feind
genau zu sehen gestattet, ist überhaupt keine Schußwirkung denkbar. Von der
Einleitung des Kampfes aber, welche häufig erst in den letzten Vormittags-
stunden möglich wird, bis zum Angriff der Hauptstellung des Gegners vergehen
sicher mehrere Stunden in Vormarsch, Artilleriegefecht, Einzelangriffen, neuer
Aufstellung. Eine Bewältigung der Hauptstellung eines größeren Heeres ist
deshalb erst am Nachmittag wahrscheinlich. Um S Uhr aber gebietet die
einbrechende Dunkelheit den Geschützen Ruhe, auf unbekanntem Terrain sehr
bald auch dem Fußvolk und den harrenden Reitern. Grade wenn die
Stunde kommt, wo der Sieger die Früchte seiner Arbeit in der Verfolgung
ernten könnte, entzieht die Finsterniß den geschlagenen Feind seinem Bereich.


Grenzvoten IV. 1870. S0
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/401>, abgerufen am 22.12.2024.