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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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bestimmt, eine Art Mittelanstalt zwischen Gymnasium und Universität abzu¬
geben, philosophisch vorbereitend auf die Faeultätsstudien, hat zwar unter
seinen Lehrern Männer, wie Hermann Samuel Reimarus, Lessing's Frag-
mentisten, und I. G. Busch, den Schöpfer der Handelsgeschichte, gehabt, aber
doch kaum als Anstalt eine eigentliche Blüthezeit. Seit geraumer Zeit jeden¬
falls kann es weder leben noch sterben, ein Schicksal, vor welchem die letzte
eingreifende Reorganisation im Jahre 1837 es nicht zu bewahren vermocht
hat. Damals ließ man die hergebrachten sechs Lehrstühle bestehen: Biblische
Philologie, classische Philologie, Geschichte, Mathematik und Physik, Natur-
geschichte, Philosophie, -- wovon nur der letztgenannte Stuhl unbesetzt war
und blieb. Hingegen wurde dem alten Hauptzweck des akademischen Gym¬
nasiums, der "weiteren und vollkommneren Ausbildung der für den gelehr¬
ten Stand bestimmten jungen Leute in den Schulwissenschaften und unmittel¬
baren Vorbereitung derselben für die Universitätsst'ibler" ein Nebenzweck
hinzugefügt, die "Verbreitung wissenschaftlicher, sowohl eine allgemeine Bil¬
dung befördernder als in das praktische Leben eingreifender Kenntnisse auch
unter den nicht gelehrten Ständen." In dem seitdem verflossenen Menschen¬
alter ist der Hauptzweck vollends in nichts zerflossen, während der Neben¬
zweck selbst in seiner Unterordnung hinreichenden Werth entwickelt hat, um
die gänzliche Aufhebung der Anstalt zu verhindern. Fünf Professoren sind
nicht selten auf zwei Schüler beschränkt gewesen, die von ihnen noch mehr
Lateinisch und Griechisch, Hebräisch und Bibelkunde, Geschichte und Natur¬
wissenschaft haben wollten, als das eigentliche Gymnasium, das Johanneum,
ihnen schon zur Universität mitgab. Dagegen sind diese nämlichen Männer
nicht blos eine Zierde, sondern ein unentbehrlicher Bestandtheil des öffent¬
lichen Lebens der Stadt geworden, insofern sie sich mit ihrer Gelehrsamkeit
an das wissenschaftliche Bedürfniß des großen Publicums wandten. Wie
von den älteren Lehrern der Anstalt, so braucht man, um dies begreiflich zu
machen, auch von den jüngeren nur zwei mit Namen zu nennen: Wurm
und Aegidi.

Indessen so deutlich auch die thatsächliche Entwickelung sprach: Jahre
lang schien es, als habe Niemand Ohren, sie zu verstehen. Wir sind ja
allerdings beinahe entwöhnt, den Fortschritt, der sonst alles beherrscht, auch
auf das Gebiet des höheren Knabenunterrichts anwendbar zu finden, und
hören deshalb schwer nach dieser Seite hin. So kann es nicht Wunder
nehmen, wenn nach einander vorgeschlagen wurde, das akademische Gym¬
nasium in ein Realgymnasium zu verwandeln, mit einem Lehrer-Seminar
-- dergleichen Hamburg noch fehlt -- in Zusammenhang zu setzen, für eine
obligatorische Zwischenstufe Hamburger Studirender zu erklären, -- und was
der inhaltleeren Pläne mehr waren. Aber mindestens in Keimen tauchten


bestimmt, eine Art Mittelanstalt zwischen Gymnasium und Universität abzu¬
geben, philosophisch vorbereitend auf die Faeultätsstudien, hat zwar unter
seinen Lehrern Männer, wie Hermann Samuel Reimarus, Lessing's Frag-
mentisten, und I. G. Busch, den Schöpfer der Handelsgeschichte, gehabt, aber
doch kaum als Anstalt eine eigentliche Blüthezeit. Seit geraumer Zeit jeden¬
falls kann es weder leben noch sterben, ein Schicksal, vor welchem die letzte
eingreifende Reorganisation im Jahre 1837 es nicht zu bewahren vermocht
hat. Damals ließ man die hergebrachten sechs Lehrstühle bestehen: Biblische
Philologie, classische Philologie, Geschichte, Mathematik und Physik, Natur-
geschichte, Philosophie, — wovon nur der letztgenannte Stuhl unbesetzt war
und blieb. Hingegen wurde dem alten Hauptzweck des akademischen Gym¬
nasiums, der „weiteren und vollkommneren Ausbildung der für den gelehr¬
ten Stand bestimmten jungen Leute in den Schulwissenschaften und unmittel¬
baren Vorbereitung derselben für die Universitätsst'ibler" ein Nebenzweck
hinzugefügt, die „Verbreitung wissenschaftlicher, sowohl eine allgemeine Bil¬
dung befördernder als in das praktische Leben eingreifender Kenntnisse auch
unter den nicht gelehrten Ständen." In dem seitdem verflossenen Menschen¬
alter ist der Hauptzweck vollends in nichts zerflossen, während der Neben¬
zweck selbst in seiner Unterordnung hinreichenden Werth entwickelt hat, um
die gänzliche Aufhebung der Anstalt zu verhindern. Fünf Professoren sind
nicht selten auf zwei Schüler beschränkt gewesen, die von ihnen noch mehr
Lateinisch und Griechisch, Hebräisch und Bibelkunde, Geschichte und Natur¬
wissenschaft haben wollten, als das eigentliche Gymnasium, das Johanneum,
ihnen schon zur Universität mitgab. Dagegen sind diese nämlichen Männer
nicht blos eine Zierde, sondern ein unentbehrlicher Bestandtheil des öffent¬
lichen Lebens der Stadt geworden, insofern sie sich mit ihrer Gelehrsamkeit
an das wissenschaftliche Bedürfniß des großen Publicums wandten. Wie
von den älteren Lehrern der Anstalt, so braucht man, um dies begreiflich zu
machen, auch von den jüngeren nur zwei mit Namen zu nennen: Wurm
und Aegidi.

Indessen so deutlich auch die thatsächliche Entwickelung sprach: Jahre
lang schien es, als habe Niemand Ohren, sie zu verstehen. Wir sind ja
allerdings beinahe entwöhnt, den Fortschritt, der sonst alles beherrscht, auch
auf das Gebiet des höheren Knabenunterrichts anwendbar zu finden, und
hören deshalb schwer nach dieser Seite hin. So kann es nicht Wunder
nehmen, wenn nach einander vorgeschlagen wurde, das akademische Gym¬
nasium in ein Realgymnasium zu verwandeln, mit einem Lehrer-Seminar
— dergleichen Hamburg noch fehlt — in Zusammenhang zu setzen, für eine
obligatorische Zwischenstufe Hamburger Studirender zu erklären, — und was
der inhaltleeren Pläne mehr waren. Aber mindestens in Keimen tauchten


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[0389] bestimmt, eine Art Mittelanstalt zwischen Gymnasium und Universität abzu¬ geben, philosophisch vorbereitend auf die Faeultätsstudien, hat zwar unter seinen Lehrern Männer, wie Hermann Samuel Reimarus, Lessing's Frag- mentisten, und I. G. Busch, den Schöpfer der Handelsgeschichte, gehabt, aber doch kaum als Anstalt eine eigentliche Blüthezeit. Seit geraumer Zeit jeden¬ falls kann es weder leben noch sterben, ein Schicksal, vor welchem die letzte eingreifende Reorganisation im Jahre 1837 es nicht zu bewahren vermocht hat. Damals ließ man die hergebrachten sechs Lehrstühle bestehen: Biblische Philologie, classische Philologie, Geschichte, Mathematik und Physik, Natur- geschichte, Philosophie, — wovon nur der letztgenannte Stuhl unbesetzt war und blieb. Hingegen wurde dem alten Hauptzweck des akademischen Gym¬ nasiums, der „weiteren und vollkommneren Ausbildung der für den gelehr¬ ten Stand bestimmten jungen Leute in den Schulwissenschaften und unmittel¬ baren Vorbereitung derselben für die Universitätsst'ibler" ein Nebenzweck hinzugefügt, die „Verbreitung wissenschaftlicher, sowohl eine allgemeine Bil¬ dung befördernder als in das praktische Leben eingreifender Kenntnisse auch unter den nicht gelehrten Ständen." In dem seitdem verflossenen Menschen¬ alter ist der Hauptzweck vollends in nichts zerflossen, während der Neben¬ zweck selbst in seiner Unterordnung hinreichenden Werth entwickelt hat, um die gänzliche Aufhebung der Anstalt zu verhindern. Fünf Professoren sind nicht selten auf zwei Schüler beschränkt gewesen, die von ihnen noch mehr Lateinisch und Griechisch, Hebräisch und Bibelkunde, Geschichte und Natur¬ wissenschaft haben wollten, als das eigentliche Gymnasium, das Johanneum, ihnen schon zur Universität mitgab. Dagegen sind diese nämlichen Männer nicht blos eine Zierde, sondern ein unentbehrlicher Bestandtheil des öffent¬ lichen Lebens der Stadt geworden, insofern sie sich mit ihrer Gelehrsamkeit an das wissenschaftliche Bedürfniß des großen Publicums wandten. Wie von den älteren Lehrern der Anstalt, so braucht man, um dies begreiflich zu machen, auch von den jüngeren nur zwei mit Namen zu nennen: Wurm und Aegidi. Indessen so deutlich auch die thatsächliche Entwickelung sprach: Jahre lang schien es, als habe Niemand Ohren, sie zu verstehen. Wir sind ja allerdings beinahe entwöhnt, den Fortschritt, der sonst alles beherrscht, auch auf das Gebiet des höheren Knabenunterrichts anwendbar zu finden, und hören deshalb schwer nach dieser Seite hin. So kann es nicht Wunder nehmen, wenn nach einander vorgeschlagen wurde, das akademische Gym¬ nasium in ein Realgymnasium zu verwandeln, mit einem Lehrer-Seminar — dergleichen Hamburg noch fehlt — in Zusammenhang zu setzen, für eine obligatorische Zwischenstufe Hamburger Studirender zu erklären, — und was der inhaltleeren Pläne mehr waren. Aber mindestens in Keimen tauchten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/389>, abgerufen am 23.12.2024.