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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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allmählich doch auch gehaltvollere, reifere, in die nationale Zukunft voraus¬
greifende Ideen auf. Der gegenwärtige Director des Johanneums, Dr.
Classen und der früher in Hamburg lebende Professor Jürgen Bona Meyer
empfahlen -- in nur zu vagen Umrissen -- etwas Universitätsmäßiges für
die von der Schule geschiedenen Anfänger des Kaufmanns- und Gewerbe¬
standes zu schaffen. Der Professor der Botanik am akademischen Gymnasium
wollte dasselbe in eine naturwissenschaftliche Facultät umgewandelt wissen,
wozu der damalige Rector der Anstalt den Zusatzantrag stellte, derselben eine
culturhistorische Facultät (mit allerdings nur zwei Lehrstühlen, Geschichte und
Wirthschaftslehre) an die Seite zu setzen. Prof. Aegidi endlich, als er 1863
das Rectorat bekleidete, forderte in einem außerordentlichen Programm die
Umgestaltung des akademischen Gymnasiums in eine vom Staat eingesetzte
und unterhaltene Körperschaft von Gelehrten, Hamburgs Beitrag so zu sagen
zu der höchsten und ernstesten Geistesthätigkeit der Nation und andererseits
inmitten des großartigsten materiellen Treibens für Hamburg selbst ein Hei-
ligthum unabhängiger Wissenschaft. Die Vorträge für Jung und Alt soll¬
ten dabei nur eine secundäre Rolle spielen, eins von mehreren Mitteln der
zu entwickelnden freien wissenschaftlichen Wirksamkeit sein. Der Urheber dieses
Gedankens erinnerte selbst dabei an einen von ihm früher aufgestellten Ent¬
wurf einer Akademie der Staatswtssenschaften.

An diesen Vorschlägen erkennt man ungefähr, wohin der schöpferische
Geist des Jahrhunderts zielt. Nicht nach neuen Universitäten mit vier, fünf
oder mehr Facultäten: eher wird erwogen, ob nicht ein paar der bestehenden
Hochschulen eingehen oder mit einander verschmolzen werden könnten, wie
z. B- Gießen und Marburg, oder ob wohl jede einzelne an ihrem richtigen
Platze sei, Kiel z. B. nicht verdiente, nach Altona oder Hamburg verlegt zu
werden. Fruchtbar dagegen ist die Zeit an polytechnischen Schulen; die
Schweiz. Bayern und Rheinland-Westphalen haben neuerdings von Staats¬
wegen solche erhalten, nachdem sie in Hannover, Karlsruhe, etwas abweichend
geformt auch in Berlin schon länger bestanden. Aber das ist nur gewisser¬
maßen die Facultät der Ingenieure und Architekten, unabhängig von dem
altüberlieferten Universitäts-Schematismus gebildet; während meist^im?Zu-
sammenhang mit diesen für das höchste Bildungsbedürfniß von Landwirthen
gesorgt ist. Etwas Entsprechendes fehlt noch so gut wie vollständig für den
dritten großen bürgerlichen Stand, den Kaufmannsstand, Daher ist es nicht
zufällig, daß die Unzulänglichkeit des bestehenden höheren Unterrichtswesens
am stärksten gerade in den größeren und ausschließlicheren Handelsplätzen
empfunden wird, in Bremen ziemlich ebenso stark.'wie in Hamburg, aber auch
in Leipzig, Nürnberg, Danzig u. s. f. In den Hansestädten kommt noch
hinzu, daß dort erst seit dem Eintritt in den Norddeutschen Bund die all-


allmählich doch auch gehaltvollere, reifere, in die nationale Zukunft voraus¬
greifende Ideen auf. Der gegenwärtige Director des Johanneums, Dr.
Classen und der früher in Hamburg lebende Professor Jürgen Bona Meyer
empfahlen — in nur zu vagen Umrissen — etwas Universitätsmäßiges für
die von der Schule geschiedenen Anfänger des Kaufmanns- und Gewerbe¬
standes zu schaffen. Der Professor der Botanik am akademischen Gymnasium
wollte dasselbe in eine naturwissenschaftliche Facultät umgewandelt wissen,
wozu der damalige Rector der Anstalt den Zusatzantrag stellte, derselben eine
culturhistorische Facultät (mit allerdings nur zwei Lehrstühlen, Geschichte und
Wirthschaftslehre) an die Seite zu setzen. Prof. Aegidi endlich, als er 1863
das Rectorat bekleidete, forderte in einem außerordentlichen Programm die
Umgestaltung des akademischen Gymnasiums in eine vom Staat eingesetzte
und unterhaltene Körperschaft von Gelehrten, Hamburgs Beitrag so zu sagen
zu der höchsten und ernstesten Geistesthätigkeit der Nation und andererseits
inmitten des großartigsten materiellen Treibens für Hamburg selbst ein Hei-
ligthum unabhängiger Wissenschaft. Die Vorträge für Jung und Alt soll¬
ten dabei nur eine secundäre Rolle spielen, eins von mehreren Mitteln der
zu entwickelnden freien wissenschaftlichen Wirksamkeit sein. Der Urheber dieses
Gedankens erinnerte selbst dabei an einen von ihm früher aufgestellten Ent¬
wurf einer Akademie der Staatswtssenschaften.

An diesen Vorschlägen erkennt man ungefähr, wohin der schöpferische
Geist des Jahrhunderts zielt. Nicht nach neuen Universitäten mit vier, fünf
oder mehr Facultäten: eher wird erwogen, ob nicht ein paar der bestehenden
Hochschulen eingehen oder mit einander verschmolzen werden könnten, wie
z. B- Gießen und Marburg, oder ob wohl jede einzelne an ihrem richtigen
Platze sei, Kiel z. B. nicht verdiente, nach Altona oder Hamburg verlegt zu
werden. Fruchtbar dagegen ist die Zeit an polytechnischen Schulen; die
Schweiz. Bayern und Rheinland-Westphalen haben neuerdings von Staats¬
wegen solche erhalten, nachdem sie in Hannover, Karlsruhe, etwas abweichend
geformt auch in Berlin schon länger bestanden. Aber das ist nur gewisser¬
maßen die Facultät der Ingenieure und Architekten, unabhängig von dem
altüberlieferten Universitäts-Schematismus gebildet; während meist^im?Zu-
sammenhang mit diesen für das höchste Bildungsbedürfniß von Landwirthen
gesorgt ist. Etwas Entsprechendes fehlt noch so gut wie vollständig für den
dritten großen bürgerlichen Stand, den Kaufmannsstand, Daher ist es nicht
zufällig, daß die Unzulänglichkeit des bestehenden höheren Unterrichtswesens
am stärksten gerade in den größeren und ausschließlicheren Handelsplätzen
empfunden wird, in Bremen ziemlich ebenso stark.'wie in Hamburg, aber auch
in Leipzig, Nürnberg, Danzig u. s. f. In den Hansestädten kommt noch
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[0390] allmählich doch auch gehaltvollere, reifere, in die nationale Zukunft voraus¬ greifende Ideen auf. Der gegenwärtige Director des Johanneums, Dr. Classen und der früher in Hamburg lebende Professor Jürgen Bona Meyer empfahlen — in nur zu vagen Umrissen — etwas Universitätsmäßiges für die von der Schule geschiedenen Anfänger des Kaufmanns- und Gewerbe¬ standes zu schaffen. Der Professor der Botanik am akademischen Gymnasium wollte dasselbe in eine naturwissenschaftliche Facultät umgewandelt wissen, wozu der damalige Rector der Anstalt den Zusatzantrag stellte, derselben eine culturhistorische Facultät (mit allerdings nur zwei Lehrstühlen, Geschichte und Wirthschaftslehre) an die Seite zu setzen. Prof. Aegidi endlich, als er 1863 das Rectorat bekleidete, forderte in einem außerordentlichen Programm die Umgestaltung des akademischen Gymnasiums in eine vom Staat eingesetzte und unterhaltene Körperschaft von Gelehrten, Hamburgs Beitrag so zu sagen zu der höchsten und ernstesten Geistesthätigkeit der Nation und andererseits inmitten des großartigsten materiellen Treibens für Hamburg selbst ein Hei- ligthum unabhängiger Wissenschaft. Die Vorträge für Jung und Alt soll¬ ten dabei nur eine secundäre Rolle spielen, eins von mehreren Mitteln der zu entwickelnden freien wissenschaftlichen Wirksamkeit sein. Der Urheber dieses Gedankens erinnerte selbst dabei an einen von ihm früher aufgestellten Ent¬ wurf einer Akademie der Staatswtssenschaften. An diesen Vorschlägen erkennt man ungefähr, wohin der schöpferische Geist des Jahrhunderts zielt. Nicht nach neuen Universitäten mit vier, fünf oder mehr Facultäten: eher wird erwogen, ob nicht ein paar der bestehenden Hochschulen eingehen oder mit einander verschmolzen werden könnten, wie z. B- Gießen und Marburg, oder ob wohl jede einzelne an ihrem richtigen Platze sei, Kiel z. B. nicht verdiente, nach Altona oder Hamburg verlegt zu werden. Fruchtbar dagegen ist die Zeit an polytechnischen Schulen; die Schweiz. Bayern und Rheinland-Westphalen haben neuerdings von Staats¬ wegen solche erhalten, nachdem sie in Hannover, Karlsruhe, etwas abweichend geformt auch in Berlin schon länger bestanden. Aber das ist nur gewisser¬ maßen die Facultät der Ingenieure und Architekten, unabhängig von dem altüberlieferten Universitäts-Schematismus gebildet; während meist^im?Zu- sammenhang mit diesen für das höchste Bildungsbedürfniß von Landwirthen gesorgt ist. Etwas Entsprechendes fehlt noch so gut wie vollständig für den dritten großen bürgerlichen Stand, den Kaufmannsstand, Daher ist es nicht zufällig, daß die Unzulänglichkeit des bestehenden höheren Unterrichtswesens am stärksten gerade in den größeren und ausschließlicheren Handelsplätzen empfunden wird, in Bremen ziemlich ebenso stark.'wie in Hamburg, aber auch in Leipzig, Nürnberg, Danzig u. s. f. In den Hansestädten kommt noch hinzu, daß dort erst seit dem Eintritt in den Norddeutschen Bund die all-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/390>, abgerufen am 23.12.2024.