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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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wurden sie nun zu Rheinflößen umgewandelt und, nach Entrichtung der Zölle,
von den "Rheinschiffern" unter Assistenz der "Steuerleute" und "Rheinknechte"
rheinabwärts verstößt.

Für alle bisher erwähnten Vorrichtungen, vom Hauen der Stämme an
bis zum Einbinden der Rheinflöße, enthalten die Schifferordnungen ganz
detaillirte Lohntarife. Sie enthalten aber auch ganz bis in's Einzelne ge¬
hende Fracht-Tarife und Vorschriften, welche bei dem Verkauf der Waaren
an den verschiedenen Rheinmärkten oder auf dem offenen Rhein beobachtet
werden mußten. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts pflegten Rheinschiffer ihre
Sägwaaren für eigene Rechnung schon nicht mehr über Bingen hinaus zu
Verstößen.

Die Parteien bei dem Strike, von welchem ich im Eingange berichtete,
sind nun den Lesern vorgestellt. Die Arbeitgeber waren die Mitglieder der
Schifferschaft, welche sich entweder mit der Flößerei gar nicht selbst zu be¬
schäftigen brauchten, oder, wenn sie es thaten, entweder als Wald- oder als
Rheinschiffer fungirten. Die Arbeitnehmer waren in unserem Falle wohl
Murg- und Rheinknechte, welche gemeinschaftlich, die Einen, wenn sie in
Steinmauren angekommen waren, die Anderen, bevor sie von da rheinab gin¬
gen, das Vorrichten der Flöße für den Rhein als Bedienstete der Schiffer¬
schaft zu besorgen hatten. Das ganze Personal des "Holzgewerbs im Mur¬
genthal" bestand also aus den Schiffern, den vollberechtigter Inhabern von
Schifferhändeln, und ihren Bediensteten (Waldhauern,'Waldknechten, Sägern,
Führern, Einbindern, Rheinknechten, Fuhrleuten, Steuerleuten u. s. w.).
Dieses gesammte Personal mußte einmal im Jahre in Gernsbach zu der
sogenannten "S chiffer-Rügun g", dem Rügegericht erscheinen, welches der
öffentlichen Aufkündung der Schifferordnung (vom Rathhause herab) in be¬
stimmt vorgeschriebener Form folgte. Hier wurde eine bis in die kleinsten
Details eindringende Revue über das gesammte schifferschastliche Geschäft
vom vergangenen Jahre gehalten, Beschwerden vorgebracht, Uebertretungen
der Schifferordnug angezeigt. Entscheidungen gefällt, Strafen verhängt. Denn
jede einzelne Vorschrift der Schifferordnung war durch Geldstrafen gesichert.

In diesen Rügungen spielten die "Hauptschiffer", später der H^uptschiffer
und die "Sechsgeschwohrenen" eine wichtige Rolle -- die gekorenen Vor¬
stände der Schifferschaft. Früher gab es vier Hauptschiffer, welche alle zwei
Jahre neu gewählt wurden; später, seit der Mitte des 16. Jahrhunderts,
fungirte ein auf Lebenszeit gewählter Hauptschiffer, dem 6 Geschworene
("die Sechser") zur Seite standen, als Vorstand.

Die Schiffer-Rügungen, welche schon nach der Schifferordnung von 1509
nur unter Mitwirkung der Beamten (Vögte) der Gemeinsherren abgehalten
werden durften, verloren mehr und mehr ihre Bedeutung, und verwandelten


Grenzboten IV. 1870. 48

wurden sie nun zu Rheinflößen umgewandelt und, nach Entrichtung der Zölle,
von den „Rheinschiffern" unter Assistenz der „Steuerleute" und „Rheinknechte"
rheinabwärts verstößt.

Für alle bisher erwähnten Vorrichtungen, vom Hauen der Stämme an
bis zum Einbinden der Rheinflöße, enthalten die Schifferordnungen ganz
detaillirte Lohntarife. Sie enthalten aber auch ganz bis in's Einzelne ge¬
hende Fracht-Tarife und Vorschriften, welche bei dem Verkauf der Waaren
an den verschiedenen Rheinmärkten oder auf dem offenen Rhein beobachtet
werden mußten. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts pflegten Rheinschiffer ihre
Sägwaaren für eigene Rechnung schon nicht mehr über Bingen hinaus zu
Verstößen.

Die Parteien bei dem Strike, von welchem ich im Eingange berichtete,
sind nun den Lesern vorgestellt. Die Arbeitgeber waren die Mitglieder der
Schifferschaft, welche sich entweder mit der Flößerei gar nicht selbst zu be¬
schäftigen brauchten, oder, wenn sie es thaten, entweder als Wald- oder als
Rheinschiffer fungirten. Die Arbeitnehmer waren in unserem Falle wohl
Murg- und Rheinknechte, welche gemeinschaftlich, die Einen, wenn sie in
Steinmauren angekommen waren, die Anderen, bevor sie von da rheinab gin¬
gen, das Vorrichten der Flöße für den Rhein als Bedienstete der Schiffer¬
schaft zu besorgen hatten. Das ganze Personal des „Holzgewerbs im Mur¬
genthal" bestand also aus den Schiffern, den vollberechtigter Inhabern von
Schifferhändeln, und ihren Bediensteten (Waldhauern,'Waldknechten, Sägern,
Führern, Einbindern, Rheinknechten, Fuhrleuten, Steuerleuten u. s. w.).
Dieses gesammte Personal mußte einmal im Jahre in Gernsbach zu der
sogenannten „S chiffer-Rügun g", dem Rügegericht erscheinen, welches der
öffentlichen Aufkündung der Schifferordnung (vom Rathhause herab) in be¬
stimmt vorgeschriebener Form folgte. Hier wurde eine bis in die kleinsten
Details eindringende Revue über das gesammte schifferschastliche Geschäft
vom vergangenen Jahre gehalten, Beschwerden vorgebracht, Uebertretungen
der Schifferordnug angezeigt. Entscheidungen gefällt, Strafen verhängt. Denn
jede einzelne Vorschrift der Schifferordnung war durch Geldstrafen gesichert.

In diesen Rügungen spielten die „Hauptschiffer", später der H^uptschiffer
und die „Sechsgeschwohrenen" eine wichtige Rolle — die gekorenen Vor¬
stände der Schifferschaft. Früher gab es vier Hauptschiffer, welche alle zwei
Jahre neu gewählt wurden; später, seit der Mitte des 16. Jahrhunderts,
fungirte ein auf Lebenszeit gewählter Hauptschiffer, dem 6 Geschworene
(„die Sechser") zur Seite standen, als Vorstand.

Die Schiffer-Rügungen, welche schon nach der Schifferordnung von 1509
nur unter Mitwirkung der Beamten (Vögte) der Gemeinsherren abgehalten
werden durften, verloren mehr und mehr ihre Bedeutung, und verwandelten


Grenzboten IV. 1870. 48
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[0385] wurden sie nun zu Rheinflößen umgewandelt und, nach Entrichtung der Zölle, von den „Rheinschiffern" unter Assistenz der „Steuerleute" und „Rheinknechte" rheinabwärts verstößt. Für alle bisher erwähnten Vorrichtungen, vom Hauen der Stämme an bis zum Einbinden der Rheinflöße, enthalten die Schifferordnungen ganz detaillirte Lohntarife. Sie enthalten aber auch ganz bis in's Einzelne ge¬ hende Fracht-Tarife und Vorschriften, welche bei dem Verkauf der Waaren an den verschiedenen Rheinmärkten oder auf dem offenen Rhein beobachtet werden mußten. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts pflegten Rheinschiffer ihre Sägwaaren für eigene Rechnung schon nicht mehr über Bingen hinaus zu Verstößen. Die Parteien bei dem Strike, von welchem ich im Eingange berichtete, sind nun den Lesern vorgestellt. Die Arbeitgeber waren die Mitglieder der Schifferschaft, welche sich entweder mit der Flößerei gar nicht selbst zu be¬ schäftigen brauchten, oder, wenn sie es thaten, entweder als Wald- oder als Rheinschiffer fungirten. Die Arbeitnehmer waren in unserem Falle wohl Murg- und Rheinknechte, welche gemeinschaftlich, die Einen, wenn sie in Steinmauren angekommen waren, die Anderen, bevor sie von da rheinab gin¬ gen, das Vorrichten der Flöße für den Rhein als Bedienstete der Schiffer¬ schaft zu besorgen hatten. Das ganze Personal des „Holzgewerbs im Mur¬ genthal" bestand also aus den Schiffern, den vollberechtigter Inhabern von Schifferhändeln, und ihren Bediensteten (Waldhauern,'Waldknechten, Sägern, Führern, Einbindern, Rheinknechten, Fuhrleuten, Steuerleuten u. s. w.). Dieses gesammte Personal mußte einmal im Jahre in Gernsbach zu der sogenannten „S chiffer-Rügun g", dem Rügegericht erscheinen, welches der öffentlichen Aufkündung der Schifferordnung (vom Rathhause herab) in be¬ stimmt vorgeschriebener Form folgte. Hier wurde eine bis in die kleinsten Details eindringende Revue über das gesammte schifferschastliche Geschäft vom vergangenen Jahre gehalten, Beschwerden vorgebracht, Uebertretungen der Schifferordnug angezeigt. Entscheidungen gefällt, Strafen verhängt. Denn jede einzelne Vorschrift der Schifferordnung war durch Geldstrafen gesichert. In diesen Rügungen spielten die „Hauptschiffer", später der H^uptschiffer und die „Sechsgeschwohrenen" eine wichtige Rolle — die gekorenen Vor¬ stände der Schifferschaft. Früher gab es vier Hauptschiffer, welche alle zwei Jahre neu gewählt wurden; später, seit der Mitte des 16. Jahrhunderts, fungirte ein auf Lebenszeit gewählter Hauptschiffer, dem 6 Geschworene („die Sechser") zur Seite standen, als Vorstand. Die Schiffer-Rügungen, welche schon nach der Schifferordnung von 1509 nur unter Mitwirkung der Beamten (Vögte) der Gemeinsherren abgehalten werden durften, verloren mehr und mehr ihre Bedeutung, und verwandelten Grenzboten IV. 1870. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/385>, abgerufen am 24.12.2024.