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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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östreicher verdanken, daß sie eines zweiten Bruderkrieges, der zum Weltbrand
geworden wäre, überhoben worden sind; denn wir wissen es wohl, daß die
östreichische Regierung den böhmischen Landtag im Juli nur in der Hoff¬
nung auflöste, durch denselben eine Majorität sür den Krieg im Reichsrath
zu bekommen, und daß sie ohne den russischen Alp dem Drängen der Hof¬
kreise, der Armee und der Slaven nachgegeben haben würde. Rußland ist
es, das durch diesen Druck auf Oestreich und Dänemark die Bemühungen der
norddeutschen Diplomatie um die Neutralität Italiens erfolgreich machte, --
Rußland, welches durch hinhaltende Scheinbetheiligung die Beust'schen Ver¬
suche zur Begründung einer Neutralitätsliga scheitern ließ, welche den
Zweck haben sollte, Deutschland um die Früchte seiner Siege zu bringen.
Rußland allein machte es uns möglich unsre Süd- und Ostgrenze fast gänzlich
von Truppen zu entblößen, und den Feind durch unsre Uebermacht zu zer¬
quetschen. Das alles verdanken wir Rußland, und niemandem sonst verdanken
wir irgend etwas in diesem Kriege, -- und was ist es denn so viel" was jenes
als Gegendienst erwartet?

Nußland hat zwei Meere zur Verfügung, die Ostsee und das schwarze
Meer. Zum Stromgebiet der Ostsee gehören Polen (dem aber die Weichsel¬
mündung fehlt), die Ostseeprovinzen, die nordwestliche Hälfte Lithauens und
ein schmaler Strich Großrußlands. Zum Stromgebiet des schwarzen Meeres
hingegen gehört die südöstliche Hälfte Lithauens, der südliche Theil Gro߬
rußlands, Kleinrußland, Südrußland, Podolien und Bessarabien. Sehen wir
also von dem Wolga - und Ural-Gebiet ab, so gehört der bei weitem größere,
fruchtbarere und klimatisch begünstigter" Theil des europäischen Rußlands zum
Stromgebiet des schwarzen Meeres. Durch dieses (stets offene) Meer muß
der natürliche Absatzweg der wichtigsten Producte Rußlands gehen, nicht
durch die im Winter zugefrorene Ostsee, wohin eine kurzsichtige Politik den
Schwerpunkt des Reiches zu verlegen gesucht hat. Schon wird die beabsich¬
tigte Massenauswanderung vom Norden nach dem gesegneten Süden nur
noch künstlich zurückgebannt, bald wird der Volksinstinct diese Dämme durch¬
brechen. Am schwarzen Meere, nicht an der Ostsee liegt die Zukunft Ru߬
lands und dies wird sich immer mehr herausstellen, je deutlicher bei steigen¬
dem Bahnverkehr dem Nordrussen die Vorzüge des Südens vor Augen treten,
je mehr die russische Landwirthschaft den Reichthum des südrusstschen Bodens
ausnutzen lernt. Dieses Meer, die Basis seiner Zukunft, kann Nordrußland
auf die Dauer sich nicht versperren lassen. So lange man noch Kriegsflotten
zum Schutz der Handelsflotten für nöthig hält, so lange mußte man darauf
gefaßt sein, daß es Rußlands unablässiges Bestreben sein würde, die Fesseln
abzustreifen, deren Auferlegung es in einem Moment der Erniedrigung sich
hatte gefallen lassen müssen. Glauben, daß Rußland seine Freiheit auf dem


östreicher verdanken, daß sie eines zweiten Bruderkrieges, der zum Weltbrand
geworden wäre, überhoben worden sind; denn wir wissen es wohl, daß die
östreichische Regierung den böhmischen Landtag im Juli nur in der Hoff¬
nung auflöste, durch denselben eine Majorität sür den Krieg im Reichsrath
zu bekommen, und daß sie ohne den russischen Alp dem Drängen der Hof¬
kreise, der Armee und der Slaven nachgegeben haben würde. Rußland ist
es, das durch diesen Druck auf Oestreich und Dänemark die Bemühungen der
norddeutschen Diplomatie um die Neutralität Italiens erfolgreich machte, —
Rußland, welches durch hinhaltende Scheinbetheiligung die Beust'schen Ver¬
suche zur Begründung einer Neutralitätsliga scheitern ließ, welche den
Zweck haben sollte, Deutschland um die Früchte seiner Siege zu bringen.
Rußland allein machte es uns möglich unsre Süd- und Ostgrenze fast gänzlich
von Truppen zu entblößen, und den Feind durch unsre Uebermacht zu zer¬
quetschen. Das alles verdanken wir Rußland, und niemandem sonst verdanken
wir irgend etwas in diesem Kriege, — und was ist es denn so viel» was jenes
als Gegendienst erwartet?

Nußland hat zwei Meere zur Verfügung, die Ostsee und das schwarze
Meer. Zum Stromgebiet der Ostsee gehören Polen (dem aber die Weichsel¬
mündung fehlt), die Ostseeprovinzen, die nordwestliche Hälfte Lithauens und
ein schmaler Strich Großrußlands. Zum Stromgebiet des schwarzen Meeres
hingegen gehört die südöstliche Hälfte Lithauens, der südliche Theil Gro߬
rußlands, Kleinrußland, Südrußland, Podolien und Bessarabien. Sehen wir
also von dem Wolga - und Ural-Gebiet ab, so gehört der bei weitem größere,
fruchtbarere und klimatisch begünstigter« Theil des europäischen Rußlands zum
Stromgebiet des schwarzen Meeres. Durch dieses (stets offene) Meer muß
der natürliche Absatzweg der wichtigsten Producte Rußlands gehen, nicht
durch die im Winter zugefrorene Ostsee, wohin eine kurzsichtige Politik den
Schwerpunkt des Reiches zu verlegen gesucht hat. Schon wird die beabsich¬
tigte Massenauswanderung vom Norden nach dem gesegneten Süden nur
noch künstlich zurückgebannt, bald wird der Volksinstinct diese Dämme durch¬
brechen. Am schwarzen Meere, nicht an der Ostsee liegt die Zukunft Ru߬
lands und dies wird sich immer mehr herausstellen, je deutlicher bei steigen¬
dem Bahnverkehr dem Nordrussen die Vorzüge des Südens vor Augen treten,
je mehr die russische Landwirthschaft den Reichthum des südrusstschen Bodens
ausnutzen lernt. Dieses Meer, die Basis seiner Zukunft, kann Nordrußland
auf die Dauer sich nicht versperren lassen. So lange man noch Kriegsflotten
zum Schutz der Handelsflotten für nöthig hält, so lange mußte man darauf
gefaßt sein, daß es Rußlands unablässiges Bestreben sein würde, die Fesseln
abzustreifen, deren Auferlegung es in einem Moment der Erniedrigung sich
hatte gefallen lassen müssen. Glauben, daß Rußland seine Freiheit auf dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/348>, abgerufen am 22.12.2024.