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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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unmöglich. Selbst jetzt, wo die deutsche Partei Deutschland ehrliche Sympa-
thieen entgegenbringt, ist diese Partei nur in der Opposition, nicht ihr liegt
bis jetzt die Staatslenkung ob. Wie hätten wir früher, wo derartige Sympa¬
thien noch nicht bestanden, wo man bei Hofe, in der Armee und im Volke
nur Rachegedanken für 1866 (mit mehr Recht als bei Frankreich) erwarten
durfte, wie hätten wir da auf Oestreichs wohlwollende Neutralität in einem
stets wie das Damoklesschwert über unserm Haupte schwebenden Kriege mit
Frankreich rechnen sollen? Die Haltung der Ungarn war selbst bei Ausbruch
des Krieges bedenkenerregend, der Haß der Slaven gegen alles Deutsche
offenkundig, das Verlangen der östreichischen Armee, Revanche zu nehmen,
jedem bekannt. Die Leitung der Geschicke Oestreichs lag in einer Hand,
deren Antecedentien nichts weniger als vertrauenerweckend waren, in der
Hand eines aalglatten Diplomaten, bei dem das einzige Beständige im Wechsel
die Principlosigkett ist. Daß Frankreich beim Ausbruch des Krieges mit Be¬
stimmtheit auf die Bundesgenossenschaft Italiens, Oestreichs und Dänemarks
rechnete, ist durch mehrfache officiöse Kundgebungen von französischer Seite
erhärtet; war es da ein Wunder, daß wir nicht gerade die entgegengesetzte
Ansicht von den Velleitäten der östreichischen Negierung hegen konnten? Und
wenn wir gewärtig sein mußten, daß Oestreich das Schwert uns in den
Rücken bohre, dann konnten wir nur einen Theil unsrer Heeresmacht Frank¬
reich entgegenwerfen, dann hatten wir in einem so geführten Kriege nichts zu
gewinnen, nur zu verlieren; denn wir hätten uns wohl gegen beide Gro߬
mächte wehren, aber nicht in diesem Falle Frankreich niederwerfen und
knebeln können.

So drängte uns die Haltung der östreichischen Regierung in die Arme
Rußlands, um bei diesem Schutz für unsern Rücken zu suchen. Es ist dies
nicht eine natürliche Alliance (wie etwa zwischen Deutschland und Oestreich);
das deutsche Volk will zwar mit Nußland in Friede und Freundschaft leben,
aber es hat noch niemals Geschmack an der Idee eines Bündnisses mit dem¬
selben gefunden. Der Panslavismus aber haßt das Deutschthum geradezu.
Es ist mithin nur eine diplomatische Combination aä Koo, eine Com-
bination, die, wie es scheint, beiden Theilen gute Dienste leisten - wird. aber
keine Verpflichtungen sür die Zukunft begründet, keine Muthmaßungen für
dieselbe erlaubt.

Die Aufgabe, den Krieg zwischen Frankreich und Deutschland zu locali-
siren, -- eine Aufgabe, welche alle Großmächte mit dem Munde zu der
ihrigen bekannten, -- Rußland hat sie mit Herz und Hand ergriffen und erfüllt.
Rußland ist es, dem die dänische Regierung es verdankt, daß sie es wagen
durfte, den Velleitäten des Kopenhagener Pöbels Trotz zu bieten, der sie
schon einmal in's Verderben gerissen, -- Rußland ist es, dem es die Deutsch-


unmöglich. Selbst jetzt, wo die deutsche Partei Deutschland ehrliche Sympa-
thieen entgegenbringt, ist diese Partei nur in der Opposition, nicht ihr liegt
bis jetzt die Staatslenkung ob. Wie hätten wir früher, wo derartige Sympa¬
thien noch nicht bestanden, wo man bei Hofe, in der Armee und im Volke
nur Rachegedanken für 1866 (mit mehr Recht als bei Frankreich) erwarten
durfte, wie hätten wir da auf Oestreichs wohlwollende Neutralität in einem
stets wie das Damoklesschwert über unserm Haupte schwebenden Kriege mit
Frankreich rechnen sollen? Die Haltung der Ungarn war selbst bei Ausbruch
des Krieges bedenkenerregend, der Haß der Slaven gegen alles Deutsche
offenkundig, das Verlangen der östreichischen Armee, Revanche zu nehmen,
jedem bekannt. Die Leitung der Geschicke Oestreichs lag in einer Hand,
deren Antecedentien nichts weniger als vertrauenerweckend waren, in der
Hand eines aalglatten Diplomaten, bei dem das einzige Beständige im Wechsel
die Principlosigkett ist. Daß Frankreich beim Ausbruch des Krieges mit Be¬
stimmtheit auf die Bundesgenossenschaft Italiens, Oestreichs und Dänemarks
rechnete, ist durch mehrfache officiöse Kundgebungen von französischer Seite
erhärtet; war es da ein Wunder, daß wir nicht gerade die entgegengesetzte
Ansicht von den Velleitäten der östreichischen Negierung hegen konnten? Und
wenn wir gewärtig sein mußten, daß Oestreich das Schwert uns in den
Rücken bohre, dann konnten wir nur einen Theil unsrer Heeresmacht Frank¬
reich entgegenwerfen, dann hatten wir in einem so geführten Kriege nichts zu
gewinnen, nur zu verlieren; denn wir hätten uns wohl gegen beide Gro߬
mächte wehren, aber nicht in diesem Falle Frankreich niederwerfen und
knebeln können.

So drängte uns die Haltung der östreichischen Regierung in die Arme
Rußlands, um bei diesem Schutz für unsern Rücken zu suchen. Es ist dies
nicht eine natürliche Alliance (wie etwa zwischen Deutschland und Oestreich);
das deutsche Volk will zwar mit Nußland in Friede und Freundschaft leben,
aber es hat noch niemals Geschmack an der Idee eines Bündnisses mit dem¬
selben gefunden. Der Panslavismus aber haßt das Deutschthum geradezu.
Es ist mithin nur eine diplomatische Combination aä Koo, eine Com-
bination, die, wie es scheint, beiden Theilen gute Dienste leisten - wird. aber
keine Verpflichtungen sür die Zukunft begründet, keine Muthmaßungen für
dieselbe erlaubt.

Die Aufgabe, den Krieg zwischen Frankreich und Deutschland zu locali-
siren, — eine Aufgabe, welche alle Großmächte mit dem Munde zu der
ihrigen bekannten, — Rußland hat sie mit Herz und Hand ergriffen und erfüllt.
Rußland ist es, dem die dänische Regierung es verdankt, daß sie es wagen
durfte, den Velleitäten des Kopenhagener Pöbels Trotz zu bieten, der sie
schon einmal in's Verderben gerissen, — Rußland ist es, dem es die Deutsch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/347>, abgerufen am 23.12.2024.