Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.Aechtsleben einer deutschen Kleinstadt im Mittelalter. Auf den Grenzen des alten Sachsen- und Frankengaues, da, wo der In der lieblichen Ebene, in welcher die Dienet sich schlängelt, nachdem sie Dies geschah im dreizehnten Jahrhundert, in welches überhaupt die Bil¬ Grenzboten IV. 1870. 42
Aechtsleben einer deutschen Kleinstadt im Mittelalter. Auf den Grenzen des alten Sachsen- und Frankengaues, da, wo der In der lieblichen Ebene, in welcher die Dienet sich schlängelt, nachdem sie Dies geschah im dreizehnten Jahrhundert, in welches überhaupt die Bil¬ Grenzboten IV. 1870. 42
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Aechtsleben einer deutschen Kleinstadt im Mittelalter.
Auf den Grenzen des alten Sachsen- und Frankengaues, da, wo der
Diemelfluß die preußischen Lande durchzieht, zwischen Marburg und Hofgeis.
mar, als Stationsvrt der westphälischen Eisenbahn, liegt eins der kleinsten
und unbedeutendsten Städtchen Hessens, ja ganz Deutschlands — die Lie¬
ben an. Es zählt nur 600 bis 700 Einwohner und ist selbst dem Namen
nach sicher nur den wenigsten Lesern dieser Zeitschrift bekannt. Deßunge-
achtet darf es bescheiden den Anspruch erheben, aus seinem Dunkel vor die
Öffentlichkeit zu treten. Bei wenig Städten liegt die Geschichte ihrer Ent¬
stehung und ihrer älteren Lebensschicksale so klar vor Augen wie bei Liebenau,
weil hier ein verhältnißmäßig reiches und vollständiges (wenn auch noch gänz¬
lich unbenutztes) Urkundenmaterial vorhanden ist. Dazu kommt, daß sein Ur¬
sprung ganz eigenthümlicher Natur und daß überhaupt die äußere Rechts¬
geschichte deutscher Kleinstädte ein wenig besprochener Gegenstand ist. Nicht
welterschütternde Ereignisse haben wir zu melden, wohl aber ein Miniatur¬
bild zu zeichnen von mittelalterlicher Städtegründung und mittelalterlichen
Städteleben aus einem fast vergessenen Winkel unseres deutschen Vater¬
landes; Ritterthum Md Leibeigenschaft geben für dieses Bild den Hinter¬
grund ab.
In der lieblichen Ebene, in welcher die Dienet sich schlängelt, nachdem sie
die Marburger Höhe passtrt hat, erhebt sich stolz der schroffansteigende Kegel
des Desenbergs, noch jetzt mit den Trümmern einer Burg gekrönt, die einst
bei der Belagerung dem fränkischen Heere große Noth bereitete, weil ihm in
der brennenden Sommerhitze die Quellen versiegten, bis Karl's des Großen
inniges Gebet den noch jetzt fließenden Bullerborn dem Boden entsprudeln
ließ. Später finden wir Burg und Berg in den Händen der Spiegel,
einer bis auf diesen Tag angesehenen, reichbegüterten westphälischen Adels-
familie. Ihre Nachbarn waren die von Papenheim, ein ebenfalls noch
heute blühendes Geschlecht, welches dicht vor Marburg in der Ebene zwischen
dieser Stadt und dem Desenberg saß, in dem Orte Papenhem (Pfaffen-
Heimath), bis es, aus der Ebene sich zurückziehend, unter den Schutz der
nahen Marburg sich begab und dort eins der ersten burgmännischen Ge¬
schlechter wurde.
Dies geschah im dreizehnten Jahrhundert, in welches überhaupt die Bil¬
dung der meisten Städte dortiger Gegend fällt. Die Städte erwuchsen regel¬
mäßig aus dem tiefgefühlten Bedürfniß, die im Lande zerstreuten Woh¬
nungen unter dem Schutze einer Burg enger an einander zu schließen und
Grenzboten IV. 1870. 42
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