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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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wiesen, weil das Interesse der revolutionären Faction durch ihn compromittirt
worden wäre. Die Vertheidigung des heiligen Bodens von Frankreich, die Ehre
des Vaterlandes, das Wohl der Republik hätten dann nicht mehr zur Recht¬
fertigung des Terrorismus angerufen werden können; die gemäßigten und
liberalen Meinungen hätten eine unwiderstehliche Kraft erlangt, die Männer
des 21. Januar entthront und sich der Regierung bemächtigt. Es war 1796
nicht anders als 4 Jahre früher und 74 Jahre später.

Man würde irren, wenn man meinte, daß mit dem Gesagten der reiche
Inhalt des Buches auch nur annähernd erschöpft sei. Es wäre noch zu reden
von der Stellung Englands, von der Politik des großen Pitt, dessen Bild
durch französischen Nationalhaß so abscheulich verunstaltet ist und hier nach
Macaulay's Vorgang zu verdientem Glänze erneuert wird, namentlich aber
von den Angriffen, welche Sybel's Auffassung der östreichischen Politik von
großdeutscher Seite her erfahren hat. Indeß einmal werden die entscheiden¬
den Punkte dieser Controverse erst im folgenden Bande besprochen werden,
und dann wollen wir uns, da diese Zeilen einmal eine Wendung auf die
Gegenwart genommen haben, die Einheit des Bildes nicht stören lassen durch
die Erinnerung an einen häuslichen Zwist.

Wir sehen Frankreichs Staats- und Volksleben einem, wie es scheint,
unaufhaltsamen Verfalle erliegen; den tiefer Blickenden kann es nicht ent¬
gehen, daß derselbe alten Ursprungs ist. Er begann, als dem Götzen der
Gleichheit die Freiheit geopfert und das Bewußtsein der Pflicht in dem Voll¬
gefühl des vermeintlichen Rechtes erstickt wurde; darum erweckt heute die Be¬
trachtung der französischen Revolution ein überwiegend pathologisches In¬
teresse, wenn anders es gestattet ist, diesen Ausdruck aus die sittliche Welt
und das Walten der Freiheit anzuwenden. Deutschland ist einen anderen
Weg gegangen. Wir haben keinen 10. August und 21. Januar zu bereuen,
und Niemand wird es beklagen, daß wir auch der Segnungen einer großen
Epoche, welche nur für den engen Gesichtskreis verblendeten Nationulstolzes
in der Staatsumwälzung des Einen Volkes aufgeht, nicht in dem Taumel
einer Augustnacht, sondern auf dem sicheren Wege steter Reform theilhaftig
geworden sind und noch werden.


Max Les manu.


wiesen, weil das Interesse der revolutionären Faction durch ihn compromittirt
worden wäre. Die Vertheidigung des heiligen Bodens von Frankreich, die Ehre
des Vaterlandes, das Wohl der Republik hätten dann nicht mehr zur Recht¬
fertigung des Terrorismus angerufen werden können; die gemäßigten und
liberalen Meinungen hätten eine unwiderstehliche Kraft erlangt, die Männer
des 21. Januar entthront und sich der Regierung bemächtigt. Es war 1796
nicht anders als 4 Jahre früher und 74 Jahre später.

Man würde irren, wenn man meinte, daß mit dem Gesagten der reiche
Inhalt des Buches auch nur annähernd erschöpft sei. Es wäre noch zu reden
von der Stellung Englands, von der Politik des großen Pitt, dessen Bild
durch französischen Nationalhaß so abscheulich verunstaltet ist und hier nach
Macaulay's Vorgang zu verdientem Glänze erneuert wird, namentlich aber
von den Angriffen, welche Sybel's Auffassung der östreichischen Politik von
großdeutscher Seite her erfahren hat. Indeß einmal werden die entscheiden¬
den Punkte dieser Controverse erst im folgenden Bande besprochen werden,
und dann wollen wir uns, da diese Zeilen einmal eine Wendung auf die
Gegenwart genommen haben, die Einheit des Bildes nicht stören lassen durch
die Erinnerung an einen häuslichen Zwist.

Wir sehen Frankreichs Staats- und Volksleben einem, wie es scheint,
unaufhaltsamen Verfalle erliegen; den tiefer Blickenden kann es nicht ent¬
gehen, daß derselbe alten Ursprungs ist. Er begann, als dem Götzen der
Gleichheit die Freiheit geopfert und das Bewußtsein der Pflicht in dem Voll¬
gefühl des vermeintlichen Rechtes erstickt wurde; darum erweckt heute die Be¬
trachtung der französischen Revolution ein überwiegend pathologisches In¬
teresse, wenn anders es gestattet ist, diesen Ausdruck aus die sittliche Welt
und das Walten der Freiheit anzuwenden. Deutschland ist einen anderen
Weg gegangen. Wir haben keinen 10. August und 21. Januar zu bereuen,
und Niemand wird es beklagen, daß wir auch der Segnungen einer großen
Epoche, welche nur für den engen Gesichtskreis verblendeten Nationulstolzes
in der Staatsumwälzung des Einen Volkes aufgeht, nicht in dem Taumel
einer Augustnacht, sondern auf dem sicheren Wege steter Reform theilhaftig
geworden sind und noch werden.


Max Les manu.


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[0336] wiesen, weil das Interesse der revolutionären Faction durch ihn compromittirt worden wäre. Die Vertheidigung des heiligen Bodens von Frankreich, die Ehre des Vaterlandes, das Wohl der Republik hätten dann nicht mehr zur Recht¬ fertigung des Terrorismus angerufen werden können; die gemäßigten und liberalen Meinungen hätten eine unwiderstehliche Kraft erlangt, die Männer des 21. Januar entthront und sich der Regierung bemächtigt. Es war 1796 nicht anders als 4 Jahre früher und 74 Jahre später. Man würde irren, wenn man meinte, daß mit dem Gesagten der reiche Inhalt des Buches auch nur annähernd erschöpft sei. Es wäre noch zu reden von der Stellung Englands, von der Politik des großen Pitt, dessen Bild durch französischen Nationalhaß so abscheulich verunstaltet ist und hier nach Macaulay's Vorgang zu verdientem Glänze erneuert wird, namentlich aber von den Angriffen, welche Sybel's Auffassung der östreichischen Politik von großdeutscher Seite her erfahren hat. Indeß einmal werden die entscheiden¬ den Punkte dieser Controverse erst im folgenden Bande besprochen werden, und dann wollen wir uns, da diese Zeilen einmal eine Wendung auf die Gegenwart genommen haben, die Einheit des Bildes nicht stören lassen durch die Erinnerung an einen häuslichen Zwist. Wir sehen Frankreichs Staats- und Volksleben einem, wie es scheint, unaufhaltsamen Verfalle erliegen; den tiefer Blickenden kann es nicht ent¬ gehen, daß derselbe alten Ursprungs ist. Er begann, als dem Götzen der Gleichheit die Freiheit geopfert und das Bewußtsein der Pflicht in dem Voll¬ gefühl des vermeintlichen Rechtes erstickt wurde; darum erweckt heute die Be¬ trachtung der französischen Revolution ein überwiegend pathologisches In¬ teresse, wenn anders es gestattet ist, diesen Ausdruck aus die sittliche Welt und das Walten der Freiheit anzuwenden. Deutschland ist einen anderen Weg gegangen. Wir haben keinen 10. August und 21. Januar zu bereuen, und Niemand wird es beklagen, daß wir auch der Segnungen einer großen Epoche, welche nur für den engen Gesichtskreis verblendeten Nationulstolzes in der Staatsumwälzung des Einen Volkes aufgeht, nicht in dem Taumel einer Augustnacht, sondern auf dem sicheren Wege steter Reform theilhaftig geworden sind und noch werden. Max Les manu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/336>, abgerufen am 22.12.2024.