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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Immermann's äußeres Wesen entsprach seinem Geiste; die kräftig ge¬
baute Gestalt, die breite Stirn, unter der die scharfen Augen hervorblitzten,
die große Nase und der festgeschnittene Mund gaben seiner Erscheinung etwas
Jmperatorisches. Fremden gegenüber vornehm zurückhaltend, gab er sich voll
und ganz, wo er auf Verständniß rechnen konnte. Seine Unterhaltung war
stets bedeutend, man hörte nichts Geringfügiges von ihm; in Allem, was er
sagte, trat der Adel einer großen freien Seele hervor, die rückhaltlos stets
dem Gedachten vollen Ausdruck lieh. Er gehörte nicht zu den Glückskin¬
dern, die sich von Anfang an harmonisch entwickeln dürfen; in knappen Ver¬
hältnissen und trüber Zeit war er aufgewachsen. "Wir haben als Kinder
auch gespielt, gejauchzt und ausgelassenes Zeug getrieben, aber selbst die
Kinder verließ der Gedanke nicht, daß die Väter todtgeschossen würden, wenn
sie etwa sagten, Napoleon sei auch nur ein Mensch wie Andere. Noth, Ar¬
muth, Elend überall, Ekel an den öffentlichen Verhältnissen, die eiserne Faust
des Despotismus über jedem Haupte." (2. S. 263.) Der Druck dieser
Jahre war nicht geeignet, die inneren Gegensätze des Charakters auszuglei¬
chen, die Immermann selbst in sich erkannte und mit auf die Gegensätze sei¬
ner Eltern zurückführte. "Der Vater fünfundvierzig, die Mutter achtzehn
Jahre alt, er streng, eisenfest, schroff, schwer, sie weich, nachgiebig ohne Maß".
"Die sonderbarsten Widersprüche", schreibt er seiner Braut, "vereinigen sich
in mir. Ich bin kalt und warm, gerecht und ungerecht, aufopfernd und
egoistisch, offen bis zum Exceß und geheimnißvoll versteckt, hart und weich
sehr klug und sehr dumm. Wo liegt da die Einheit? Der Contrast von
Frost und Gluth, vom Starren und Flüssigen war schon das Gesetz, unter
welches die Stunde meiner Empfängnis? fiel. In mir erscheint nun dieser
Contrast als strenger, kalter, unbestechlicher Verstand neben schwärmender
Phantasie und das Gefühl ist etwas von diesem Widerspruche bedeckt."

Zu diesen Gegensätzen, die sich auch in dem fortwährend wechselnden
Ausdruck des Gesichtes spiegelten, trat nun in der Periode, wo sonst der
Mann sich die Befriedigung des eigenen Hauses schafft, ein anomales Ver¬
hältniß, welches bei aller Anregung doch mit wachsendem Druck die Seele
des Dichters belastete und nicht einmal das Gegengewicht eines befriedigenden
Berufes hatte. Daher der Ausdruck des Kämpfens und Ringens in seinen
Werken, der sich erst im Münchhausen harmonisch löst und der in den ge¬
nannten Briefen an seine Braut so ganz der Befriedigung und inneren
Versöhnung gewichen ist. Aus dieser Stimmung des Friedens ist auch das
Sonett hervorgegangen, mit dem wir diese Skizze schließen.


Ich schau in unsre Nacht und seh den Stern,
Nach dem die Zukunft wird ihr Steuer richten,

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Immermann's äußeres Wesen entsprach seinem Geiste; die kräftig ge¬
baute Gestalt, die breite Stirn, unter der die scharfen Augen hervorblitzten,
die große Nase und der festgeschnittene Mund gaben seiner Erscheinung etwas
Jmperatorisches. Fremden gegenüber vornehm zurückhaltend, gab er sich voll
und ganz, wo er auf Verständniß rechnen konnte. Seine Unterhaltung war
stets bedeutend, man hörte nichts Geringfügiges von ihm; in Allem, was er
sagte, trat der Adel einer großen freien Seele hervor, die rückhaltlos stets
dem Gedachten vollen Ausdruck lieh. Er gehörte nicht zu den Glückskin¬
dern, die sich von Anfang an harmonisch entwickeln dürfen; in knappen Ver¬
hältnissen und trüber Zeit war er aufgewachsen. „Wir haben als Kinder
auch gespielt, gejauchzt und ausgelassenes Zeug getrieben, aber selbst die
Kinder verließ der Gedanke nicht, daß die Väter todtgeschossen würden, wenn
sie etwa sagten, Napoleon sei auch nur ein Mensch wie Andere. Noth, Ar¬
muth, Elend überall, Ekel an den öffentlichen Verhältnissen, die eiserne Faust
des Despotismus über jedem Haupte." (2. S. 263.) Der Druck dieser
Jahre war nicht geeignet, die inneren Gegensätze des Charakters auszuglei¬
chen, die Immermann selbst in sich erkannte und mit auf die Gegensätze sei¬
ner Eltern zurückführte. „Der Vater fünfundvierzig, die Mutter achtzehn
Jahre alt, er streng, eisenfest, schroff, schwer, sie weich, nachgiebig ohne Maß".
„Die sonderbarsten Widersprüche", schreibt er seiner Braut, „vereinigen sich
in mir. Ich bin kalt und warm, gerecht und ungerecht, aufopfernd und
egoistisch, offen bis zum Exceß und geheimnißvoll versteckt, hart und weich
sehr klug und sehr dumm. Wo liegt da die Einheit? Der Contrast von
Frost und Gluth, vom Starren und Flüssigen war schon das Gesetz, unter
welches die Stunde meiner Empfängnis? fiel. In mir erscheint nun dieser
Contrast als strenger, kalter, unbestechlicher Verstand neben schwärmender
Phantasie und das Gefühl ist etwas von diesem Widerspruche bedeckt."

Zu diesen Gegensätzen, die sich auch in dem fortwährend wechselnden
Ausdruck des Gesichtes spiegelten, trat nun in der Periode, wo sonst der
Mann sich die Befriedigung des eigenen Hauses schafft, ein anomales Ver¬
hältniß, welches bei aller Anregung doch mit wachsendem Druck die Seele
des Dichters belastete und nicht einmal das Gegengewicht eines befriedigenden
Berufes hatte. Daher der Ausdruck des Kämpfens und Ringens in seinen
Werken, der sich erst im Münchhausen harmonisch löst und der in den ge¬
nannten Briefen an seine Braut so ganz der Befriedigung und inneren
Versöhnung gewichen ist. Aus dieser Stimmung des Friedens ist auch das
Sonett hervorgegangen, mit dem wir diese Skizze schließen.


Ich schau in unsre Nacht und seh den Stern,
Nach dem die Zukunft wird ihr Steuer richten,

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[0299] Immermann's äußeres Wesen entsprach seinem Geiste; die kräftig ge¬ baute Gestalt, die breite Stirn, unter der die scharfen Augen hervorblitzten, die große Nase und der festgeschnittene Mund gaben seiner Erscheinung etwas Jmperatorisches. Fremden gegenüber vornehm zurückhaltend, gab er sich voll und ganz, wo er auf Verständniß rechnen konnte. Seine Unterhaltung war stets bedeutend, man hörte nichts Geringfügiges von ihm; in Allem, was er sagte, trat der Adel einer großen freien Seele hervor, die rückhaltlos stets dem Gedachten vollen Ausdruck lieh. Er gehörte nicht zu den Glückskin¬ dern, die sich von Anfang an harmonisch entwickeln dürfen; in knappen Ver¬ hältnissen und trüber Zeit war er aufgewachsen. „Wir haben als Kinder auch gespielt, gejauchzt und ausgelassenes Zeug getrieben, aber selbst die Kinder verließ der Gedanke nicht, daß die Väter todtgeschossen würden, wenn sie etwa sagten, Napoleon sei auch nur ein Mensch wie Andere. Noth, Ar¬ muth, Elend überall, Ekel an den öffentlichen Verhältnissen, die eiserne Faust des Despotismus über jedem Haupte." (2. S. 263.) Der Druck dieser Jahre war nicht geeignet, die inneren Gegensätze des Charakters auszuglei¬ chen, die Immermann selbst in sich erkannte und mit auf die Gegensätze sei¬ ner Eltern zurückführte. „Der Vater fünfundvierzig, die Mutter achtzehn Jahre alt, er streng, eisenfest, schroff, schwer, sie weich, nachgiebig ohne Maß". „Die sonderbarsten Widersprüche", schreibt er seiner Braut, „vereinigen sich in mir. Ich bin kalt und warm, gerecht und ungerecht, aufopfernd und egoistisch, offen bis zum Exceß und geheimnißvoll versteckt, hart und weich sehr klug und sehr dumm. Wo liegt da die Einheit? Der Contrast von Frost und Gluth, vom Starren und Flüssigen war schon das Gesetz, unter welches die Stunde meiner Empfängnis? fiel. In mir erscheint nun dieser Contrast als strenger, kalter, unbestechlicher Verstand neben schwärmender Phantasie und das Gefühl ist etwas von diesem Widerspruche bedeckt." Zu diesen Gegensätzen, die sich auch in dem fortwährend wechselnden Ausdruck des Gesichtes spiegelten, trat nun in der Periode, wo sonst der Mann sich die Befriedigung des eigenen Hauses schafft, ein anomales Ver¬ hältniß, welches bei aller Anregung doch mit wachsendem Druck die Seele des Dichters belastete und nicht einmal das Gegengewicht eines befriedigenden Berufes hatte. Daher der Ausdruck des Kämpfens und Ringens in seinen Werken, der sich erst im Münchhausen harmonisch löst und der in den ge¬ nannten Briefen an seine Braut so ganz der Befriedigung und inneren Versöhnung gewichen ist. Aus dieser Stimmung des Friedens ist auch das Sonett hervorgegangen, mit dem wir diese Skizze schließen. Ich schau in unsre Nacht und seh den Stern, Nach dem die Zukunft wird ihr Steuer richten, 37*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/299>, abgerufen am 22.12.2024.