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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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im Interesse des Staatsganzen existenzfähig zu erhalten, gerade so wie dies
bei anderen Landescalamitäten, bei Überschwemmung, Hungersnoth u. dergl.
noch zu geschehen pflegt. Das Edict vom 3. Juni 1814 wegen Vergütung
der Leistungen während des zur Zeit beendigten Krieges erklärte: "Diejenigen
Oerter und Individuen, welche durch Kriegsübel besonders gelitten haben und die
sich ohne außerordentliche Beihilfe nicht retabliren können, sind von den Regierun¬
gen nach zuvoriger gehöriger Untersuchung der Sache und Feststellung der Schaden¬
zustände Unserem Finanzminister anzuzeigen, demselben sind Vorschläge zu machen,
wie diesen Verunglückten nach den Ortsverhältnissen und anderen Umständen
am besten und schleunigsten geholfen werden kann, und derselbe hat Uns
darüber mit Berücksichtigung der disponiblen Geld- und anderen Fonds Vor¬
schläge zu machen". Man sieht hieraus, daß der preußische Staat damals
den Verunglückten nach Kräften zu Hilfe kommen wollte. Das gleiche Stre¬
ben des Staates hat gewiß auch den Director des statistischen Bureaus, Geh.
Ober-Reg.-Rath Dr. Engel, nach Straßburg geführt. Der Kriegsschäden in
Straßburg ist indessen, in Folge der Fortschritte auf dem Gebiete der Kriegs¬
kunst, so enorm, daß die Gewährung einer zureichenden Hilfsleistung aus
Staatsmitteln bezweifelt werden muß, zumal jeder Staatsbürger, dessen Exi¬
stenzfähigkeit durch den Krieg geschädigt worden ist, gleichen Anspruch auf
den Staat haben würde, dessen vornehmste Aufgabe vor allen Dingen darin
besteht, alle Glieder des Ganzen mit gleichmachender Gerechtigkeit zu um¬
fassen. Wollte aber der Staat jedem einzelnen Staatsbürger den Verlust
an individuellem, beweglichem und unbeweglichem Vermögen ersetzen, so wäre
dies ein Ding der Unmöglichkeit, und würde ohne Umkehr der bestehenden
Staatsordnung gar nicht ausführbar sein. Jetzt entnimmt der Staat, als
allgemeines Mittel im Dienste der gesammten ethischen Ideen, die nöthigen
Fonds zur Handhabung des Rechts, zum Schutz der bürgerlichen Gemein¬
schaft und zur Pflege jedes wirthschaftlichen, intellectuellen und sittlichen In¬
stituts, kurz zur Erfüllung aller seiner Aufgaben, aus der Tasche der pro-
ducirenden Bürger. Ohne auf die Irrwege des Socialismus zu gelangen,
würde er umgekehrt diese seine Fonds den letzteren für ihre Zwecke nicht
verfügbar machen können. Deutschland kann demnach den Straßburgern den
auf 180 Millionen geschätzten Kriegsschäden nicht ersetzen; es kann ihnen
nur eine angemessene Beihilfe gewähren. Dagegen würde es sich empfehlen,
wenn Deutschland beim Friedensschlüsse von Frankreich für Straßburg Scha¬
denersatz verlangte. Ob und in wie weit dies angänglich erscheint, hängt
indessen von staatspolitischen Eventualitäten ab, die sich für jetzt noch der
Beurtheilung entziehen. So viel steht indessen fest: das erste materielle Be¬
dürfniß, welches in Straßburg befriedigt werden muß, besteht in dem Wie¬
deraufbau der abgebrannten und zerstörten Häuser, ohne welche der Bürger-


im Interesse des Staatsganzen existenzfähig zu erhalten, gerade so wie dies
bei anderen Landescalamitäten, bei Überschwemmung, Hungersnoth u. dergl.
noch zu geschehen pflegt. Das Edict vom 3. Juni 1814 wegen Vergütung
der Leistungen während des zur Zeit beendigten Krieges erklärte: „Diejenigen
Oerter und Individuen, welche durch Kriegsübel besonders gelitten haben und die
sich ohne außerordentliche Beihilfe nicht retabliren können, sind von den Regierun¬
gen nach zuvoriger gehöriger Untersuchung der Sache und Feststellung der Schaden¬
zustände Unserem Finanzminister anzuzeigen, demselben sind Vorschläge zu machen,
wie diesen Verunglückten nach den Ortsverhältnissen und anderen Umständen
am besten und schleunigsten geholfen werden kann, und derselbe hat Uns
darüber mit Berücksichtigung der disponiblen Geld- und anderen Fonds Vor¬
schläge zu machen". Man sieht hieraus, daß der preußische Staat damals
den Verunglückten nach Kräften zu Hilfe kommen wollte. Das gleiche Stre¬
ben des Staates hat gewiß auch den Director des statistischen Bureaus, Geh.
Ober-Reg.-Rath Dr. Engel, nach Straßburg geführt. Der Kriegsschäden in
Straßburg ist indessen, in Folge der Fortschritte auf dem Gebiete der Kriegs¬
kunst, so enorm, daß die Gewährung einer zureichenden Hilfsleistung aus
Staatsmitteln bezweifelt werden muß, zumal jeder Staatsbürger, dessen Exi¬
stenzfähigkeit durch den Krieg geschädigt worden ist, gleichen Anspruch auf
den Staat haben würde, dessen vornehmste Aufgabe vor allen Dingen darin
besteht, alle Glieder des Ganzen mit gleichmachender Gerechtigkeit zu um¬
fassen. Wollte aber der Staat jedem einzelnen Staatsbürger den Verlust
an individuellem, beweglichem und unbeweglichem Vermögen ersetzen, so wäre
dies ein Ding der Unmöglichkeit, und würde ohne Umkehr der bestehenden
Staatsordnung gar nicht ausführbar sein. Jetzt entnimmt der Staat, als
allgemeines Mittel im Dienste der gesammten ethischen Ideen, die nöthigen
Fonds zur Handhabung des Rechts, zum Schutz der bürgerlichen Gemein¬
schaft und zur Pflege jedes wirthschaftlichen, intellectuellen und sittlichen In¬
stituts, kurz zur Erfüllung aller seiner Aufgaben, aus der Tasche der pro-
ducirenden Bürger. Ohne auf die Irrwege des Socialismus zu gelangen,
würde er umgekehrt diese seine Fonds den letzteren für ihre Zwecke nicht
verfügbar machen können. Deutschland kann demnach den Straßburgern den
auf 180 Millionen geschätzten Kriegsschäden nicht ersetzen; es kann ihnen
nur eine angemessene Beihilfe gewähren. Dagegen würde es sich empfehlen,
wenn Deutschland beim Friedensschlüsse von Frankreich für Straßburg Scha¬
denersatz verlangte. Ob und in wie weit dies angänglich erscheint, hängt
indessen von staatspolitischen Eventualitäten ab, die sich für jetzt noch der
Beurtheilung entziehen. So viel steht indessen fest: das erste materielle Be¬
dürfniß, welches in Straßburg befriedigt werden muß, besteht in dem Wie¬
deraufbau der abgebrannten und zerstörten Häuser, ohne welche der Bürger-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/275>, abgerufen am 22.12.2024.