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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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schaft selbst nach dem Eintritt des Friedens die ersten Existenzbedingungen:
Wohnung, Geschäftsloeal, Werkstatt und Vorrathsräume fehlen würden. Dazu
gehören Capital und Credit, die sich am leichtesten auf dem Wege der Selbst¬
hilfe nach dem Vorbilde der Engländer beschaffen lassen. Diese besitzen in '
den "Lenetit duiläwg Looieties" Associationen, deren Eigenthümlichkeit darin
besteht, daß sie in einem genossenschaftlichen Systeme die Mittel zur Erwerbung
und Bebauung von Grundstücken beschaffen und darreichen, also gerade das
leisten, was in Straßburg Noth thut, um dort den Strom des wirthschaft¬
lichen Lebens wieder in Gang zu bringen. Die Nützlichkeit dieser Schöpfungen
für das gemeine Wohl erkannte schon die Parlamentsacte von 1836 an. Im
Jahre 1850 gab es schon 1200 solcher Gesellschaften, mit einem jährlichen
Einkommen von 2,400,000 Pf. Se., eine Summe, die im Laufe von 20 Jahren
gewiß sehr bedeutend gewachsen ist.

Gegenwärtig gibt es zwei Gattungen solcher Baugesellschaften: ge¬
schlossene und offene. Die geschlossenen (terminMn^) setzen sich für die bei¬
getretenen Grundstücke nicht nur eine bestimmte Tilgungsperiode, sondern
nehmen auch nach Ablauf einer bestimmten Frist Niemand mehr in ihre
Credit- und Tilgungsgesellschaft auf. Die offenen (pörratmeut) Gesellschaften
gestatten den Zu- und Austritt zu jeder Zeit. Die letzteren erfreuen sich der
größten Theilnahme, während die ersteren häufig genöthigt sind, sich in offene
zu verwandeln, weil es ihnen bei Eröffnung ihrer Thätigkeit an dem nöthigen
Geld für die Creditsuchenden, oder am Ende der Tilgungsperiode an Ab¬
nehmern für die reichlich eingehenden Gelder fehlte. Die erste Form dieser
Genossenschaft ist jedenfalls sehr einfach gewesen. Eine Anzahl von Personen-
welche ein eigenes Haus haben wollten, trat zusammen, schrieb die erforder¬
lichen Beiträge aus, kaufte Land, baute Häuser darauf und jeder nahm ein
Haus. Bald ergab sich indessen, daß es auch Mitglieder gab, denen es nur
darum zu thun war, eine Miethswohnung zu erhalten, ihr Vermögen aber
vortheilhafter in der Genossenschaft als in der Sparkasse anzulegen. Anderen
Mitgliedern war es darum zu thun, das zum Zinsgenuß eingelegte Geld
auf dem Wege des Credits zum Ankauf von Ländereien und Häusern zu
verwenden. Aus diese Weise bildeten sich bald zwei Mitgliedergruppen: Cre-
ditgeber und Kreditnehmer. Erstere erhielten für ihre Beiträge Anleihescheine,
letztere hatten die ans den Ländereierwerb und Häuserbau verwendeten Hypo¬
theken-Vorschüsse innerhalb einer im Voraus festgesetzten Zeit mit Zinsen
zurückzuzahlen. Die englischen Baugesellschaften haben den von Dr. Engel
ins Leben gerufenen Hypothekenversicherungsgesellschaften zum Muster gedient.
Damit ist der Beweis geliefert, daß das ihnen zu Grunde liegende System
auch auf deutscher-Erde Prosperiren kann. Mit der Einrichtung einer solchen
Baugenossenschaft dürste vor allen Dingen den Straßburger Calamitosen be°


schaft selbst nach dem Eintritt des Friedens die ersten Existenzbedingungen:
Wohnung, Geschäftsloeal, Werkstatt und Vorrathsräume fehlen würden. Dazu
gehören Capital und Credit, die sich am leichtesten auf dem Wege der Selbst¬
hilfe nach dem Vorbilde der Engländer beschaffen lassen. Diese besitzen in '
den „Lenetit duiläwg Looieties" Associationen, deren Eigenthümlichkeit darin
besteht, daß sie in einem genossenschaftlichen Systeme die Mittel zur Erwerbung
und Bebauung von Grundstücken beschaffen und darreichen, also gerade das
leisten, was in Straßburg Noth thut, um dort den Strom des wirthschaft¬
lichen Lebens wieder in Gang zu bringen. Die Nützlichkeit dieser Schöpfungen
für das gemeine Wohl erkannte schon die Parlamentsacte von 1836 an. Im
Jahre 1850 gab es schon 1200 solcher Gesellschaften, mit einem jährlichen
Einkommen von 2,400,000 Pf. Se., eine Summe, die im Laufe von 20 Jahren
gewiß sehr bedeutend gewachsen ist.

Gegenwärtig gibt es zwei Gattungen solcher Baugesellschaften: ge¬
schlossene und offene. Die geschlossenen (terminMn^) setzen sich für die bei¬
getretenen Grundstücke nicht nur eine bestimmte Tilgungsperiode, sondern
nehmen auch nach Ablauf einer bestimmten Frist Niemand mehr in ihre
Credit- und Tilgungsgesellschaft auf. Die offenen (pörratmeut) Gesellschaften
gestatten den Zu- und Austritt zu jeder Zeit. Die letzteren erfreuen sich der
größten Theilnahme, während die ersteren häufig genöthigt sind, sich in offene
zu verwandeln, weil es ihnen bei Eröffnung ihrer Thätigkeit an dem nöthigen
Geld für die Creditsuchenden, oder am Ende der Tilgungsperiode an Ab¬
nehmern für die reichlich eingehenden Gelder fehlte. Die erste Form dieser
Genossenschaft ist jedenfalls sehr einfach gewesen. Eine Anzahl von Personen-
welche ein eigenes Haus haben wollten, trat zusammen, schrieb die erforder¬
lichen Beiträge aus, kaufte Land, baute Häuser darauf und jeder nahm ein
Haus. Bald ergab sich indessen, daß es auch Mitglieder gab, denen es nur
darum zu thun war, eine Miethswohnung zu erhalten, ihr Vermögen aber
vortheilhafter in der Genossenschaft als in der Sparkasse anzulegen. Anderen
Mitgliedern war es darum zu thun, das zum Zinsgenuß eingelegte Geld
auf dem Wege des Credits zum Ankauf von Ländereien und Häusern zu
verwenden. Aus diese Weise bildeten sich bald zwei Mitgliedergruppen: Cre-
ditgeber und Kreditnehmer. Erstere erhielten für ihre Beiträge Anleihescheine,
letztere hatten die ans den Ländereierwerb und Häuserbau verwendeten Hypo¬
theken-Vorschüsse innerhalb einer im Voraus festgesetzten Zeit mit Zinsen
zurückzuzahlen. Die englischen Baugesellschaften haben den von Dr. Engel
ins Leben gerufenen Hypothekenversicherungsgesellschaften zum Muster gedient.
Damit ist der Beweis geliefert, daß das ihnen zu Grunde liegende System
auch auf deutscher-Erde Prosperiren kann. Mit der Einrichtung einer solchen
Baugenossenschaft dürste vor allen Dingen den Straßburger Calamitosen be°


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/276>, abgerufen am 22.12.2024.