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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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in ihren Einzelheiten, er wäre unfähig gewesen, wie sein Oheim, dem Staats¬
rath zu Präsidiren und das Budget genauer zu controliren, Er war da¬
gegen auch moralisch nicht so gefühllos, wie der Gründer seiner Dynastie;
er wäre zwar nie von einem Blutvergießen zurückgeschreckt, wenn es für sei¬
nen Thron unbedingt nothwendig erschien, aber er wäre nicht wie jener über
das Schlachtfeld von Austerlitz mit den Worten geritten: voiUi. uns Zranäe
consoMmation, er hätte nicht die Königin Louise nach einer Niederlage roh
behandelt, er war vielmehr, wo sein Interesse nicht auf dem Spiele stand, gut¬
müthig, freigebig und vergaß niemals erwiesene Dienste.

Aber weil er die Staatsgeschäfte nicht wie Napoleon I. zu beherrschen
wußte, mußte er sich auf Andere für die Ausführung seiner Pläne verlassen
und doch hinderte ihn das System des persönlichen Regiments daran, selb¬
ständige Köpfe heranzuziehen, weil solche sich eventuell auch widersetzt hätten,
daher die mannigfachen Widersprüche in der Durchführung seiner Gedanken,
er konnte nicht controliren, ob die richtigen Mittel ergriffen, weil er dies/
selbst nicht anzugeben wußte. Dieser Gegensatz zu Napoleon I. wird noch
dadurch erhöht, daß er nicht wie derselbe eine Schule militärischer Action in
einer Zeit der Revolution durchgemacht, sondern die eines Verschwörers in
ruhigen Zeitläuften. Alexis de Tocqueville, welcher sein Minister unter der
Präsidentschaft gewesen war, gab auf die Frage: eines moi pu'avezi vous
trouv6 an tora ne cet Komme? die ihm später ein Freund stellte, die Ant¬
wort: 1e rekugie Italien; it ne sait xg.s ig. äiMrenee entre r6ver et verser."
Er zeigte bei der Ausführung seiner Plane oft große Verschlagenheit, aber
er legte sie ebenso oft als Enthusiast an. Daher die wunderbaren Wider¬
sprüche seiner Politik, Feuer und Wasser trafen zusammen und das Ganze
ging in Dampf auf.

Unstreitig war es eine langgenährte Idee des Kaisers, Italien vom
französischen Joche zu befreien und an Oestreich das Unrecht zu rächen, das
es diesem Lande gethan; an dieser Idee setzte Cavour seine Hebel ein und
wußte ihn trotz aller Bedenken zum Vorgehen zu bringen, aber Angesichts
des Festungsvierecks und einer drohenden Coalition schmolz der Traum eines
Italiens "frei von den Alpen bis zur Adria" hinweg. Der Kaiser war keines¬
wegs so kurzsichtig, daß er nicht die Schwierigkeiten, die der italienische Feld¬
zug, namentlich in Bezug auf die päpstliche Frage hervorrufen mußte, vor¬
ausgesehen hätte, abschalte Anhänglichkeit an die Sache, für die er einst ge¬
fochten und Cavours Geschick wirkten so auf seine Einbildungskraft, daß seine
Vernunft schwieg, bis er die Wälle von Mantua und Verona vor sich sah.
Es war wesentlich der nie verschwunde Wunsch, sein Programm "frei bis zur
Adria" ausgeführt zu sehen, was ihn bewog, nicht nur dem östreichisch-preußischen
Conflikt von 66 zuzusehen, sondern die italienisch-preußische Allianz zu befördern.


in ihren Einzelheiten, er wäre unfähig gewesen, wie sein Oheim, dem Staats¬
rath zu Präsidiren und das Budget genauer zu controliren, Er war da¬
gegen auch moralisch nicht so gefühllos, wie der Gründer seiner Dynastie;
er wäre zwar nie von einem Blutvergießen zurückgeschreckt, wenn es für sei¬
nen Thron unbedingt nothwendig erschien, aber er wäre nicht wie jener über
das Schlachtfeld von Austerlitz mit den Worten geritten: voiUi. uns Zranäe
consoMmation, er hätte nicht die Königin Louise nach einer Niederlage roh
behandelt, er war vielmehr, wo sein Interesse nicht auf dem Spiele stand, gut¬
müthig, freigebig und vergaß niemals erwiesene Dienste.

Aber weil er die Staatsgeschäfte nicht wie Napoleon I. zu beherrschen
wußte, mußte er sich auf Andere für die Ausführung seiner Pläne verlassen
und doch hinderte ihn das System des persönlichen Regiments daran, selb¬
ständige Köpfe heranzuziehen, weil solche sich eventuell auch widersetzt hätten,
daher die mannigfachen Widersprüche in der Durchführung seiner Gedanken,
er konnte nicht controliren, ob die richtigen Mittel ergriffen, weil er dies/
selbst nicht anzugeben wußte. Dieser Gegensatz zu Napoleon I. wird noch
dadurch erhöht, daß er nicht wie derselbe eine Schule militärischer Action in
einer Zeit der Revolution durchgemacht, sondern die eines Verschwörers in
ruhigen Zeitläuften. Alexis de Tocqueville, welcher sein Minister unter der
Präsidentschaft gewesen war, gab auf die Frage: eines moi pu'avezi vous
trouv6 an tora ne cet Komme? die ihm später ein Freund stellte, die Ant¬
wort: 1e rekugie Italien; it ne sait xg.s ig. äiMrenee entre r6ver et verser."
Er zeigte bei der Ausführung seiner Plane oft große Verschlagenheit, aber
er legte sie ebenso oft als Enthusiast an. Daher die wunderbaren Wider¬
sprüche seiner Politik, Feuer und Wasser trafen zusammen und das Ganze
ging in Dampf auf.

Unstreitig war es eine langgenährte Idee des Kaisers, Italien vom
französischen Joche zu befreien und an Oestreich das Unrecht zu rächen, das
es diesem Lande gethan; an dieser Idee setzte Cavour seine Hebel ein und
wußte ihn trotz aller Bedenken zum Vorgehen zu bringen, aber Angesichts
des Festungsvierecks und einer drohenden Coalition schmolz der Traum eines
Italiens „frei von den Alpen bis zur Adria" hinweg. Der Kaiser war keines¬
wegs so kurzsichtig, daß er nicht die Schwierigkeiten, die der italienische Feld¬
zug, namentlich in Bezug auf die päpstliche Frage hervorrufen mußte, vor¬
ausgesehen hätte, abschalte Anhänglichkeit an die Sache, für die er einst ge¬
fochten und Cavours Geschick wirkten so auf seine Einbildungskraft, daß seine
Vernunft schwieg, bis er die Wälle von Mantua und Verona vor sich sah.
Es war wesentlich der nie verschwunde Wunsch, sein Programm „frei bis zur
Adria" ausgeführt zu sehen, was ihn bewog, nicht nur dem östreichisch-preußischen
Conflikt von 66 zuzusehen, sondern die italienisch-preußische Allianz zu befördern.


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[0222] in ihren Einzelheiten, er wäre unfähig gewesen, wie sein Oheim, dem Staats¬ rath zu Präsidiren und das Budget genauer zu controliren, Er war da¬ gegen auch moralisch nicht so gefühllos, wie der Gründer seiner Dynastie; er wäre zwar nie von einem Blutvergießen zurückgeschreckt, wenn es für sei¬ nen Thron unbedingt nothwendig erschien, aber er wäre nicht wie jener über das Schlachtfeld von Austerlitz mit den Worten geritten: voiUi. uns Zranäe consoMmation, er hätte nicht die Königin Louise nach einer Niederlage roh behandelt, er war vielmehr, wo sein Interesse nicht auf dem Spiele stand, gut¬ müthig, freigebig und vergaß niemals erwiesene Dienste. Aber weil er die Staatsgeschäfte nicht wie Napoleon I. zu beherrschen wußte, mußte er sich auf Andere für die Ausführung seiner Pläne verlassen und doch hinderte ihn das System des persönlichen Regiments daran, selb¬ ständige Köpfe heranzuziehen, weil solche sich eventuell auch widersetzt hätten, daher die mannigfachen Widersprüche in der Durchführung seiner Gedanken, er konnte nicht controliren, ob die richtigen Mittel ergriffen, weil er dies/ selbst nicht anzugeben wußte. Dieser Gegensatz zu Napoleon I. wird noch dadurch erhöht, daß er nicht wie derselbe eine Schule militärischer Action in einer Zeit der Revolution durchgemacht, sondern die eines Verschwörers in ruhigen Zeitläuften. Alexis de Tocqueville, welcher sein Minister unter der Präsidentschaft gewesen war, gab auf die Frage: eines moi pu'avezi vous trouv6 an tora ne cet Komme? die ihm später ein Freund stellte, die Ant¬ wort: 1e rekugie Italien; it ne sait xg.s ig. äiMrenee entre r6ver et verser." Er zeigte bei der Ausführung seiner Plane oft große Verschlagenheit, aber er legte sie ebenso oft als Enthusiast an. Daher die wunderbaren Wider¬ sprüche seiner Politik, Feuer und Wasser trafen zusammen und das Ganze ging in Dampf auf. Unstreitig war es eine langgenährte Idee des Kaisers, Italien vom französischen Joche zu befreien und an Oestreich das Unrecht zu rächen, das es diesem Lande gethan; an dieser Idee setzte Cavour seine Hebel ein und wußte ihn trotz aller Bedenken zum Vorgehen zu bringen, aber Angesichts des Festungsvierecks und einer drohenden Coalition schmolz der Traum eines Italiens „frei von den Alpen bis zur Adria" hinweg. Der Kaiser war keines¬ wegs so kurzsichtig, daß er nicht die Schwierigkeiten, die der italienische Feld¬ zug, namentlich in Bezug auf die päpstliche Frage hervorrufen mußte, vor¬ ausgesehen hätte, abschalte Anhänglichkeit an die Sache, für die er einst ge¬ fochten und Cavours Geschick wirkten so auf seine Einbildungskraft, daß seine Vernunft schwieg, bis er die Wälle von Mantua und Verona vor sich sah. Es war wesentlich der nie verschwunde Wunsch, sein Programm „frei bis zur Adria" ausgeführt zu sehen, was ihn bewog, nicht nur dem östreichisch-preußischen Conflikt von 66 zuzusehen, sondern die italienisch-preußische Allianz zu befördern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/222>, abgerufen am 22.12.2024.