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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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blendenden Oberfläche brütete tiefe Fäulniß, deren Dünste nur durch unab¬
lässigen Weihrauch erstickt wurden; das Schlimmste jedoch, was den unpar¬
teiisch beobachtenden französischen Patrioten am meisten mit Schmerz erfüllen
mußte, war, daß kein Weg zur friedlichen Besserung der Zustände sich
zeigte. Ideologen hatten einst an die Bekehrung des persönlichen Regiments
zum Liberalismus geglaubt, mit dem Plebiscit war es entschieden, daß das
kaiserliche System nur durch eine Revolution oder einen auswärtigen Krieg
gestürzt werden konnte. Eine Revolution war zu Lebzeiten des Kaisers un¬
möglich, weil er sie rücksichtslos niedergeschlagen und dabei die besitzenden
Klassen auf seiner Seite gehabt hätte, sie wäre beim Tode des Kaisers
wahrscheinlich versucht, aber eine energische Regentschaft wäre unschwer mit
ihr fertig geworden, es lag vielmehr in dem Geschicke des ersten wie des
zweiten Bonapartismus durch die auswärtige Politik zu fallen, welche doch
die Glanzseite seines Regiments bilden sollte.

Die eitle, leidenschaftliche Nation sollte für den Mangel an Freiheit
durch Ruhm entschädigt werden, Frankreich sollte wieder die rmtiou solsil
werden, deren Wille für die Völker Europas maßgebend sein sollte. Unleug¬
bar ist der Kaiser dabei Anfangs mit großem Geschicke zu Werke gegangen;
nachdem er nach dem Staatsstreich zuerst unsicher umhergetastet und die Ge¬
wißheit erlangt, daß jede directe Wiederaufnahme der Politik seines Oheims
einer Coalition begegnen würde, wußte er meisterhaft die Fehler der russi¬
schen Arroganz zu benutzen, um das Uebergewicht eines Systems zu brechen,
das wie ein Alp auf ganz Europa lastete, er sicherte sich die englische Allianz
und demüthigte doch England, indem er Frankreich als stärker zeigte; er
zwang Lord Palmerston zum Frieden in dem Augenblick, wo dieser den
Krieg mit voller Energie hätte fortführen wollen, und verband sich gleich¬
zeitig den bisherigen Gegner, Rußland, indem er dasselbe vor einer noch tie¬
feren Demüthigung schützte. Der Pariser Frieden bezeichnet den Höhepunkt
seiner Politik, aber schon damals hatte er seinen Meister, der ihn leitete und
benutzte, in Cavour gefunden, wie er ihm später im Grafen Bismarck be¬
gegnen sollte.

Hierin lag der tiefe Unterschied zwischen ihm und Napoleon I. Die Po¬
litik beider war rein persönlich, sie wollten Frankreich nur groß sehen, weil
sie Alleinherrscher dieses Landes waren. Aber kein Sterblicher konnte sich
rühmen, Napoleon I. benutzt zu haben, er war ein hartgesottener Egoist
von titanischen Geiste, der nur fiel, weil ihm das sittliche Gegengewicht
fehlte, das allein eine solche Natur vor Maßlosigkeit bewahren kann. Na¬
poleon III. ist weder so bedeutend, noch so schlecht wie sein Oheim. Er war
weder im Stande, Diplomaten wie Cavour oder Bismarck die Spitze zu
bieten, noch ein Feldherr von Bedeutung, noch kannte er die Verwaltung


blendenden Oberfläche brütete tiefe Fäulniß, deren Dünste nur durch unab¬
lässigen Weihrauch erstickt wurden; das Schlimmste jedoch, was den unpar¬
teiisch beobachtenden französischen Patrioten am meisten mit Schmerz erfüllen
mußte, war, daß kein Weg zur friedlichen Besserung der Zustände sich
zeigte. Ideologen hatten einst an die Bekehrung des persönlichen Regiments
zum Liberalismus geglaubt, mit dem Plebiscit war es entschieden, daß das
kaiserliche System nur durch eine Revolution oder einen auswärtigen Krieg
gestürzt werden konnte. Eine Revolution war zu Lebzeiten des Kaisers un¬
möglich, weil er sie rücksichtslos niedergeschlagen und dabei die besitzenden
Klassen auf seiner Seite gehabt hätte, sie wäre beim Tode des Kaisers
wahrscheinlich versucht, aber eine energische Regentschaft wäre unschwer mit
ihr fertig geworden, es lag vielmehr in dem Geschicke des ersten wie des
zweiten Bonapartismus durch die auswärtige Politik zu fallen, welche doch
die Glanzseite seines Regiments bilden sollte.

Die eitle, leidenschaftliche Nation sollte für den Mangel an Freiheit
durch Ruhm entschädigt werden, Frankreich sollte wieder die rmtiou solsil
werden, deren Wille für die Völker Europas maßgebend sein sollte. Unleug¬
bar ist der Kaiser dabei Anfangs mit großem Geschicke zu Werke gegangen;
nachdem er nach dem Staatsstreich zuerst unsicher umhergetastet und die Ge¬
wißheit erlangt, daß jede directe Wiederaufnahme der Politik seines Oheims
einer Coalition begegnen würde, wußte er meisterhaft die Fehler der russi¬
schen Arroganz zu benutzen, um das Uebergewicht eines Systems zu brechen,
das wie ein Alp auf ganz Europa lastete, er sicherte sich die englische Allianz
und demüthigte doch England, indem er Frankreich als stärker zeigte; er
zwang Lord Palmerston zum Frieden in dem Augenblick, wo dieser den
Krieg mit voller Energie hätte fortführen wollen, und verband sich gleich¬
zeitig den bisherigen Gegner, Rußland, indem er dasselbe vor einer noch tie¬
feren Demüthigung schützte. Der Pariser Frieden bezeichnet den Höhepunkt
seiner Politik, aber schon damals hatte er seinen Meister, der ihn leitete und
benutzte, in Cavour gefunden, wie er ihm später im Grafen Bismarck be¬
gegnen sollte.

Hierin lag der tiefe Unterschied zwischen ihm und Napoleon I. Die Po¬
litik beider war rein persönlich, sie wollten Frankreich nur groß sehen, weil
sie Alleinherrscher dieses Landes waren. Aber kein Sterblicher konnte sich
rühmen, Napoleon I. benutzt zu haben, er war ein hartgesottener Egoist
von titanischen Geiste, der nur fiel, weil ihm das sittliche Gegengewicht
fehlte, das allein eine solche Natur vor Maßlosigkeit bewahren kann. Na¬
poleon III. ist weder so bedeutend, noch so schlecht wie sein Oheim. Er war
weder im Stande, Diplomaten wie Cavour oder Bismarck die Spitze zu
bieten, noch ein Feldherr von Bedeutung, noch kannte er die Verwaltung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/221>, abgerufen am 22.12.2024.