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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Noch weit unglücklicher spielte seine Phantasie ihm freilich in der mexi-
kanischen Angelegenheit mit, wo er den Träumen von Ideologen und In¬
triguen von Verbannten Gehör schenkte, um einem der Anarchie verfallenen
Lande einen Souverän zu octroyiren, auf die Gefahr eines Kriegs mit den
Vereinigten Staaten, deren Allianz zu erhalten Tradition der französischen
Politik war.

Der erleuchtete Despotismus läßt sich aber nur unter der Bedingung
durchführen, daß sein Träger dem eignen Volke wie den übrigen Regierun¬
gen gleichmäßig überlegen ist; der beschränkte Hochmuth der Petersburger
und Wiener Politik gewährte Napoleon bis 1860 durchgreifende Erfolge,
Cavour, Bismark, Gortschakoff und Seward gegenüber zog er den Kürzeren,
mit jedem Fehlgriff schwand sein Prestige, bis er endlich zum of. bangue ge¬
drängt war -- und verlor. Wir glauben es dem Kaiser gern, daß er im
Grunde den Krieg nicht gewollt hat, wenigstens war er im allgemeinen
Taumel der Einzige, der die Größe des Kampfes zu erkennen schien, aber er
hatte so lange dem Ansprüche Frankreichs geschmeichelt, eine dictatorische
Rolle in Europa zu spielen, daß er sich nicht im Stande fühlte, mit der
alten Tradition zu brechen und Deutschland einfach und ehrlich seiner eignen
Entwicklung zu überlassen; dies war sein Verhängniß.

In einem 1843 geschriebenen Aufsatz "Iss (AouverllöMkZuts et Isurs sou-
liers" erzählt Napoleon die Geschichte eines Amerikaners Sampatch. der ein
Gerüst über den Niagarafall errichtete, von dessen Höhe er sich vor den Augen
der dichtgedrängten Menge in den Strudel stürzte, und so oft dies gefähr¬
liche Experiment wiederholte, bis er eines Tages dabei verunglückte. "Es
giebt," sagt er, "Regierungen, welche diesem amerikanischen Seiltänzer glei¬
chen, und deren Geschichte sich in den Worten zusammenfassen läßt: müh¬
samer Aufbau eines Gerüstes, furchtbarer Sturz; auf einigen in die Erde
gepflanzten Balken erheben sie ein ungeheuerliches Gebäu, das, wenn es be¬
endet ist, zusammenbricht, weil es keinen festen Grund, kein Gleichgewicht
hat, und sie in ihrem Sturze begräbt".

Sollte nicht der Gefangene von Wilhelmshöhe bei der Betrachtung des
furchtbaren materiellen wie moralischen Bankerottes, der sich dermalen in
Frankreich vollzieht, unwillkürlich dieser Zeilen sich erinnern, mit denen er,
ohne es zu ahnen, prophetisch das Schicksal der verwirklichten läess Xaxo-
löomevQLS vorgezeichnet hat? --




Noch weit unglücklicher spielte seine Phantasie ihm freilich in der mexi-
kanischen Angelegenheit mit, wo er den Träumen von Ideologen und In¬
triguen von Verbannten Gehör schenkte, um einem der Anarchie verfallenen
Lande einen Souverän zu octroyiren, auf die Gefahr eines Kriegs mit den
Vereinigten Staaten, deren Allianz zu erhalten Tradition der französischen
Politik war.

Der erleuchtete Despotismus läßt sich aber nur unter der Bedingung
durchführen, daß sein Träger dem eignen Volke wie den übrigen Regierun¬
gen gleichmäßig überlegen ist; der beschränkte Hochmuth der Petersburger
und Wiener Politik gewährte Napoleon bis 1860 durchgreifende Erfolge,
Cavour, Bismark, Gortschakoff und Seward gegenüber zog er den Kürzeren,
mit jedem Fehlgriff schwand sein Prestige, bis er endlich zum of. bangue ge¬
drängt war — und verlor. Wir glauben es dem Kaiser gern, daß er im
Grunde den Krieg nicht gewollt hat, wenigstens war er im allgemeinen
Taumel der Einzige, der die Größe des Kampfes zu erkennen schien, aber er
hatte so lange dem Ansprüche Frankreichs geschmeichelt, eine dictatorische
Rolle in Europa zu spielen, daß er sich nicht im Stande fühlte, mit der
alten Tradition zu brechen und Deutschland einfach und ehrlich seiner eignen
Entwicklung zu überlassen; dies war sein Verhängniß.

In einem 1843 geschriebenen Aufsatz „Iss (AouverllöMkZuts et Isurs sou-
liers" erzählt Napoleon die Geschichte eines Amerikaners Sampatch. der ein
Gerüst über den Niagarafall errichtete, von dessen Höhe er sich vor den Augen
der dichtgedrängten Menge in den Strudel stürzte, und so oft dies gefähr¬
liche Experiment wiederholte, bis er eines Tages dabei verunglückte. „Es
giebt," sagt er, „Regierungen, welche diesem amerikanischen Seiltänzer glei¬
chen, und deren Geschichte sich in den Worten zusammenfassen läßt: müh¬
samer Aufbau eines Gerüstes, furchtbarer Sturz; auf einigen in die Erde
gepflanzten Balken erheben sie ein ungeheuerliches Gebäu, das, wenn es be¬
endet ist, zusammenbricht, weil es keinen festen Grund, kein Gleichgewicht
hat, und sie in ihrem Sturze begräbt".

Sollte nicht der Gefangene von Wilhelmshöhe bei der Betrachtung des
furchtbaren materiellen wie moralischen Bankerottes, der sich dermalen in
Frankreich vollzieht, unwillkürlich dieser Zeilen sich erinnern, mit denen er,
ohne es zu ahnen, prophetisch das Schicksal der verwirklichten läess Xaxo-
löomevQLS vorgezeichnet hat? —




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[0223] Noch weit unglücklicher spielte seine Phantasie ihm freilich in der mexi- kanischen Angelegenheit mit, wo er den Träumen von Ideologen und In¬ triguen von Verbannten Gehör schenkte, um einem der Anarchie verfallenen Lande einen Souverän zu octroyiren, auf die Gefahr eines Kriegs mit den Vereinigten Staaten, deren Allianz zu erhalten Tradition der französischen Politik war. Der erleuchtete Despotismus läßt sich aber nur unter der Bedingung durchführen, daß sein Träger dem eignen Volke wie den übrigen Regierun¬ gen gleichmäßig überlegen ist; der beschränkte Hochmuth der Petersburger und Wiener Politik gewährte Napoleon bis 1860 durchgreifende Erfolge, Cavour, Bismark, Gortschakoff und Seward gegenüber zog er den Kürzeren, mit jedem Fehlgriff schwand sein Prestige, bis er endlich zum of. bangue ge¬ drängt war — und verlor. Wir glauben es dem Kaiser gern, daß er im Grunde den Krieg nicht gewollt hat, wenigstens war er im allgemeinen Taumel der Einzige, der die Größe des Kampfes zu erkennen schien, aber er hatte so lange dem Ansprüche Frankreichs geschmeichelt, eine dictatorische Rolle in Europa zu spielen, daß er sich nicht im Stande fühlte, mit der alten Tradition zu brechen und Deutschland einfach und ehrlich seiner eignen Entwicklung zu überlassen; dies war sein Verhängniß. In einem 1843 geschriebenen Aufsatz „Iss (AouverllöMkZuts et Isurs sou- liers" erzählt Napoleon die Geschichte eines Amerikaners Sampatch. der ein Gerüst über den Niagarafall errichtete, von dessen Höhe er sich vor den Augen der dichtgedrängten Menge in den Strudel stürzte, und so oft dies gefähr¬ liche Experiment wiederholte, bis er eines Tages dabei verunglückte. „Es giebt," sagt er, „Regierungen, welche diesem amerikanischen Seiltänzer glei¬ chen, und deren Geschichte sich in den Worten zusammenfassen läßt: müh¬ samer Aufbau eines Gerüstes, furchtbarer Sturz; auf einigen in die Erde gepflanzten Balken erheben sie ein ungeheuerliches Gebäu, das, wenn es be¬ endet ist, zusammenbricht, weil es keinen festen Grund, kein Gleichgewicht hat, und sie in ihrem Sturze begräbt". Sollte nicht der Gefangene von Wilhelmshöhe bei der Betrachtung des furchtbaren materiellen wie moralischen Bankerottes, der sich dermalen in Frankreich vollzieht, unwillkürlich dieser Zeilen sich erinnern, mit denen er, ohne es zu ahnen, prophetisch das Schicksal der verwirklichten läess Xaxo- löomevQLS vorgezeichnet hat? —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/223>, abgerufen am 22.12.2024.