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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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wagte, eine Anleihe oder Vermehrung des Contingents zu fordern. So
wurden die für die nothwendige Erneuerung und Instandhaltung des Kriegs¬
materials bestimmten Summen verwendet, um die Kosten des Feldzugs für
die lateinische Race zu decken, und während die Cadres im Militärbudget
vollzählig aufgeführt wurden, sank der Effectivbestand der Art, daß nach Sa-
dowa die Marschälle erklärten, nur 200,000 M. kriegsbereit zu haben. Nach¬
dem Napoleon nun mit dem Lavalette'schen Circular gute Miene zum bösen
Spiel gemacht, wurde Alles in Bewegung gesetzt, um die Armee kriegstüchtig
zu machen, kein Geld ward gespart, um sie in Bewaffnung und Ausrüstung
der preußischen ebenbürtig zu machen. Aber den entscheidenden Schritt der
Einführung der allgemeinen Wehrpflicht wagte man doch nicht, obwohl der
Kaiser dafür war und schon 1843 die preußische Militärorganisation "die
vorzüglichste, die jemals unter civilisirten Völkern bestanden hat" nannte. "
(I?roArös an ?g,s as Lalais 3. Mai). Die französische Gesellschaft war unter
dem Kaiserthum zu selbstsüchtig und üppig geworden, um sich den großen
Opfern zu fügen, welche der allgemeine Dienst von einer Nation fordert.
Das Jagen nach Reichthum führte vielmehr dazu, daß jeder Dienstpflichtige,
der es nur irgend vermochte, sich einen Stellvertreter kaufte und somit die
ganze Last des Dienstes auf die ärmeren Klassen fiel, welche dies als eine
bittere Ungerechtigkeit fühlten und die Conscription als wahre Blutsteuer
haßten. Außerdem kommt in Betracht, daß während früher die Stellver¬
treter auf dem Wege der freien Vereinbarung beschafft wurden, jetzt der
Staat dieselben lieferte, indem die Loskaufgelder in eine große Centralkasse
gezahlt wurden. Aber die Fonds derselben wurden bei den finanziellen Ver¬
legenheiten angegriffen, die Stellvertreter nicht gestellt und so kam es, daß
beim Ausbruch des gegenwärtigen Krieges vielfach nur 1500 Mann gefun¬
den wurden, wo 1800 auf dem Papier standen. Generale und Marschälle
bezogen durch Aemtercumulation ungeheure Gehalte, aber für Soldaten und
Intendantur geschah wenig, auch hier machte es sich geltend, daß der Kaiser
wohl Befehle geben, aber nicht controliren konnte, ob sie ausgeführt waren.
Daher die weitverbreitete Unzufriedenheit in der Armee, die beim Plebiscit
einen so bedeutsamen Ausdruck fand, daher die Auflösung der Disciplin,
welche nach den ersten Niederlagen dieses Sommers so furchtbar hervortrat,
zwischen den Soldaten und den Offizieren bestand kein Band. Andererseits
hat der gegenwärtige Krieg bewiesen, daß eine neue Heeresorganisation, zu¬
mal wenn sie mit einer durchgreifenden Veränderung der Bewaffnung ver¬
bunden ist, sich nicht improvisiren läßt, daß vielmehr eine Armee Zeit haben
muß. sich in jede Reform einzuleben. --

So war kurz skizzirt der Stand der inneren Verhältnisse Frankreichs;
nach Außen stand Frankreich mächtig, reich, glänzend da, aber unter der


wagte, eine Anleihe oder Vermehrung des Contingents zu fordern. So
wurden die für die nothwendige Erneuerung und Instandhaltung des Kriegs¬
materials bestimmten Summen verwendet, um die Kosten des Feldzugs für
die lateinische Race zu decken, und während die Cadres im Militärbudget
vollzählig aufgeführt wurden, sank der Effectivbestand der Art, daß nach Sa-
dowa die Marschälle erklärten, nur 200,000 M. kriegsbereit zu haben. Nach¬
dem Napoleon nun mit dem Lavalette'schen Circular gute Miene zum bösen
Spiel gemacht, wurde Alles in Bewegung gesetzt, um die Armee kriegstüchtig
zu machen, kein Geld ward gespart, um sie in Bewaffnung und Ausrüstung
der preußischen ebenbürtig zu machen. Aber den entscheidenden Schritt der
Einführung der allgemeinen Wehrpflicht wagte man doch nicht, obwohl der
Kaiser dafür war und schon 1843 die preußische Militärorganisation „die
vorzüglichste, die jemals unter civilisirten Völkern bestanden hat" nannte. "
(I?roArös an ?g,s as Lalais 3. Mai). Die französische Gesellschaft war unter
dem Kaiserthum zu selbstsüchtig und üppig geworden, um sich den großen
Opfern zu fügen, welche der allgemeine Dienst von einer Nation fordert.
Das Jagen nach Reichthum führte vielmehr dazu, daß jeder Dienstpflichtige,
der es nur irgend vermochte, sich einen Stellvertreter kaufte und somit die
ganze Last des Dienstes auf die ärmeren Klassen fiel, welche dies als eine
bittere Ungerechtigkeit fühlten und die Conscription als wahre Blutsteuer
haßten. Außerdem kommt in Betracht, daß während früher die Stellver¬
treter auf dem Wege der freien Vereinbarung beschafft wurden, jetzt der
Staat dieselben lieferte, indem die Loskaufgelder in eine große Centralkasse
gezahlt wurden. Aber die Fonds derselben wurden bei den finanziellen Ver¬
legenheiten angegriffen, die Stellvertreter nicht gestellt und so kam es, daß
beim Ausbruch des gegenwärtigen Krieges vielfach nur 1500 Mann gefun¬
den wurden, wo 1800 auf dem Papier standen. Generale und Marschälle
bezogen durch Aemtercumulation ungeheure Gehalte, aber für Soldaten und
Intendantur geschah wenig, auch hier machte es sich geltend, daß der Kaiser
wohl Befehle geben, aber nicht controliren konnte, ob sie ausgeführt waren.
Daher die weitverbreitete Unzufriedenheit in der Armee, die beim Plebiscit
einen so bedeutsamen Ausdruck fand, daher die Auflösung der Disciplin,
welche nach den ersten Niederlagen dieses Sommers so furchtbar hervortrat,
zwischen den Soldaten und den Offizieren bestand kein Band. Andererseits
hat der gegenwärtige Krieg bewiesen, daß eine neue Heeresorganisation, zu¬
mal wenn sie mit einer durchgreifenden Veränderung der Bewaffnung ver¬
bunden ist, sich nicht improvisiren läßt, daß vielmehr eine Armee Zeit haben
muß. sich in jede Reform einzuleben. —

So war kurz skizzirt der Stand der inneren Verhältnisse Frankreichs;
nach Außen stand Frankreich mächtig, reich, glänzend da, aber unter der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/220>, abgerufen am 23.12.2024.