Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.die Deutschen in diesen Wochen enger zusammen gewachsen, so mag auch in die Deutschen in diesen Wochen enger zusammen gewachsen, so mag auch in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0200" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124906"/> <p xml:id="ID_601" prev="#ID_600"> die Deutschen in diesen Wochen enger zusammen gewachsen, so mag auch in<lb/> den Residenzen das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit dem Volk lebhaf¬<lb/> ter zum Bewußtsein gekommen sein. Und das Volk in Süddeutschland hat<lb/> unter dem Eindruck der Thaten seiner Söhne im Feld überall den ehrlichen<lb/> Willen bekundet, mir dem Norden auch im Frieden treu zusammen zu halten.<lb/> In Bayern und Würtemberg ist eine Volksagitation für den Anschluß an den<lb/> Bund entstanden, die für die Regierungen keineswegs gleichgültig sein kann.<lb/> Denn es ist ihnen schwerlich entgangen, daß dieselbe nicht von gewöhnlichen<lb/> und gewerbsmäßigen Agitatoren gemacht worden ist, sondern daß sie ihren<lb/> Sitz in den achtbarsten Kreisen der Bevölkerung hat, in jenem soliden con-<lb/> servativen Theil der Bürgerschaft, den eine Regierung nicht ungestraft von<lb/> sich stößt. Eben die letztere Erfahrung hat die würtenbergische Regierung<lb/> nun seit 4 Jahren zu machen reichliche Gelegenheit gehabt. Die isolirte<lb/> Stellung des Staats hat hier Erscheinungen hervorgerufen, die eine geord¬<lb/> nete stätige Thätigkeit der gesetzgeberischen Factoren seit geraumer Zeit ge¬<lb/> radezu unmöglich macht, und man darf annehmen, daß die Sehnsucht aus<lb/> diesen Zuständen heraus zu kommen auch von Seiten der Regierung getheilt<lb/> wird. Und ebenso ist Bayern in dieser Zeit in steigendem Maße der Tum¬<lb/> melplatz wilder und völlig resultatloser Parteikämpfe gewesen. Nur Ein Re¬<lb/> sultat müßte die Fortdauer dieser Parteikämpfe unausbleiblich haben; sie<lb/> würden zuletzt den Staat in die Unmöglichkeit versetzen, die Verträge mit<lb/> Preußen in loyaler Weise zu halten, deren Verpflichtungen nachzukommen<lb/> doch das eigenste Interesse ist. Geradezu als eine Erlösung aus unleidlichen<lb/> und hoffnungslosen Zuständen müßten es diese Staaten begrüßen, wenn ihr<lb/> Verhältniß zu Deutschland definitiv geregelt und damit dem willkürlichen<lb/> Gezänk der inneren Parteien entzogen würde. Doch der stärkste Antrieb<lb/> liegt zuletzt in dem Verhältniß, in welchem die süddeutschen Staaten unter<lb/> einander stehen. Die Idee des Südbunds hat von Anfang an vorherrschend<lb/> den Spott herausgefordert, aber wir erkennen es heute doch als einen Segen,<lb/> daß niemals auch nur ein Versuch zur Verwirklichung dieses napoleonischen<lb/> Projects gemacht worden ist. Welche Ansprüche würde ein Südbund er¬<lb/> heben, wenn er als ein geschlossenes Ganzes mit dem Nordbund zu pactiren<lb/> im Stande wäre! Statt seiner sind es heute die einzelnen Staaten, welche<lb/> dire Annäherung an den Bund suchen, und es sind Staaten, die einen sehr<lb/> verschiedenen Grad von Geneigtheit hierzu mitbringen. Nach der Größe, nach<lb/> der geographischen Folge, wie nach dem guten Willen ist es eine Stufen¬<lb/> reihe, die nichts zu wünschen übrig läßt. Aber der eine Stein, der dem<lb/> Schwerpunkt folgend sich loslöst, wird unfehlbar die andern nach sich ziehen.<lb/> Die Geschwindigkeit ist eine verschiedene, und Einer wird der Letzte sein, aber<lb/> zurückbleiben wird keiner.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0200]
die Deutschen in diesen Wochen enger zusammen gewachsen, so mag auch in
den Residenzen das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit dem Volk lebhaf¬
ter zum Bewußtsein gekommen sein. Und das Volk in Süddeutschland hat
unter dem Eindruck der Thaten seiner Söhne im Feld überall den ehrlichen
Willen bekundet, mir dem Norden auch im Frieden treu zusammen zu halten.
In Bayern und Würtemberg ist eine Volksagitation für den Anschluß an den
Bund entstanden, die für die Regierungen keineswegs gleichgültig sein kann.
Denn es ist ihnen schwerlich entgangen, daß dieselbe nicht von gewöhnlichen
und gewerbsmäßigen Agitatoren gemacht worden ist, sondern daß sie ihren
Sitz in den achtbarsten Kreisen der Bevölkerung hat, in jenem soliden con-
servativen Theil der Bürgerschaft, den eine Regierung nicht ungestraft von
sich stößt. Eben die letztere Erfahrung hat die würtenbergische Regierung
nun seit 4 Jahren zu machen reichliche Gelegenheit gehabt. Die isolirte
Stellung des Staats hat hier Erscheinungen hervorgerufen, die eine geord¬
nete stätige Thätigkeit der gesetzgeberischen Factoren seit geraumer Zeit ge¬
radezu unmöglich macht, und man darf annehmen, daß die Sehnsucht aus
diesen Zuständen heraus zu kommen auch von Seiten der Regierung getheilt
wird. Und ebenso ist Bayern in dieser Zeit in steigendem Maße der Tum¬
melplatz wilder und völlig resultatloser Parteikämpfe gewesen. Nur Ein Re¬
sultat müßte die Fortdauer dieser Parteikämpfe unausbleiblich haben; sie
würden zuletzt den Staat in die Unmöglichkeit versetzen, die Verträge mit
Preußen in loyaler Weise zu halten, deren Verpflichtungen nachzukommen
doch das eigenste Interesse ist. Geradezu als eine Erlösung aus unleidlichen
und hoffnungslosen Zuständen müßten es diese Staaten begrüßen, wenn ihr
Verhältniß zu Deutschland definitiv geregelt und damit dem willkürlichen
Gezänk der inneren Parteien entzogen würde. Doch der stärkste Antrieb
liegt zuletzt in dem Verhältniß, in welchem die süddeutschen Staaten unter
einander stehen. Die Idee des Südbunds hat von Anfang an vorherrschend
den Spott herausgefordert, aber wir erkennen es heute doch als einen Segen,
daß niemals auch nur ein Versuch zur Verwirklichung dieses napoleonischen
Projects gemacht worden ist. Welche Ansprüche würde ein Südbund er¬
heben, wenn er als ein geschlossenes Ganzes mit dem Nordbund zu pactiren
im Stande wäre! Statt seiner sind es heute die einzelnen Staaten, welche
dire Annäherung an den Bund suchen, und es sind Staaten, die einen sehr
verschiedenen Grad von Geneigtheit hierzu mitbringen. Nach der Größe, nach
der geographischen Folge, wie nach dem guten Willen ist es eine Stufen¬
reihe, die nichts zu wünschen übrig läßt. Aber der eine Stein, der dem
Schwerpunkt folgend sich loslöst, wird unfehlbar die andern nach sich ziehen.
Die Geschwindigkeit ist eine verschiedene, und Einer wird der Letzte sein, aber
zurückbleiben wird keiner.
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