Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.die in Ausübung seiner Pflicht und seines Berufs gethanen Aeußerun¬ die in Ausübung seiner Pflicht und seines Berufs gethanen Aeußerun¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0173" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124879"/> <p xml:id="ID_526" prev="#ID_525" next="#ID_527"> die in Ausübung seiner Pflicht und seines Berufs gethanen Aeußerun¬<lb/> gen nicht unter den Rechtsbegriff der Ehrenkränkungen fallen können? Der<lb/> Bildungsgang und die Routine der praktischen Juristen in Deutschland<lb/> würde es auch wohl gelten lassen, wenn man ihnen sagte, daß schon im<lb/> weiland römischen Reich oxiniones und sentsntias derer, die den staatlichen<lb/> Beruf dazu haben, nicht Objecte einer Injurienklage sein können, und daß<lb/> man auch in Deutschand niemals im Ernst den Versuch gemacht hat, die<lb/> hunderttausendfältigen Landesgravamina der Landstände durch Injurienklagen<lb/> zur Ruhe zu bringen. Für den Juristen, dem nicht über der Beschäftigung<lb/> mit den Rechten das Recht verloren gegangen ist, entscheidet sich die Frage<lb/> schon aus dem Staatsberuf der Körperschaft, selbst ohne ausdrückliches Gesetz.<lb/> Allein für einen Theil unserer Beamtenwelt ist die beschworen? Verfassung<lb/> mit ihren staatsrechtlichen Begriffen noch immer etwas so Fremdes, die Be¬<lb/> schäftigung mit dem Allg. Landrecht, Th. I, den Proceßgesetzen und den<lb/> Proceßschriften etwas so Ausschließliches, daß man ohne jeden staatsrechtlichen<lb/> Begriff leben und ein Richteramt fortsetzen kann, als ob die Verfassungs-Urkunde<lb/> nicht erlassen wäre. Die Auswahl unter solchen (besonders älteren) Richtern<lb/> war in der That keine geringe. Es kam nur auf diese Auswahl an, um<lb/> (wie einst unter Karl I. in England) durch Gerichtspräjudizien die unerträg¬<lb/> lich werdende Opposition unter die Strafgesetze zu bringen und das Parla¬<lb/> mentswesen damit an seiner Wurzel zu treffen. Diesem während des«Con-<lb/> flicts lange gefühlten Bedürfnisse kamen die neueren preußischen Justizein¬<lb/> richtungen entgegen. Die politische Unerfahrenheit der Zeit hatte bei der<lb/> Reform von 1849 die Justizcollegia aufgelöst und bewegliche Commissionen<lb/> an deren Stelle gesetzt. Diese Commissionen sollen im Namen des Gerichts¬<lb/> hofes entscheiden, der aber von jeder Theilnahme an der Bildung derselben<lb/> sorgfältig ausgeschlossen wird. Es ist vielmehr der constitutionelle Justiz¬<lb/> minister, oder ein administrirender Chef unter dem Justizminister, der nach<lb/> dem „Bedürfniß des Dienstes" die 3, 5 oder 7 Richter oder Hilfsarbeiter<lb/> zusammensetzt, welche als Gerichtshof Urtheil sprechen. Es war damit der<lb/> vermeintliche Fortschritt gemacht, welchem Frankreich die stetige „Harmonie" seiner<lb/> Gerichte und seiner Verwaltungsjustiz mit den zeitigen Machthabern verdankt,<lb/> mit dem aber auch seine Gerichte den letzten Rest von Credit in politischen<lb/> Processen verloren haben. Es kommt bei dieser lautlos wirkenden, sinn¬<lb/> reichen Maschinerie nur darauf an, den rechten Justizminister und eine Anzahl<lb/> zuverlässiger Maschinenmeister an den Stellen zu haben, an welchen politische<lb/> Processe entschieden werden. Der wunderbare Erfolg ist, daß die Mitglieder<lb/> der großen Gerichtshöfe sich zwar persönlich kaum noch kennen, durch eine<lb/> unsichtbare Hand sich aber ohne Wissen und Zuthun so gruppirr finden, um<lb/> in politischen Fragen nach einem System zu entscheiden. Der Erfolg wurde</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0173]
die in Ausübung seiner Pflicht und seines Berufs gethanen Aeußerun¬
gen nicht unter den Rechtsbegriff der Ehrenkränkungen fallen können? Der
Bildungsgang und die Routine der praktischen Juristen in Deutschland
würde es auch wohl gelten lassen, wenn man ihnen sagte, daß schon im
weiland römischen Reich oxiniones und sentsntias derer, die den staatlichen
Beruf dazu haben, nicht Objecte einer Injurienklage sein können, und daß
man auch in Deutschand niemals im Ernst den Versuch gemacht hat, die
hunderttausendfältigen Landesgravamina der Landstände durch Injurienklagen
zur Ruhe zu bringen. Für den Juristen, dem nicht über der Beschäftigung
mit den Rechten das Recht verloren gegangen ist, entscheidet sich die Frage
schon aus dem Staatsberuf der Körperschaft, selbst ohne ausdrückliches Gesetz.
Allein für einen Theil unserer Beamtenwelt ist die beschworen? Verfassung
mit ihren staatsrechtlichen Begriffen noch immer etwas so Fremdes, die Be¬
schäftigung mit dem Allg. Landrecht, Th. I, den Proceßgesetzen und den
Proceßschriften etwas so Ausschließliches, daß man ohne jeden staatsrechtlichen
Begriff leben und ein Richteramt fortsetzen kann, als ob die Verfassungs-Urkunde
nicht erlassen wäre. Die Auswahl unter solchen (besonders älteren) Richtern
war in der That keine geringe. Es kam nur auf diese Auswahl an, um
(wie einst unter Karl I. in England) durch Gerichtspräjudizien die unerträg¬
lich werdende Opposition unter die Strafgesetze zu bringen und das Parla¬
mentswesen damit an seiner Wurzel zu treffen. Diesem während des«Con-
flicts lange gefühlten Bedürfnisse kamen die neueren preußischen Justizein¬
richtungen entgegen. Die politische Unerfahrenheit der Zeit hatte bei der
Reform von 1849 die Justizcollegia aufgelöst und bewegliche Commissionen
an deren Stelle gesetzt. Diese Commissionen sollen im Namen des Gerichts¬
hofes entscheiden, der aber von jeder Theilnahme an der Bildung derselben
sorgfältig ausgeschlossen wird. Es ist vielmehr der constitutionelle Justiz¬
minister, oder ein administrirender Chef unter dem Justizminister, der nach
dem „Bedürfniß des Dienstes" die 3, 5 oder 7 Richter oder Hilfsarbeiter
zusammensetzt, welche als Gerichtshof Urtheil sprechen. Es war damit der
vermeintliche Fortschritt gemacht, welchem Frankreich die stetige „Harmonie" seiner
Gerichte und seiner Verwaltungsjustiz mit den zeitigen Machthabern verdankt,
mit dem aber auch seine Gerichte den letzten Rest von Credit in politischen
Processen verloren haben. Es kommt bei dieser lautlos wirkenden, sinn¬
reichen Maschinerie nur darauf an, den rechten Justizminister und eine Anzahl
zuverlässiger Maschinenmeister an den Stellen zu haben, an welchen politische
Processe entschieden werden. Der wunderbare Erfolg ist, daß die Mitglieder
der großen Gerichtshöfe sich zwar persönlich kaum noch kennen, durch eine
unsichtbare Hand sich aber ohne Wissen und Zuthun so gruppirr finden, um
in politischen Fragen nach einem System zu entscheiden. Der Erfolg wurde
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