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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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"die deutsche Frage" betreffenden Antrag. Seine vielseitige Thätigkeit wandte
sich dann weiter den endlosen Zahlen der Budgetberathung, den Einzelheiten
der Staatswirthschaft, den Verwaltungsbedürfnissen des Militäretats wie der
Culturfragen, der Schleswig-holsteinischen Sache in allen Stadien, den Rechts'
Verhältnissen der ehemals Reichsunmittelbaren und anderen verwickelten Fragen
des öffentlichen Rechts sowie den Adreßdebatten zu. -- klar, entschieden und
maßvoll durch die zusammenhängende Kenntniß des Einzelnen wie des Ganzen.
In den früheren Stadien des Verfassungsstreits ist wohl einmal daran ge¬
dacht worden, ihn in eine leitende Stellung der Staatsverwaltung zu bringen.
Es war das ein Maßstab für die ihm gezollte Achtung und die hervorragende
Parteistellung. Er selbst hatte an Ehren dieser Art kaum gedacht, in der
Uneigennützigkeit und Bescheidenheit seines Wesens jede Hindeutung darauf
abgelehnt.

Innerhalb des Verfassungsconflicts hatte sich inzwischen ein Justiz-
conflikt entwickelt, in welchem der Name Tochter's zum Mittelpunkt ge¬
worden ist. Die Selbstauslegung der Verfassung und der Landesgesetze durch
die Minister hatte bis dahin kein Hinderniß in der Stellung der Gerichte
gefunden, welche das preußische Verwaltungssystem von den Entscheidungen
des öffentlichen Rechts ausschließt. Sie fand aber einen schwer empfundenen
Widerstand in der moralischen Macht der öffentlichen Rede. Die von den
Wahlkörpern immer wieder gewählten Vertreter fanden die Zustimmung der
öffentlichen Meinung auch im übrigen Deutschland, wie in dem konstitutio¬
nellen Europa. Deutschland war und blieb das Land, in welchem die Ueber¬
zeugung vom Recht noch heute eine unüberwindbare morali sehe Macht übt
Es lag nur zu nahe der Versuch, mit Hilfe der Gerichtshöfe auch diesen
Widerspruch zum Schweigen zu bringen. Von hohen Justizbeamten selbst
wurde dieser Weg den Ministern als ein nicht ganz aussichtsloser empfohlen.
Beleidigungen und "Verleumdungen gegen die höchsten Diener der Krone"
von Personen niederer Ordnung mußten doch durch die Gerichte zu verfolgen
sein? Nach langem Widerstand war freilich auch in Preußen das Monopol
des Beamtenthums auf die Regierung des Staates gebrochen. Die deutschen
Großstaaten hatten sich wie die deutschen Mittelstaaten und alle Culturländer
Europa's der constitutionellen Regierungsform anbequemen müssen. Staat
und Gesellschaft fanden sich wieder verbunden in einer parlamentarischen Körper¬
schaft, welche als "höchster Rath der Krone" die Gesetze zu berathen, die
Finanzverwaltung zu reguliren und als gesetzliches Organ der Landes¬
beschwerden principiell sogar das Recht der Ministeranklage erhalten hatte.
Ließ sich auf den staatlichen Beruf einer solchen öffentlich verhandelnden
Körperschaft die Praxis unserer. Bagatellcommissarien in Jnjuriensachen an¬
wenden? Macht das Beamtenthum nicht täglich den Grundsatz geltend, daß


„die deutsche Frage" betreffenden Antrag. Seine vielseitige Thätigkeit wandte
sich dann weiter den endlosen Zahlen der Budgetberathung, den Einzelheiten
der Staatswirthschaft, den Verwaltungsbedürfnissen des Militäretats wie der
Culturfragen, der Schleswig-holsteinischen Sache in allen Stadien, den Rechts'
Verhältnissen der ehemals Reichsunmittelbaren und anderen verwickelten Fragen
des öffentlichen Rechts sowie den Adreßdebatten zu. — klar, entschieden und
maßvoll durch die zusammenhängende Kenntniß des Einzelnen wie des Ganzen.
In den früheren Stadien des Verfassungsstreits ist wohl einmal daran ge¬
dacht worden, ihn in eine leitende Stellung der Staatsverwaltung zu bringen.
Es war das ein Maßstab für die ihm gezollte Achtung und die hervorragende
Parteistellung. Er selbst hatte an Ehren dieser Art kaum gedacht, in der
Uneigennützigkeit und Bescheidenheit seines Wesens jede Hindeutung darauf
abgelehnt.

Innerhalb des Verfassungsconflicts hatte sich inzwischen ein Justiz-
conflikt entwickelt, in welchem der Name Tochter's zum Mittelpunkt ge¬
worden ist. Die Selbstauslegung der Verfassung und der Landesgesetze durch
die Minister hatte bis dahin kein Hinderniß in der Stellung der Gerichte
gefunden, welche das preußische Verwaltungssystem von den Entscheidungen
des öffentlichen Rechts ausschließt. Sie fand aber einen schwer empfundenen
Widerstand in der moralischen Macht der öffentlichen Rede. Die von den
Wahlkörpern immer wieder gewählten Vertreter fanden die Zustimmung der
öffentlichen Meinung auch im übrigen Deutschland, wie in dem konstitutio¬
nellen Europa. Deutschland war und blieb das Land, in welchem die Ueber¬
zeugung vom Recht noch heute eine unüberwindbare morali sehe Macht übt
Es lag nur zu nahe der Versuch, mit Hilfe der Gerichtshöfe auch diesen
Widerspruch zum Schweigen zu bringen. Von hohen Justizbeamten selbst
wurde dieser Weg den Ministern als ein nicht ganz aussichtsloser empfohlen.
Beleidigungen und „Verleumdungen gegen die höchsten Diener der Krone"
von Personen niederer Ordnung mußten doch durch die Gerichte zu verfolgen
sein? Nach langem Widerstand war freilich auch in Preußen das Monopol
des Beamtenthums auf die Regierung des Staates gebrochen. Die deutschen
Großstaaten hatten sich wie die deutschen Mittelstaaten und alle Culturländer
Europa's der constitutionellen Regierungsform anbequemen müssen. Staat
und Gesellschaft fanden sich wieder verbunden in einer parlamentarischen Körper¬
schaft, welche als „höchster Rath der Krone" die Gesetze zu berathen, die
Finanzverwaltung zu reguliren und als gesetzliches Organ der Landes¬
beschwerden principiell sogar das Recht der Ministeranklage erhalten hatte.
Ließ sich auf den staatlichen Beruf einer solchen öffentlich verhandelnden
Körperschaft die Praxis unserer. Bagatellcommissarien in Jnjuriensachen an¬
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[0172] „die deutsche Frage" betreffenden Antrag. Seine vielseitige Thätigkeit wandte sich dann weiter den endlosen Zahlen der Budgetberathung, den Einzelheiten der Staatswirthschaft, den Verwaltungsbedürfnissen des Militäretats wie der Culturfragen, der Schleswig-holsteinischen Sache in allen Stadien, den Rechts' Verhältnissen der ehemals Reichsunmittelbaren und anderen verwickelten Fragen des öffentlichen Rechts sowie den Adreßdebatten zu. — klar, entschieden und maßvoll durch die zusammenhängende Kenntniß des Einzelnen wie des Ganzen. In den früheren Stadien des Verfassungsstreits ist wohl einmal daran ge¬ dacht worden, ihn in eine leitende Stellung der Staatsverwaltung zu bringen. Es war das ein Maßstab für die ihm gezollte Achtung und die hervorragende Parteistellung. Er selbst hatte an Ehren dieser Art kaum gedacht, in der Uneigennützigkeit und Bescheidenheit seines Wesens jede Hindeutung darauf abgelehnt. Innerhalb des Verfassungsconflicts hatte sich inzwischen ein Justiz- conflikt entwickelt, in welchem der Name Tochter's zum Mittelpunkt ge¬ worden ist. Die Selbstauslegung der Verfassung und der Landesgesetze durch die Minister hatte bis dahin kein Hinderniß in der Stellung der Gerichte gefunden, welche das preußische Verwaltungssystem von den Entscheidungen des öffentlichen Rechts ausschließt. Sie fand aber einen schwer empfundenen Widerstand in der moralischen Macht der öffentlichen Rede. Die von den Wahlkörpern immer wieder gewählten Vertreter fanden die Zustimmung der öffentlichen Meinung auch im übrigen Deutschland, wie in dem konstitutio¬ nellen Europa. Deutschland war und blieb das Land, in welchem die Ueber¬ zeugung vom Recht noch heute eine unüberwindbare morali sehe Macht übt Es lag nur zu nahe der Versuch, mit Hilfe der Gerichtshöfe auch diesen Widerspruch zum Schweigen zu bringen. Von hohen Justizbeamten selbst wurde dieser Weg den Ministern als ein nicht ganz aussichtsloser empfohlen. Beleidigungen und „Verleumdungen gegen die höchsten Diener der Krone" von Personen niederer Ordnung mußten doch durch die Gerichte zu verfolgen sein? Nach langem Widerstand war freilich auch in Preußen das Monopol des Beamtenthums auf die Regierung des Staates gebrochen. Die deutschen Großstaaten hatten sich wie die deutschen Mittelstaaten und alle Culturländer Europa's der constitutionellen Regierungsform anbequemen müssen. Staat und Gesellschaft fanden sich wieder verbunden in einer parlamentarischen Körper¬ schaft, welche als „höchster Rath der Krone" die Gesetze zu berathen, die Finanzverwaltung zu reguliren und als gesetzliches Organ der Landes¬ beschwerden principiell sogar das Recht der Ministeranklage erhalten hatte. Ließ sich auf den staatlichen Beruf einer solchen öffentlich verhandelnden Körperschaft die Praxis unserer. Bagatellcommissarien in Jnjuriensachen an¬ wenden? Macht das Beamtenthum nicht täglich den Grundsatz geltend, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/172>, abgerufen am 06.01.2025.