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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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gehalten. Den andern Tag mußte sie dieser Notiz das Dementi entgegensetzen,
die hier abgegebene Note sei in nichts weniger als drohendem Tone abge¬
faßt. Dieselbe Note, die in München als drohend und übergreifend erschien,
erhielt in Darmstadt das offizielle Zeugniß vollständiger Angemessenheit.

Mit Uebergabe dieser Note war die offizielle Thätigkeit des französischen
Gesandten in Darmstadt erschöpft;? an Tröstungen und Versicherungen an
Diejenigen, die auf ihn hören wollten, mag er es nicht haben fehlen, lassen, auch
wurde seinem weiteren Verweilen in Darmstadt von der Regierung nichts
in den Weg gelegt. Die Ueberschwemmung dieser Stadt mit französischen
Truppen konnte Graf Astorge dorten jedoch nicht abwarten, sintemalen die¬
selben eine andere Richtung einschlugen, in Folge deren sie über Weißenburg,
Wörth und Sedan passirten und erst von dort per Eisenbahn im Darmstädter
Land anlangten, wo sie sich der nützlichen und friedfertigen Beschäftigung
des Kartoffelausmachens zur allgemeinen Befriedigung hergeben; auch weil
die Darmstädter Bevölkerung über das unmotivirte weitere Verbleiben des
Herrn Grafen in eine solche Aufregung gerieth, daß eine Beschleunigung der
Abreise im Interesse aller Betheiligten erschien.

Das Verbot der Volksversammlung hatte aber doch noch ein Nachspiel.
Zu der Entrüstung von Hessen gesellte sich die von ganz Deutschland und
selbst in dem vielbeschäftigten Berlin warf man ein zürnendes Auge auf die
Sache. Das offizielle Organ des Herrn v. Dalwigk fing nun an nach sei¬
ner Gewohnheit sich zu drehen und zu winden, um über die unangenehme
Sache wegzukommen. Nicht als Staats-, sondern als se a d t gefährlich sei
die Versammlung verboten worden, nachdem sechs Bürger, die bis jetzt im
Dunkeln geblieben sind, der Polizei erklärt hätten, von der Versammlung
seien Ausschreitungen zu erwarten. Und während das Verbot seiner Zeit
mit den Worten motivirt worden war, die Versammlung sei wegen Eröff¬
nung der französischen Kriegsoperationen unzulässig, ließ einige Tage darauf
Herr v. Dalwigk in unfreiwilliger Komik orakeln, man habe nicht durch
locale Demonstrationen den Franzosen weiteren Vorwand zu aggressiven
Vorgehen geben wollen!

Als aber der Bundeskanzler in der Reichstagssitzung vom 22. Juli von
den Vorgängen in Darmstadt erfuhr, kam ihm die Sache doch nichts weni¬
ger als komisch vor. Er klopfte dem nichts ahnend dastehenden Legations¬
rath Hoffmann, hessischem Bevollmächtigten, auf die Schulter und winkte ihm
in das Nebenkabinet, wo gewichtige Worte gefallen sein sollen. Denselben
Abend fand eine Conferenz der hessischen Reichstagsabgeordneten, des Lega¬
tionsraths Hoffmann und des Bundeskanzlers statt. Wie verlautete, hatte
nach Schluß der Conferenz Graf Bismarck beschlossen, den Kriegszustand
über Hessen zu verhängen, die alsbaldige Suspendirung des Polizeidirectors


gehalten. Den andern Tag mußte sie dieser Notiz das Dementi entgegensetzen,
die hier abgegebene Note sei in nichts weniger als drohendem Tone abge¬
faßt. Dieselbe Note, die in München als drohend und übergreifend erschien,
erhielt in Darmstadt das offizielle Zeugniß vollständiger Angemessenheit.

Mit Uebergabe dieser Note war die offizielle Thätigkeit des französischen
Gesandten in Darmstadt erschöpft;? an Tröstungen und Versicherungen an
Diejenigen, die auf ihn hören wollten, mag er es nicht haben fehlen, lassen, auch
wurde seinem weiteren Verweilen in Darmstadt von der Regierung nichts
in den Weg gelegt. Die Ueberschwemmung dieser Stadt mit französischen
Truppen konnte Graf Astorge dorten jedoch nicht abwarten, sintemalen die¬
selben eine andere Richtung einschlugen, in Folge deren sie über Weißenburg,
Wörth und Sedan passirten und erst von dort per Eisenbahn im Darmstädter
Land anlangten, wo sie sich der nützlichen und friedfertigen Beschäftigung
des Kartoffelausmachens zur allgemeinen Befriedigung hergeben; auch weil
die Darmstädter Bevölkerung über das unmotivirte weitere Verbleiben des
Herrn Grafen in eine solche Aufregung gerieth, daß eine Beschleunigung der
Abreise im Interesse aller Betheiligten erschien.

Das Verbot der Volksversammlung hatte aber doch noch ein Nachspiel.
Zu der Entrüstung von Hessen gesellte sich die von ganz Deutschland und
selbst in dem vielbeschäftigten Berlin warf man ein zürnendes Auge auf die
Sache. Das offizielle Organ des Herrn v. Dalwigk fing nun an nach sei¬
ner Gewohnheit sich zu drehen und zu winden, um über die unangenehme
Sache wegzukommen. Nicht als Staats-, sondern als se a d t gefährlich sei
die Versammlung verboten worden, nachdem sechs Bürger, die bis jetzt im
Dunkeln geblieben sind, der Polizei erklärt hätten, von der Versammlung
seien Ausschreitungen zu erwarten. Und während das Verbot seiner Zeit
mit den Worten motivirt worden war, die Versammlung sei wegen Eröff¬
nung der französischen Kriegsoperationen unzulässig, ließ einige Tage darauf
Herr v. Dalwigk in unfreiwilliger Komik orakeln, man habe nicht durch
locale Demonstrationen den Franzosen weiteren Vorwand zu aggressiven
Vorgehen geben wollen!

Als aber der Bundeskanzler in der Reichstagssitzung vom 22. Juli von
den Vorgängen in Darmstadt erfuhr, kam ihm die Sache doch nichts weni¬
ger als komisch vor. Er klopfte dem nichts ahnend dastehenden Legations¬
rath Hoffmann, hessischem Bevollmächtigten, auf die Schulter und winkte ihm
in das Nebenkabinet, wo gewichtige Worte gefallen sein sollen. Denselben
Abend fand eine Conferenz der hessischen Reichstagsabgeordneten, des Lega¬
tionsraths Hoffmann und des Bundeskanzlers statt. Wie verlautete, hatte
nach Schluß der Conferenz Graf Bismarck beschlossen, den Kriegszustand
über Hessen zu verhängen, die alsbaldige Suspendirung des Polizeidirectors


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/156>, abgerufen am 22.12.2024.