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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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man kann sich von der Zuverlässigkeit der Aufklärungen, die er an seinen
Hof gelangen läßt, einen Begriff machen.

Der französische Gesandte, der in Darmstadt seinen Sitz aufgeschlagen
hatte, als der Krieg zum Ausbruch kam, ist wahrscheinlich nicht schlechter
und nicht besser gewesen als seine Vorgänger und seine Collegen an den an¬
deren deutschen Höfen. Ich finde in der auswärtigen Presse eine Hinwei¬
sung, daß der Gesandte am kleinsten süddeutschen Hofe in den Bureaus
eines Pariser Journals durch die Bestimmtheit Aussehen erregt habe, womit
er im Falle eines Krieges den Aufstand in Kurhessen, Nassau und Hannover,
den Abfall der süddeutschen Staaten von den Allianzverträgen ankündigte.
Ob dieser -xcentrische Herr grade der Graf Astorge gewesen, der letzte Ver¬
treter der grg.nah vation an dem DarmKädter Hofe, kann auf sich beruhen
bleiben; es kommt auf einen Grad mehr oder weniger in den Illusionen
nicht an, in denen sich die französische Diplomatie durchschnittlich bewegte.
Aber interessiren wird Sie es vielleicht, nach glaubhaften Berichten, die mir
aus Darmstadt geworden, Etwas über die letzten Tage des französischen Ge¬
sandten daselbst zuhören; sie sind ebenso charakteristisch für den Diplomaten,
wir für die dessen-darmstädtische Musterregierung.

Am 13. Juli war ganz Frankreich überzeugt, die französische Armee
werde wie ein Hagelstnnn über Deutschland einbrechen und Alles vor sich
niederwerfen, und die französischen Diplomaten an den deutschen Höfen theil¬
ten diese Erwartung gewiß in erhöhtem Maße. Wie mußte jetzt ihre Be¬
deutung in das Unendliche wachsen, sie konnten sich schon als die Proconsuln
sehen, welche die Herrschaft über die Länder ihrer Residenz alsbald anzu¬
treten hätten, an deren Berichte die Schicksale d->r kleinen Dynastien geknüpft
sei! Vielleicht unter diesen Zukunftstläumen ging am 16. Juli Graf Astorge
in den Straßen der Residenz spazieren, als seine Blicke auf ein großes Plaeat
fielen, das an der Spitze die Inschrift trug: "Krieg mit Frankreich", und die
Darmstädter Bürgerschaft für den kommenden Sonntag auf den Marktplatz
einlud, um sich daselbst einmüthig sür das Zusammenstehen Deutschlands im
Kriege mit den Franzosen zu erklären.

Herrn v. Dalwigk traute nämlich in Darmstadt Niemand, man kennt dort
zuwohl seinen unvertilgbaren Haß gegen Preußen und seine Hinneigung zu
Frankreich und namentlich zu Napoleon, dessen Staatskunst und Staatsstreich
die Muster bildeten, nach denen der hessische Minister seit 20 Jahren in Hessen
gewirthschaftet hat. Man wußte auch, daß der Großherzog weit entfernt sei,
selbst excentrischen Beweisen solcher Franzosenthümelei irgend ein Hinderniß
in den Weg zu legen. Noch hatten sich Bayern und Würtemberg nicht er¬
klärt, die Anstrengungen der antipreußischen Coalition. bestehend aus Parti-
culansten, Ultramontanen und Demokraten, Preußen zu isoliren, wurden


man kann sich von der Zuverlässigkeit der Aufklärungen, die er an seinen
Hof gelangen läßt, einen Begriff machen.

Der französische Gesandte, der in Darmstadt seinen Sitz aufgeschlagen
hatte, als der Krieg zum Ausbruch kam, ist wahrscheinlich nicht schlechter
und nicht besser gewesen als seine Vorgänger und seine Collegen an den an¬
deren deutschen Höfen. Ich finde in der auswärtigen Presse eine Hinwei¬
sung, daß der Gesandte am kleinsten süddeutschen Hofe in den Bureaus
eines Pariser Journals durch die Bestimmtheit Aussehen erregt habe, womit
er im Falle eines Krieges den Aufstand in Kurhessen, Nassau und Hannover,
den Abfall der süddeutschen Staaten von den Allianzverträgen ankündigte.
Ob dieser -xcentrische Herr grade der Graf Astorge gewesen, der letzte Ver¬
treter der grg.nah vation an dem DarmKädter Hofe, kann auf sich beruhen
bleiben; es kommt auf einen Grad mehr oder weniger in den Illusionen
nicht an, in denen sich die französische Diplomatie durchschnittlich bewegte.
Aber interessiren wird Sie es vielleicht, nach glaubhaften Berichten, die mir
aus Darmstadt geworden, Etwas über die letzten Tage des französischen Ge¬
sandten daselbst zuhören; sie sind ebenso charakteristisch für den Diplomaten,
wir für die dessen-darmstädtische Musterregierung.

Am 13. Juli war ganz Frankreich überzeugt, die französische Armee
werde wie ein Hagelstnnn über Deutschland einbrechen und Alles vor sich
niederwerfen, und die französischen Diplomaten an den deutschen Höfen theil¬
ten diese Erwartung gewiß in erhöhtem Maße. Wie mußte jetzt ihre Be¬
deutung in das Unendliche wachsen, sie konnten sich schon als die Proconsuln
sehen, welche die Herrschaft über die Länder ihrer Residenz alsbald anzu¬
treten hätten, an deren Berichte die Schicksale d->r kleinen Dynastien geknüpft
sei! Vielleicht unter diesen Zukunftstläumen ging am 16. Juli Graf Astorge
in den Straßen der Residenz spazieren, als seine Blicke auf ein großes Plaeat
fielen, das an der Spitze die Inschrift trug: „Krieg mit Frankreich", und die
Darmstädter Bürgerschaft für den kommenden Sonntag auf den Marktplatz
einlud, um sich daselbst einmüthig sür das Zusammenstehen Deutschlands im
Kriege mit den Franzosen zu erklären.

Herrn v. Dalwigk traute nämlich in Darmstadt Niemand, man kennt dort
zuwohl seinen unvertilgbaren Haß gegen Preußen und seine Hinneigung zu
Frankreich und namentlich zu Napoleon, dessen Staatskunst und Staatsstreich
die Muster bildeten, nach denen der hessische Minister seit 20 Jahren in Hessen
gewirthschaftet hat. Man wußte auch, daß der Großherzog weit entfernt sei,
selbst excentrischen Beweisen solcher Franzosenthümelei irgend ein Hinderniß
in den Weg zu legen. Noch hatten sich Bayern und Würtemberg nicht er¬
klärt, die Anstrengungen der antipreußischen Coalition. bestehend aus Parti-
culansten, Ultramontanen und Demokraten, Preußen zu isoliren, wurden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/152>, abgerufen am 22.12.2024.