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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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mit schamloser Offenheit betrieben. Das Blatt, in welchem die in Hessen
herrschende Clique das Feigenblatt ablegt, mit dem sie sich in der offiziösen
Darmstädter Zeitung bekleidet, das hessische Volksblatt, erklärte sich offen sür
den Allianzbruch und die Neutralität Hessen-Darmstadts. Nun wußte man
wohl, daß, solange die Preußen in Mainz und in Frankfurt standen, es auf
die Gesinnung der hessischen Staatslenker nicht ankam; man vergegenwärtigte
sich aber den Fall, daß die deutschen Heere in den ersten Treffen geschlagen
würden und frug sich angstvoll, was wird in solchen Umständen eine Regie¬
rung machen, an deren Spitze ein Herr v. Dalwigk steht? Wird sie den
Willen und die Festigkeit besitzen, bei der deutschen Sache auszuhalten, oder
wird sie der Welt das schmähliche Beispiel geben, wie ein deutsches Staats¬
wesen alsbald seinen Frieden mit dem siegreichen Imperator macht und um
diesen Preis seine Existenz zu retten sich bemüht. Hatte man doch über die
Ideen des Herrn v. Dalwigk in dieser Richtung ein Zeugniß aus seinem eignen
Munde, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Als die national¬
liberale Partei in der Kammer die Streichung des Pariser Gesandtschafts¬
postens verlangte, war der hessische Minister unbefangen genug zu erklären,
Hessen bedürfe eines Gesandten in Paris wegen gewisser Eventualitäten
auf dem linken Rheinufer. Diese Eventualitäten, aus die sich Herr v. Dal¬
wigk diplomatisch vorbereitet, waren nun zur Hand. Das Alles mochten
sich die Darmstädter Bürger wohl überlegt haben; wollten sie nun eine
Pression auf ihre Regierung ausüben, oder sich selbst durch eine patriotische
Demonstration in ihren Gefühlen stärken, genug sie beriefen eine Volksver¬
sammlung Und so kam es, daß dem französischen Gesandten von den
Straßenecken der Residenz die Worte: "Krieg mit Frankreich" und "Volksver¬
sammlung" entgegenleuchteten.

Der Gesandte soll darüber in eine große Aufregung gekommen sein,
und das wird jeder natürlich finden. Seit seinem Einzug in Darmstadt
konnte sich der französische Diplomat aus dem Mainzer Journal, der Frank¬
furter Zeitung und dem Frankfurter Journal, aus der Darmstädter Landes¬
zeitung und dem Volksblatt und aus Dutzenden ähnlicher Blätter täg¬
lich überzeugen, wie verhaßt Preußen in Hessen-Darmstadt sei, wenn er
anders diese Artikel verstehen konnte; aber über die Einstimmigkeit der guten
Presse in dieser Richtung war er jedenfalls wohl unterrichtet, hatte er sie doch
selbst dadurch unterstützt, daß er mit einem Halbdutzend Exemplaren theilweise
auf sie abonnirt gewesen sein soll. 'Nur einige wenige malcontente Hessen
widersetzten sich der weisen politischen Haltung Herrn v. Dalwigks, deren
Correctheit in den Tuilerien alle Anerkennung fand und diesen wenigen
Leuten in jenem Augenblicke das Wort zu lassen, mußte ja eine impression
Nccköuse bei seinem erhabenen Herrn und der ganzen grana" natiov hervor-


Grenzboten lo. 1870. 19

mit schamloser Offenheit betrieben. Das Blatt, in welchem die in Hessen
herrschende Clique das Feigenblatt ablegt, mit dem sie sich in der offiziösen
Darmstädter Zeitung bekleidet, das hessische Volksblatt, erklärte sich offen sür
den Allianzbruch und die Neutralität Hessen-Darmstadts. Nun wußte man
wohl, daß, solange die Preußen in Mainz und in Frankfurt standen, es auf
die Gesinnung der hessischen Staatslenker nicht ankam; man vergegenwärtigte
sich aber den Fall, daß die deutschen Heere in den ersten Treffen geschlagen
würden und frug sich angstvoll, was wird in solchen Umständen eine Regie¬
rung machen, an deren Spitze ein Herr v. Dalwigk steht? Wird sie den
Willen und die Festigkeit besitzen, bei der deutschen Sache auszuhalten, oder
wird sie der Welt das schmähliche Beispiel geben, wie ein deutsches Staats¬
wesen alsbald seinen Frieden mit dem siegreichen Imperator macht und um
diesen Preis seine Existenz zu retten sich bemüht. Hatte man doch über die
Ideen des Herrn v. Dalwigk in dieser Richtung ein Zeugniß aus seinem eignen
Munde, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Als die national¬
liberale Partei in der Kammer die Streichung des Pariser Gesandtschafts¬
postens verlangte, war der hessische Minister unbefangen genug zu erklären,
Hessen bedürfe eines Gesandten in Paris wegen gewisser Eventualitäten
auf dem linken Rheinufer. Diese Eventualitäten, aus die sich Herr v. Dal¬
wigk diplomatisch vorbereitet, waren nun zur Hand. Das Alles mochten
sich die Darmstädter Bürger wohl überlegt haben; wollten sie nun eine
Pression auf ihre Regierung ausüben, oder sich selbst durch eine patriotische
Demonstration in ihren Gefühlen stärken, genug sie beriefen eine Volksver¬
sammlung Und so kam es, daß dem französischen Gesandten von den
Straßenecken der Residenz die Worte: „Krieg mit Frankreich" und „Volksver¬
sammlung" entgegenleuchteten.

Der Gesandte soll darüber in eine große Aufregung gekommen sein,
und das wird jeder natürlich finden. Seit seinem Einzug in Darmstadt
konnte sich der französische Diplomat aus dem Mainzer Journal, der Frank¬
furter Zeitung und dem Frankfurter Journal, aus der Darmstädter Landes¬
zeitung und dem Volksblatt und aus Dutzenden ähnlicher Blätter täg¬
lich überzeugen, wie verhaßt Preußen in Hessen-Darmstadt sei, wenn er
anders diese Artikel verstehen konnte; aber über die Einstimmigkeit der guten
Presse in dieser Richtung war er jedenfalls wohl unterrichtet, hatte er sie doch
selbst dadurch unterstützt, daß er mit einem Halbdutzend Exemplaren theilweise
auf sie abonnirt gewesen sein soll. 'Nur einige wenige malcontente Hessen
widersetzten sich der weisen politischen Haltung Herrn v. Dalwigks, deren
Correctheit in den Tuilerien alle Anerkennung fand und diesen wenigen
Leuten in jenem Augenblicke das Wort zu lassen, mußte ja eine impression
Nccköuse bei seinem erhabenen Herrn und der ganzen grana« natiov hervor-


Grenzboten lo. 1870. 19
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[0153] mit schamloser Offenheit betrieben. Das Blatt, in welchem die in Hessen herrschende Clique das Feigenblatt ablegt, mit dem sie sich in der offiziösen Darmstädter Zeitung bekleidet, das hessische Volksblatt, erklärte sich offen sür den Allianzbruch und die Neutralität Hessen-Darmstadts. Nun wußte man wohl, daß, solange die Preußen in Mainz und in Frankfurt standen, es auf die Gesinnung der hessischen Staatslenker nicht ankam; man vergegenwärtigte sich aber den Fall, daß die deutschen Heere in den ersten Treffen geschlagen würden und frug sich angstvoll, was wird in solchen Umständen eine Regie¬ rung machen, an deren Spitze ein Herr v. Dalwigk steht? Wird sie den Willen und die Festigkeit besitzen, bei der deutschen Sache auszuhalten, oder wird sie der Welt das schmähliche Beispiel geben, wie ein deutsches Staats¬ wesen alsbald seinen Frieden mit dem siegreichen Imperator macht und um diesen Preis seine Existenz zu retten sich bemüht. Hatte man doch über die Ideen des Herrn v. Dalwigk in dieser Richtung ein Zeugniß aus seinem eignen Munde, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Als die national¬ liberale Partei in der Kammer die Streichung des Pariser Gesandtschafts¬ postens verlangte, war der hessische Minister unbefangen genug zu erklären, Hessen bedürfe eines Gesandten in Paris wegen gewisser Eventualitäten auf dem linken Rheinufer. Diese Eventualitäten, aus die sich Herr v. Dal¬ wigk diplomatisch vorbereitet, waren nun zur Hand. Das Alles mochten sich die Darmstädter Bürger wohl überlegt haben; wollten sie nun eine Pression auf ihre Regierung ausüben, oder sich selbst durch eine patriotische Demonstration in ihren Gefühlen stärken, genug sie beriefen eine Volksver¬ sammlung Und so kam es, daß dem französischen Gesandten von den Straßenecken der Residenz die Worte: „Krieg mit Frankreich" und „Volksver¬ sammlung" entgegenleuchteten. Der Gesandte soll darüber in eine große Aufregung gekommen sein, und das wird jeder natürlich finden. Seit seinem Einzug in Darmstadt konnte sich der französische Diplomat aus dem Mainzer Journal, der Frank¬ furter Zeitung und dem Frankfurter Journal, aus der Darmstädter Landes¬ zeitung und dem Volksblatt und aus Dutzenden ähnlicher Blätter täg¬ lich überzeugen, wie verhaßt Preußen in Hessen-Darmstadt sei, wenn er anders diese Artikel verstehen konnte; aber über die Einstimmigkeit der guten Presse in dieser Richtung war er jedenfalls wohl unterrichtet, hatte er sie doch selbst dadurch unterstützt, daß er mit einem Halbdutzend Exemplaren theilweise auf sie abonnirt gewesen sein soll. 'Nur einige wenige malcontente Hessen widersetzten sich der weisen politischen Haltung Herrn v. Dalwigks, deren Correctheit in den Tuilerien alle Anerkennung fand und diesen wenigen Leuten in jenem Augenblicke das Wort zu lassen, mußte ja eine impression Nccköuse bei seinem erhabenen Herrn und der ganzen grana« natiov hervor- Grenzboten lo. 1870. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/153>, abgerufen am 22.12.2024.