Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schmerzliche Prüfungen auch eine entartete und vielfach verderbte Nation Wie¬
derzugebären und sie zu den Grundsätzen einer reinen Moral und eines aus'
richtigen frommen Glaubens zurückzuführen, der ohne Aberglauben und Bigot.
terie die ewigen Wahrheiten achtet, die dem Menschenherzen so tief einge¬
pflanzt sind.

Sie sehen, mein theurer Freund, auch ich habe Ihnen alles gesagt, was
ich Schweres auf meinem Herzen hatte. Seien Sie mir deshalb nicht böse
und prüfen Sie ernstlich, ob es nicht in dieser langen Auseinandersetzung
Wahrheiten gibt, die von jedem Parteistandpunkte unabhängig sind. --
Wenn dieser Brief Ihnen noch zu rechter Zeit zukommt und es ist Ihnen
möglich, mir zu antworten, so geben Sie mir, ich bitte Sie dringend, Nach¬
richt von Sich und Ihrer Lage, sagen Sie mir, wo Ihre Familie ist, ob
Sie auf die Treue Ihrer Arbeiter rechnen können, ob Ihre Werkstätten in
La Billette im Falle einer Belagerung nicht auch gefährdet sind. Ich
bin in großer Besorgniß um Sie! Gott nehme Sie mit all den theuren
Ihrigen in seinen gnädigen Schutz und lasse Sie bald wieder freier athmen!


Ich bin wie stets Ihr treuer väterlicher Freund G. K.

Eine Antwort ist bis jetzt nicht gekommen.




Die letzten Tage eines französischen Diplomaten in Südocutschland.

Wenn unsere Truppen in Paris einziehen und unsere Diplomaten dem
Archiv des Auswärtigen Ministeriums einen Besuch abstatten, dann werden
die Fascikel, welche Berichte der Gesandtschaft in Wien und London enthal¬
ten, vermuthlich über Seite geschafft sein, die kleineren Staaten sind vielleicht
übersehen worden. In den betreffenden Berichten müssen seltsame Sachen
stehen und wir hoffen, daß man nicht so hartherzig sein wird, sie der Welt
vorzuenthalten.

Man wird es uns als Südhessen nicht übelnehmen, wenn wir besonders
darauf gespannt sind, zu lesen, in welchem Lichte sich die deutschen und spe¬
ciell die hessischen Zustände in den Berichten des französischen Gesandten am
Darmstädter Hofe spiegeln. Wir brauchen nicht zu fürchten, daß diese etwa
im Inhalt jenen Depeschen gleichen, welche Diplomaten mit geheimnißvoller
Miene, auf außerordentlich amtlich aussehenden Papier, unter großen Sie¬
geln an ihre Ministerien abgehen lassen und die dahin lauten: Seine könig-


schmerzliche Prüfungen auch eine entartete und vielfach verderbte Nation Wie¬
derzugebären und sie zu den Grundsätzen einer reinen Moral und eines aus'
richtigen frommen Glaubens zurückzuführen, der ohne Aberglauben und Bigot.
terie die ewigen Wahrheiten achtet, die dem Menschenherzen so tief einge¬
pflanzt sind.

Sie sehen, mein theurer Freund, auch ich habe Ihnen alles gesagt, was
ich Schweres auf meinem Herzen hatte. Seien Sie mir deshalb nicht böse
und prüfen Sie ernstlich, ob es nicht in dieser langen Auseinandersetzung
Wahrheiten gibt, die von jedem Parteistandpunkte unabhängig sind. —
Wenn dieser Brief Ihnen noch zu rechter Zeit zukommt und es ist Ihnen
möglich, mir zu antworten, so geben Sie mir, ich bitte Sie dringend, Nach¬
richt von Sich und Ihrer Lage, sagen Sie mir, wo Ihre Familie ist, ob
Sie auf die Treue Ihrer Arbeiter rechnen können, ob Ihre Werkstätten in
La Billette im Falle einer Belagerung nicht auch gefährdet sind. Ich
bin in großer Besorgniß um Sie! Gott nehme Sie mit all den theuren
Ihrigen in seinen gnädigen Schutz und lasse Sie bald wieder freier athmen!


Ich bin wie stets Ihr treuer väterlicher Freund G. K.

Eine Antwort ist bis jetzt nicht gekommen.




Die letzten Tage eines französischen Diplomaten in Südocutschland.

Wenn unsere Truppen in Paris einziehen und unsere Diplomaten dem
Archiv des Auswärtigen Ministeriums einen Besuch abstatten, dann werden
die Fascikel, welche Berichte der Gesandtschaft in Wien und London enthal¬
ten, vermuthlich über Seite geschafft sein, die kleineren Staaten sind vielleicht
übersehen worden. In den betreffenden Berichten müssen seltsame Sachen
stehen und wir hoffen, daß man nicht so hartherzig sein wird, sie der Welt
vorzuenthalten.

Man wird es uns als Südhessen nicht übelnehmen, wenn wir besonders
darauf gespannt sind, zu lesen, in welchem Lichte sich die deutschen und spe¬
ciell die hessischen Zustände in den Berichten des französischen Gesandten am
Darmstädter Hofe spiegeln. Wir brauchen nicht zu fürchten, daß diese etwa
im Inhalt jenen Depeschen gleichen, welche Diplomaten mit geheimnißvoller
Miene, auf außerordentlich amtlich aussehenden Papier, unter großen Sie¬
geln an ihre Ministerien abgehen lassen und die dahin lauten: Seine könig-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124856"/>
          <p xml:id="ID_463" prev="#ID_462"> schmerzliche Prüfungen auch eine entartete und vielfach verderbte Nation Wie¬<lb/>
derzugebären und sie zu den Grundsätzen einer reinen Moral und eines aus'<lb/>
richtigen frommen Glaubens zurückzuführen, der ohne Aberglauben und Bigot.<lb/>
terie die ewigen Wahrheiten achtet, die dem Menschenherzen so tief einge¬<lb/>
pflanzt sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_464"> Sie sehen, mein theurer Freund, auch ich habe Ihnen alles gesagt, was<lb/>
ich Schweres auf meinem Herzen hatte. Seien Sie mir deshalb nicht böse<lb/>
und prüfen Sie ernstlich, ob es nicht in dieser langen Auseinandersetzung<lb/>
Wahrheiten gibt, die von jedem Parteistandpunkte unabhängig sind. &#x2014;<lb/>
Wenn dieser Brief Ihnen noch zu rechter Zeit zukommt und es ist Ihnen<lb/>
möglich, mir zu antworten, so geben Sie mir, ich bitte Sie dringend, Nach¬<lb/>
richt von Sich und Ihrer Lage, sagen Sie mir, wo Ihre Familie ist, ob<lb/>
Sie auf die Treue Ihrer Arbeiter rechnen können, ob Ihre Werkstätten in<lb/>
La Billette im Falle einer Belagerung nicht auch gefährdet sind. Ich<lb/>
bin in großer Besorgniß um Sie! Gott nehme Sie mit all den theuren<lb/>
Ihrigen in seinen gnädigen Schutz und lasse Sie bald wieder freier athmen!</p><lb/>
          <note type="closer"> Ich bin wie stets Ihr treuer väterlicher Freund<note type="bibl"> G. K.</note></note><lb/>
          <p xml:id="ID_465"> Eine Antwort ist bis jetzt nicht gekommen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die letzten Tage eines französischen Diplomaten in Südocutschland.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_466"> Wenn unsere Truppen in Paris einziehen und unsere Diplomaten dem<lb/>
Archiv des Auswärtigen Ministeriums einen Besuch abstatten, dann werden<lb/>
die Fascikel, welche Berichte der Gesandtschaft in Wien und London enthal¬<lb/>
ten, vermuthlich über Seite geschafft sein, die kleineren Staaten sind vielleicht<lb/>
übersehen worden. In den betreffenden Berichten müssen seltsame Sachen<lb/>
stehen und wir hoffen, daß man nicht so hartherzig sein wird, sie der Welt<lb/>
vorzuenthalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_467" next="#ID_468"> Man wird es uns als Südhessen nicht übelnehmen, wenn wir besonders<lb/>
darauf gespannt sind, zu lesen, in welchem Lichte sich die deutschen und spe¬<lb/>
ciell die hessischen Zustände in den Berichten des französischen Gesandten am<lb/>
Darmstädter Hofe spiegeln. Wir brauchen nicht zu fürchten, daß diese etwa<lb/>
im Inhalt jenen Depeschen gleichen, welche Diplomaten mit geheimnißvoller<lb/>
Miene, auf außerordentlich amtlich aussehenden Papier, unter großen Sie¬<lb/>
geln an ihre Ministerien abgehen lassen und die dahin lauten: Seine könig-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0150] schmerzliche Prüfungen auch eine entartete und vielfach verderbte Nation Wie¬ derzugebären und sie zu den Grundsätzen einer reinen Moral und eines aus' richtigen frommen Glaubens zurückzuführen, der ohne Aberglauben und Bigot. terie die ewigen Wahrheiten achtet, die dem Menschenherzen so tief einge¬ pflanzt sind. Sie sehen, mein theurer Freund, auch ich habe Ihnen alles gesagt, was ich Schweres auf meinem Herzen hatte. Seien Sie mir deshalb nicht böse und prüfen Sie ernstlich, ob es nicht in dieser langen Auseinandersetzung Wahrheiten gibt, die von jedem Parteistandpunkte unabhängig sind. — Wenn dieser Brief Ihnen noch zu rechter Zeit zukommt und es ist Ihnen möglich, mir zu antworten, so geben Sie mir, ich bitte Sie dringend, Nach¬ richt von Sich und Ihrer Lage, sagen Sie mir, wo Ihre Familie ist, ob Sie auf die Treue Ihrer Arbeiter rechnen können, ob Ihre Werkstätten in La Billette im Falle einer Belagerung nicht auch gefährdet sind. Ich bin in großer Besorgniß um Sie! Gott nehme Sie mit all den theuren Ihrigen in seinen gnädigen Schutz und lasse Sie bald wieder freier athmen! Ich bin wie stets Ihr treuer väterlicher Freund G. K. Eine Antwort ist bis jetzt nicht gekommen. Die letzten Tage eines französischen Diplomaten in Südocutschland. Wenn unsere Truppen in Paris einziehen und unsere Diplomaten dem Archiv des Auswärtigen Ministeriums einen Besuch abstatten, dann werden die Fascikel, welche Berichte der Gesandtschaft in Wien und London enthal¬ ten, vermuthlich über Seite geschafft sein, die kleineren Staaten sind vielleicht übersehen worden. In den betreffenden Berichten müssen seltsame Sachen stehen und wir hoffen, daß man nicht so hartherzig sein wird, sie der Welt vorzuenthalten. Man wird es uns als Südhessen nicht übelnehmen, wenn wir besonders darauf gespannt sind, zu lesen, in welchem Lichte sich die deutschen und spe¬ ciell die hessischen Zustände in den Berichten des französischen Gesandten am Darmstädter Hofe spiegeln. Wir brauchen nicht zu fürchten, daß diese etwa im Inhalt jenen Depeschen gleichen, welche Diplomaten mit geheimnißvoller Miene, auf außerordentlich amtlich aussehenden Papier, unter großen Sie¬ geln an ihre Ministerien abgehen lassen und die dahin lauten: Seine könig-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/150
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/150>, abgerufen am 22.12.2024.