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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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"Vor Paris nichts Neues."

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"Das Weltall blickt auf euch!" Mit dieser Lästerung wider die koper-
nicanische Weltordnung trieb Napoleon seine Heere gegen uns in den Kampf.
Nicht das Weltall, wohl aber die civilisirte Menschheit blickt nun beklomme¬
ner von Tage zu Tage auf die Stadt ohne Gleichen, die so lange mit dem
Glänze ihrer Sünden die Augen der Völker geblendet hat. Wir Deutschen
wissen wohl, warum wir das Ende des grauenvollen Strafgerichts herbei¬
sehnen, zu dessen Vollstreckung wir uns nicht herangedrängt haben. Die anderen
Nationen werden ungeduldig, wie der müßige Pöbel, der sich um das fürch¬
terliche Schauspiel einer Hinrichtung zusammengerottet. Enttäuscht läßt man¬
cher Zeitungsleser draußen, der sich beim Frühstück durch die Kunde von dem
Riesenbombardement der Riesenstadt wohlthätig hatte erschüttern wollen, das
Blatt sinken, wenn ihm wieder und wieder der Draht lakonisch meldet: "Vor
Paris nichts Neues." Geduld, ihr Herren! wir haben euch mit wunder¬
baren Neuigkeiten allzusehr verwöhnt.

Vor Paris nichts Neues, aber Altes, Uraltes! möchte man ausrufen.
In die Dämmerfrühe der Geschichte fühlt man sich zurückversetzt, in die Welt
des ewig kindischen und ewig greisenhafter Orients, wo jene ungethümer
Hauptstädte emporwuchsen, welche das Mark der Reiche aufsogen, bis zum
Bersten gefüllt mit prächtigem Elend, die Despotenpaläste bedeckt mit dem
einförmigen Zierrath der Siegesnamen und Triumphbilder, ringsumher un¬
ermeßliche Mauern und Thürme, die dem staunenden Fremdling als unüber¬
windlich gerühmt wurden. Das Volk drinnen lebte in Hoffahrt und Sinn¬
lichkeit dahin; was sittlichen Nationen ein Greuel dünkte, galt ihnen für
Gottesdienst; in ihren Tempeln beteten sie in Wahrheit nur sich selber an,
den Geist ihrer Stadt. Der erschien ihnen zugleich als die Seele der Welt;
für anderer Menschen Gedanken hatten sie kein Verständniß, aber vielleicht
ein mitleidiges Lächeln. Bis dann einmal der Tag erschien, wo ein Cyrus
oder Alexander heranzog mit frischer Volkskraft, mit Männern von
Geist und Sitte! Da hauchte doch am Ende die Welt diese ihre Seele aus,
die dann überwanderte in einen andern Steinhaufen, um dort weiter hinzu¬
brüten, zu gleichem Loose. In der anmuthigen Legende vom Propheten Jona
wird Ninive noch einmal errettet, weil es den Herrn jammert "solcher großen
Stadt, in welcher sind mehr denn hundert und zwanzig tausend Menschen,
die nicht wissen Unterschied, was rechts oder links ist, dazu auch viele Thiere".


Grenzboten IV. 167". 16
„Vor Paris nichts Neues."

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Our ^use ima lillsal MtrÄnos to our ovrU
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V/Kilch of, «Ava's vraidtul it^vnd, Äo vorrsot
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„Das Weltall blickt auf euch!" Mit dieser Lästerung wider die koper-
nicanische Weltordnung trieb Napoleon seine Heere gegen uns in den Kampf.
Nicht das Weltall, wohl aber die civilisirte Menschheit blickt nun beklomme¬
ner von Tage zu Tage auf die Stadt ohne Gleichen, die so lange mit dem
Glänze ihrer Sünden die Augen der Völker geblendet hat. Wir Deutschen
wissen wohl, warum wir das Ende des grauenvollen Strafgerichts herbei¬
sehnen, zu dessen Vollstreckung wir uns nicht herangedrängt haben. Die anderen
Nationen werden ungeduldig, wie der müßige Pöbel, der sich um das fürch¬
terliche Schauspiel einer Hinrichtung zusammengerottet. Enttäuscht läßt man¬
cher Zeitungsleser draußen, der sich beim Frühstück durch die Kunde von dem
Riesenbombardement der Riesenstadt wohlthätig hatte erschüttern wollen, das
Blatt sinken, wenn ihm wieder und wieder der Draht lakonisch meldet: „Vor
Paris nichts Neues." Geduld, ihr Herren! wir haben euch mit wunder¬
baren Neuigkeiten allzusehr verwöhnt.

Vor Paris nichts Neues, aber Altes, Uraltes! möchte man ausrufen.
In die Dämmerfrühe der Geschichte fühlt man sich zurückversetzt, in die Welt
des ewig kindischen und ewig greisenhafter Orients, wo jene ungethümer
Hauptstädte emporwuchsen, welche das Mark der Reiche aufsogen, bis zum
Bersten gefüllt mit prächtigem Elend, die Despotenpaläste bedeckt mit dem
einförmigen Zierrath der Siegesnamen und Triumphbilder, ringsumher un¬
ermeßliche Mauern und Thürme, die dem staunenden Fremdling als unüber¬
windlich gerühmt wurden. Das Volk drinnen lebte in Hoffahrt und Sinn¬
lichkeit dahin; was sittlichen Nationen ein Greuel dünkte, galt ihnen für
Gottesdienst; in ihren Tempeln beteten sie in Wahrheit nur sich selber an,
den Geist ihrer Stadt. Der erschien ihnen zugleich als die Seele der Welt;
für anderer Menschen Gedanken hatten sie kein Verständniß, aber vielleicht
ein mitleidiges Lächeln. Bis dann einmal der Tag erschien, wo ein Cyrus
oder Alexander heranzog mit frischer Volkskraft, mit Männern von
Geist und Sitte! Da hauchte doch am Ende die Welt diese ihre Seele aus,
die dann überwanderte in einen andern Steinhaufen, um dort weiter hinzu¬
brüten, zu gleichem Loose. In der anmuthigen Legende vom Propheten Jona
wird Ninive noch einmal errettet, weil es den Herrn jammert „solcher großen
Stadt, in welcher sind mehr denn hundert und zwanzig tausend Menschen,
die nicht wissen Unterschied, was rechts oder links ist, dazu auch viele Thiere".


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[0129] „Vor Paris nichts Neues." ?<ZÄ.vo do to I'rauos, ik ^ränne! W psaog xsrmit Our ^use ima lillsal MtrÄnos to our ovrU not, dlooä I'iÄuos, g,na xsaos Äsesucl to Il0!i.oski! V/Kilch of, «Ava's vraidtul it^vnd, Äo vorrsot 1'thir xrouü vonteiuxt, tuae be^t Uf po^LL to Ksavsu. (/^»^ /o/in //. „Das Weltall blickt auf euch!" Mit dieser Lästerung wider die koper- nicanische Weltordnung trieb Napoleon seine Heere gegen uns in den Kampf. Nicht das Weltall, wohl aber die civilisirte Menschheit blickt nun beklomme¬ ner von Tage zu Tage auf die Stadt ohne Gleichen, die so lange mit dem Glänze ihrer Sünden die Augen der Völker geblendet hat. Wir Deutschen wissen wohl, warum wir das Ende des grauenvollen Strafgerichts herbei¬ sehnen, zu dessen Vollstreckung wir uns nicht herangedrängt haben. Die anderen Nationen werden ungeduldig, wie der müßige Pöbel, der sich um das fürch¬ terliche Schauspiel einer Hinrichtung zusammengerottet. Enttäuscht läßt man¬ cher Zeitungsleser draußen, der sich beim Frühstück durch die Kunde von dem Riesenbombardement der Riesenstadt wohlthätig hatte erschüttern wollen, das Blatt sinken, wenn ihm wieder und wieder der Draht lakonisch meldet: „Vor Paris nichts Neues." Geduld, ihr Herren! wir haben euch mit wunder¬ baren Neuigkeiten allzusehr verwöhnt. Vor Paris nichts Neues, aber Altes, Uraltes! möchte man ausrufen. In die Dämmerfrühe der Geschichte fühlt man sich zurückversetzt, in die Welt des ewig kindischen und ewig greisenhafter Orients, wo jene ungethümer Hauptstädte emporwuchsen, welche das Mark der Reiche aufsogen, bis zum Bersten gefüllt mit prächtigem Elend, die Despotenpaläste bedeckt mit dem einförmigen Zierrath der Siegesnamen und Triumphbilder, ringsumher un¬ ermeßliche Mauern und Thürme, die dem staunenden Fremdling als unüber¬ windlich gerühmt wurden. Das Volk drinnen lebte in Hoffahrt und Sinn¬ lichkeit dahin; was sittlichen Nationen ein Greuel dünkte, galt ihnen für Gottesdienst; in ihren Tempeln beteten sie in Wahrheit nur sich selber an, den Geist ihrer Stadt. Der erschien ihnen zugleich als die Seele der Welt; für anderer Menschen Gedanken hatten sie kein Verständniß, aber vielleicht ein mitleidiges Lächeln. Bis dann einmal der Tag erschien, wo ein Cyrus oder Alexander heranzog mit frischer Volkskraft, mit Männern von Geist und Sitte! Da hauchte doch am Ende die Welt diese ihre Seele aus, die dann überwanderte in einen andern Steinhaufen, um dort weiter hinzu¬ brüten, zu gleichem Loose. In der anmuthigen Legende vom Propheten Jona wird Ninive noch einmal errettet, weil es den Herrn jammert „solcher großen Stadt, in welcher sind mehr denn hundert und zwanzig tausend Menschen, die nicht wissen Unterschied, was rechts oder links ist, dazu auch viele Thiere". Grenzboten IV. 167«. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/129>, abgerufen am 22.12.2024.