Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.Die Geschickte weiß es anders: so wenig Ninive, wie die übrigen "großen Man verkenne unsere Absicht nicht: wir wollten weder predigen noch Man hat gemeint, unsere Führer schwankten noch, ob sie die ungeheure Die Geschickte weiß es anders: so wenig Ninive, wie die übrigen „großen Man verkenne unsere Absicht nicht: wir wollten weder predigen noch Man hat gemeint, unsere Führer schwankten noch, ob sie die ungeheure <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0130" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124836"/> <p xml:id="ID_405" prev="#ID_404"> Die Geschickte weiß es anders: so wenig Ninive, wie die übrigen „großen<lb/> Städte Gottes, drei Tagereisen groß", deren „Bosheit heraufkommen war<lb/> vor ihm", sind vorm Sturze bewahrt worden; durch Hunger, List oder Gewalt<lb/> hat man es ihnen allen zuletzt doch angethan.</p><lb/> <p xml:id="ID_406"> Man verkenne unsere Absicht nicht: wir wollten weder predigen noch<lb/> spotten. Wir haben eine historische Parallele gezogen, deren Wahrheit jedem<lb/> einleuchten muh. Innerhalb abendländischer Cultur ist eine Erscheinung wie<lb/> Paris, eine solche todbringende Concentration der Volkssciste an einem Punkte<lb/> des Staatskörpers, nie dagewesen, es ist eine Uebernährung des Herzens, die<lb/> nun einmal zu einem jähen Ende führen muß. Allerdings hat auch das<lb/> alte Nom den Erdkreis ausgeplündert, um sich allein zu bereichern an Geld,<lb/> Talenten und allem Schmucke zum Theil unbegriffner Kunst. Doch geschah<lb/> das erst, als die eigene Leistungsfähigkeit in ihm erloschen war, Geiz und<lb/> Habsucht sind auch bei großen Gesammtheiten Zeichen des hereinbrechenden<lb/> Alters. Auch on Hochmuth steht doch Nom noch weit hinter Paris zurück.<lb/> In den sturmfreien Tagen der augusteischen Zeit ruft der fromme Dichter<lb/> zur Sonne der Säcularfeier den Wunsch empor, daß sie doch nimmer etwas<lb/> Größeres erschauen möge, als die Stadt Rom. Solch' ein Wunsch, der ja<lb/> immer einen Zweifel in sich schließt, würde selbst im äußersten Schiffbruch<lb/> dem französischen Dichter als ein Frevel wider die Unsterblichkeit von Paris<lb/> erscheinen. Doch man verzeihe uns den Frevel, Victor Hugo neben Horaz<lb/> zu nennen!</p><lb/> <p xml:id="ID_407" next="#ID_408"> Man hat gemeint, unsere Führer schwankten noch, ob sie die ungeheure<lb/> Last in den Augen der Nachwelt auf sich nehmen sollten, Paris, wenn auch<lb/> nur theilweise, zerstört zu haben. Wir trauen ihnen diese falsche Weickher»<lb/> zigkeit nicht zu, um so weniger, als sie selber erklärt haben, wie viel entsetz¬<lb/> lichere Folgen auch für unsere Feinde die Aushungerung haben müßte, als<lb/> der lärmende Schrecken einer energischen und darum kurzen Beschießung. Es<lb/> ist freilich eine arge Ironie des Schicksals, daß unser Volk, das am tiefsten<lb/> von allen in das Verständniß der Kunst- und Geisteswerke jeder Vorzeit ein¬<lb/> gedrungen ist, die Hand anlegen soll, so vieles Schöne und Herrliche zu ver¬<lb/> nichten, nicht etwa blos die Werke französischer Bildner — diese, die noch<lb/> dazu fast alle lediglich der französischen Selbstbespiegelung dienen, setzt die<lb/> große Nation als freiwilligen Einsatz aus eigener Tasche auj's Spiel — nein,<lb/> auch ganz einzige, nie erhebliche Sclöpfungen griechischer und italienischer<lb/> Kunst, die Venus Milo. wie die Bilder Leonardo's, oder endlich den kostbaren<lb/> manessischen Codex unserer eigenen Minnesinger, einst ein Kleinod der uns<lb/> geraubten Heidelberger Bibliothek. Aber wie in den Kriegsberichten dieser<lb/> Blätter mehisach betont worden, das Leben unserer Tapfern, das Heil un¬<lb/> seres Volkes und Staates ist uns das oberste Gesetz. Mögen sie uns dann<lb/> immerhin als Barbaren in ihre Bücher zeichnen. Die Weltgeschichte doch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0130]
Die Geschickte weiß es anders: so wenig Ninive, wie die übrigen „großen
Städte Gottes, drei Tagereisen groß", deren „Bosheit heraufkommen war
vor ihm", sind vorm Sturze bewahrt worden; durch Hunger, List oder Gewalt
hat man es ihnen allen zuletzt doch angethan.
Man verkenne unsere Absicht nicht: wir wollten weder predigen noch
spotten. Wir haben eine historische Parallele gezogen, deren Wahrheit jedem
einleuchten muh. Innerhalb abendländischer Cultur ist eine Erscheinung wie
Paris, eine solche todbringende Concentration der Volkssciste an einem Punkte
des Staatskörpers, nie dagewesen, es ist eine Uebernährung des Herzens, die
nun einmal zu einem jähen Ende führen muß. Allerdings hat auch das
alte Nom den Erdkreis ausgeplündert, um sich allein zu bereichern an Geld,
Talenten und allem Schmucke zum Theil unbegriffner Kunst. Doch geschah
das erst, als die eigene Leistungsfähigkeit in ihm erloschen war, Geiz und
Habsucht sind auch bei großen Gesammtheiten Zeichen des hereinbrechenden
Alters. Auch on Hochmuth steht doch Nom noch weit hinter Paris zurück.
In den sturmfreien Tagen der augusteischen Zeit ruft der fromme Dichter
zur Sonne der Säcularfeier den Wunsch empor, daß sie doch nimmer etwas
Größeres erschauen möge, als die Stadt Rom. Solch' ein Wunsch, der ja
immer einen Zweifel in sich schließt, würde selbst im äußersten Schiffbruch
dem französischen Dichter als ein Frevel wider die Unsterblichkeit von Paris
erscheinen. Doch man verzeihe uns den Frevel, Victor Hugo neben Horaz
zu nennen!
Man hat gemeint, unsere Führer schwankten noch, ob sie die ungeheure
Last in den Augen der Nachwelt auf sich nehmen sollten, Paris, wenn auch
nur theilweise, zerstört zu haben. Wir trauen ihnen diese falsche Weickher»
zigkeit nicht zu, um so weniger, als sie selber erklärt haben, wie viel entsetz¬
lichere Folgen auch für unsere Feinde die Aushungerung haben müßte, als
der lärmende Schrecken einer energischen und darum kurzen Beschießung. Es
ist freilich eine arge Ironie des Schicksals, daß unser Volk, das am tiefsten
von allen in das Verständniß der Kunst- und Geisteswerke jeder Vorzeit ein¬
gedrungen ist, die Hand anlegen soll, so vieles Schöne und Herrliche zu ver¬
nichten, nicht etwa blos die Werke französischer Bildner — diese, die noch
dazu fast alle lediglich der französischen Selbstbespiegelung dienen, setzt die
große Nation als freiwilligen Einsatz aus eigener Tasche auj's Spiel — nein,
auch ganz einzige, nie erhebliche Sclöpfungen griechischer und italienischer
Kunst, die Venus Milo. wie die Bilder Leonardo's, oder endlich den kostbaren
manessischen Codex unserer eigenen Minnesinger, einst ein Kleinod der uns
geraubten Heidelberger Bibliothek. Aber wie in den Kriegsberichten dieser
Blätter mehisach betont worden, das Leben unserer Tapfern, das Heil un¬
seres Volkes und Staates ist uns das oberste Gesetz. Mögen sie uns dann
immerhin als Barbaren in ihre Bücher zeichnen. Die Weltgeschichte doch
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |