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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Rechnung der Weisheit des Kopenhagener Kabinets zu schreiben, als vielmehr
der Aussichten, die ihm für die nächste Friedenszeit, sei es direct, sei es durch
russische Vermittlung eröffnet worden sein möchten. Um so mehr jedoch halten
wir es für unsere Pflicht, unsere eigenen abweichenden Ansichten denen un¬
seres Correspondenten zu näherer Erwägung an die Seite zu stellen. Wir
sind nun einmal nicht sanguinisch genug, seine Erwartungen von durchaus
glimpflicher Behandlung der etwa an Dänemark wieder ausgelieferten Deut¬
schen zu theilen. Schaden macht klug. Es sind nicht übervorsichtige Be-
fürchtungen in einer unversuchten Sache, was uns abschreckt, es sind zwanzig,
jährige nur allzu bittere Erfahrungen, aus die wir uns stützen, Erfahrungen,
die allen Deutschen immerdar unvergeßlich sein werden. Eben die dauernde
Mißhandlung des deutschen Wesens durch die Dänen hat vor Jahren die
Ablösung Schleswig-Holsteins von dem herrischen Inselstaats zur vornehmsten
nationalen Forderung bei uns gemacht. Sollte da so plötzlich Wandel ge-
schafft werden durch den einzigen Umstand, daß Dänemark zunächst von Frank¬
reichs Seite keine wirksame Unterstützung gegen uns wird erhalten können?
Wie! gibt es denn nicht andere Mächte, die uns über kurz oder lang drohend
gegenübertreten können, Mächte, von denen eine wenigstens in Kopenhagen
einen geradezu bestimmenden Einfluß übt? Wo bleiben, um es frisch heraus
zu sagen, bei einem deutsch-russischen Conflicte, dessen heilsame Verzögerung
vielleicht nur auf zwei Augen steht, wo bleiben da die Deutschen von Haders¬
leben? Wenn wir jetzt von unserer Höhe herab in falscher Großmuth bei
der Forderung von Garantien leichtsinnig verführen, dürften wir sie eines
Tages ebenso ins Elend hinausstoßen sehen, wie heute die Deutschen von
Paris. -- Im Herzogthum Schleswig im Ganzen genommen Hot bekanntlich
das deutsche Element bei weitem die Majorität. Die Adressen der Deutschen
aus dem Norden, die im jetzigen Kriege König Wilhelm um endgiltige
Sicherung ihrer Zugehörigkeit zu Deutschland gebeten haben, sind Adressen
einer örtlichen Minorität, aber der Majorität des Landes. Der Prager
Friede setzt keinen Zeitpunkt für die Abstimmung der nördlichen Dtstricte
fest. Es ist keine Sophisterei, wenn wir uns darauf berufen, wir meinen
vielmehr, daß diese scheinbare Lücke ihren guten Sinn habe. Es bedurft"
durchaus einer Versuchszeit; wir mußten sehen, welche Aussicht bei den ver¬
wickelten Bevölkerungsverhältnissen der betreffenden Striche die fortschreitende
deutsche Colonisation habe, nachdem die feindlichen Einwirkungen dänischer
Gewaltherrschaft aufgehört. Unser Korrespondent scheint zu glauben, diese
Versuchszeit sei vorüber, das Experiment sei eher ungünstig für unsere na¬
tionalen Hoffnungen ausgefallen. Aber kann man sagen, daß die letzten
vier Jahre über wirklich schon die normalen Verhältnisse bestanden haben,
deren es zu richtiger Beobachtung bedarf? Lag nicht eben der drohende


Grenzboten IV. 1870. 14

Rechnung der Weisheit des Kopenhagener Kabinets zu schreiben, als vielmehr
der Aussichten, die ihm für die nächste Friedenszeit, sei es direct, sei es durch
russische Vermittlung eröffnet worden sein möchten. Um so mehr jedoch halten
wir es für unsere Pflicht, unsere eigenen abweichenden Ansichten denen un¬
seres Correspondenten zu näherer Erwägung an die Seite zu stellen. Wir
sind nun einmal nicht sanguinisch genug, seine Erwartungen von durchaus
glimpflicher Behandlung der etwa an Dänemark wieder ausgelieferten Deut¬
schen zu theilen. Schaden macht klug. Es sind nicht übervorsichtige Be-
fürchtungen in einer unversuchten Sache, was uns abschreckt, es sind zwanzig,
jährige nur allzu bittere Erfahrungen, aus die wir uns stützen, Erfahrungen,
die allen Deutschen immerdar unvergeßlich sein werden. Eben die dauernde
Mißhandlung des deutschen Wesens durch die Dänen hat vor Jahren die
Ablösung Schleswig-Holsteins von dem herrischen Inselstaats zur vornehmsten
nationalen Forderung bei uns gemacht. Sollte da so plötzlich Wandel ge-
schafft werden durch den einzigen Umstand, daß Dänemark zunächst von Frank¬
reichs Seite keine wirksame Unterstützung gegen uns wird erhalten können?
Wie! gibt es denn nicht andere Mächte, die uns über kurz oder lang drohend
gegenübertreten können, Mächte, von denen eine wenigstens in Kopenhagen
einen geradezu bestimmenden Einfluß übt? Wo bleiben, um es frisch heraus
zu sagen, bei einem deutsch-russischen Conflicte, dessen heilsame Verzögerung
vielleicht nur auf zwei Augen steht, wo bleiben da die Deutschen von Haders¬
leben? Wenn wir jetzt von unserer Höhe herab in falscher Großmuth bei
der Forderung von Garantien leichtsinnig verführen, dürften wir sie eines
Tages ebenso ins Elend hinausstoßen sehen, wie heute die Deutschen von
Paris. — Im Herzogthum Schleswig im Ganzen genommen Hot bekanntlich
das deutsche Element bei weitem die Majorität. Die Adressen der Deutschen
aus dem Norden, die im jetzigen Kriege König Wilhelm um endgiltige
Sicherung ihrer Zugehörigkeit zu Deutschland gebeten haben, sind Adressen
einer örtlichen Minorität, aber der Majorität des Landes. Der Prager
Friede setzt keinen Zeitpunkt für die Abstimmung der nördlichen Dtstricte
fest. Es ist keine Sophisterei, wenn wir uns darauf berufen, wir meinen
vielmehr, daß diese scheinbare Lücke ihren guten Sinn habe. Es bedurft«
durchaus einer Versuchszeit; wir mußten sehen, welche Aussicht bei den ver¬
wickelten Bevölkerungsverhältnissen der betreffenden Striche die fortschreitende
deutsche Colonisation habe, nachdem die feindlichen Einwirkungen dänischer
Gewaltherrschaft aufgehört. Unser Korrespondent scheint zu glauben, diese
Versuchszeit sei vorüber, das Experiment sei eher ungünstig für unsere na¬
tionalen Hoffnungen ausgefallen. Aber kann man sagen, daß die letzten
vier Jahre über wirklich schon die normalen Verhältnisse bestanden haben,
deren es zu richtiger Beobachtung bedarf? Lag nicht eben der drohende


Grenzboten IV. 1870. 14
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/113>, abgerufen am 22.12.2024.