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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Die Wirkung dieser Anfangs ziemlich gleichgiltig aufgenommenen Re¬
formen wurde zu der Zeit, wo die lange verhüllten Tendenzen der mexikani¬
schen Expedition allrnältg ans Tageslicht traten, in der That bedeutend.
Die Opposition der Fünf benutzte das ihr gewährte Recht, die Politik der
Regierung zu kritisiren, mit Schärfe und Geschicklichkeit. Die Regierung
schickte zwar ihre besten Redner ins Treffen, um ihre Sache zu vertheidigen,
und vor der Kammer gewann sie allerdings ihren Proceß, ja dort würde
sie ihn gewonnen haben, auch wenn ihre Sache noch bei weitem schlechter
gestanden hätte. Aber in der öffentlichen Meinung thaten diese lebhaften
Wortgefechte der Regierung außerordentlichen Abbruch. Das Land hatte in
den gewährten Zugeständnissen die ersten Symptome einer beginnenden
Schwäche gesehen: die parlamentarische Debatte bestätigte die Ausfassung
durchaus, daß die Regierung ihre viel gerühmte feste Haltung nach allen
Seiten hin eingebüßt, daß sie das einst so stolz zur Schau getragene Gefühl
der Sicherheit und Unfehlbarkeit verloren habe. Es war augenscheinlich ge¬
worden, daß die Kräfte des Kaiserthums in der Abnahme begriffen waren,
und die Folge dieser sich Allen aufdrängenden Thatsache war, daß die Wahlen
im Jahre 1863 35 oppositionelle Deputirte in die Kammer führten.

Sollte der Kaiser auf dem eingeschlagenen Wege der Concessionen fort¬
fahren, oder sollte er das wankende persönliche Regime durch verschärfte Re-
pressionsmaßregeln stützen? Er wagte weder das Eine noch das Andere
mit Entschiedenheit zu thun, er verfiel in ein unsicheres Schwanken zwischen
den Extremen; bald erbitterte er durch ein scharfes Auftreten, bald erhöhte
er durch Nachgiebigkeit den Muth seiner Gegner, ohne sie zu versöhnen. Daß
bereits 1863 an Stelle der Sprechminister der Staatsminister trat, war
principiell eine Verbesserung, da das Institut der Sprechminister eine Mon¬
strosität war. Wesentliches wurde indessen, da der Kaiser nach wie vor alle
wichtigen Angelegenheiten im Kabinet erledigte und weit entfernt war, den
Slaatsmuüster mit der Vollmacht eines Ministerpräsidenten auszustatten und
ihn zum Träger seiner Politik zu machen, mit dieser Neuerung nicht ge¬
wonnen, wohl aber wurde durch das Schwanken und die tastende Unsicher¬
heit der staatsmännische Ruf des Kaisers immer mehr compromittirt und das
Vertrauen der Ergebenen in seiner Festigkeit erschüttert. Deutlicher und deut¬
licher kündigte sich die nahe Zersetzung der kaiserlichen Partei an; den Ultras
trat eine liberal gefärbte Gruppe gegenüber; während andrerseits einzelne
Mitglieder der liberalen Partei die entschiedene Neigung kund gaben, mit
dem Kaiserthum ihren Frieden zu machen, unter der Bedingung natürlich,
daß der Kaiser mit dem persönlichen Regime breche und sich aufrichtig den
Anforderungen des parlamentarischen Systems unterwerfe. Mit der aus


Die Wirkung dieser Anfangs ziemlich gleichgiltig aufgenommenen Re¬
formen wurde zu der Zeit, wo die lange verhüllten Tendenzen der mexikani¬
schen Expedition allrnältg ans Tageslicht traten, in der That bedeutend.
Die Opposition der Fünf benutzte das ihr gewährte Recht, die Politik der
Regierung zu kritisiren, mit Schärfe und Geschicklichkeit. Die Regierung
schickte zwar ihre besten Redner ins Treffen, um ihre Sache zu vertheidigen,
und vor der Kammer gewann sie allerdings ihren Proceß, ja dort würde
sie ihn gewonnen haben, auch wenn ihre Sache noch bei weitem schlechter
gestanden hätte. Aber in der öffentlichen Meinung thaten diese lebhaften
Wortgefechte der Regierung außerordentlichen Abbruch. Das Land hatte in
den gewährten Zugeständnissen die ersten Symptome einer beginnenden
Schwäche gesehen: die parlamentarische Debatte bestätigte die Ausfassung
durchaus, daß die Regierung ihre viel gerühmte feste Haltung nach allen
Seiten hin eingebüßt, daß sie das einst so stolz zur Schau getragene Gefühl
der Sicherheit und Unfehlbarkeit verloren habe. Es war augenscheinlich ge¬
worden, daß die Kräfte des Kaiserthums in der Abnahme begriffen waren,
und die Folge dieser sich Allen aufdrängenden Thatsache war, daß die Wahlen
im Jahre 1863 35 oppositionelle Deputirte in die Kammer führten.

Sollte der Kaiser auf dem eingeschlagenen Wege der Concessionen fort¬
fahren, oder sollte er das wankende persönliche Regime durch verschärfte Re-
pressionsmaßregeln stützen? Er wagte weder das Eine noch das Andere
mit Entschiedenheit zu thun, er verfiel in ein unsicheres Schwanken zwischen
den Extremen; bald erbitterte er durch ein scharfes Auftreten, bald erhöhte
er durch Nachgiebigkeit den Muth seiner Gegner, ohne sie zu versöhnen. Daß
bereits 1863 an Stelle der Sprechminister der Staatsminister trat, war
principiell eine Verbesserung, da das Institut der Sprechminister eine Mon¬
strosität war. Wesentliches wurde indessen, da der Kaiser nach wie vor alle
wichtigen Angelegenheiten im Kabinet erledigte und weit entfernt war, den
Slaatsmuüster mit der Vollmacht eines Ministerpräsidenten auszustatten und
ihn zum Träger seiner Politik zu machen, mit dieser Neuerung nicht ge¬
wonnen, wohl aber wurde durch das Schwanken und die tastende Unsicher¬
heit der staatsmännische Ruf des Kaisers immer mehr compromittirt und das
Vertrauen der Ergebenen in seiner Festigkeit erschüttert. Deutlicher und deut¬
licher kündigte sich die nahe Zersetzung der kaiserlichen Partei an; den Ultras
trat eine liberal gefärbte Gruppe gegenüber; während andrerseits einzelne
Mitglieder der liberalen Partei die entschiedene Neigung kund gaben, mit
dem Kaiserthum ihren Frieden zu machen, unter der Bedingung natürlich,
daß der Kaiser mit dem persönlichen Regime breche und sich aufrichtig den
Anforderungen des parlamentarischen Systems unterwerfe. Mit der aus


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[0542] Die Wirkung dieser Anfangs ziemlich gleichgiltig aufgenommenen Re¬ formen wurde zu der Zeit, wo die lange verhüllten Tendenzen der mexikani¬ schen Expedition allrnältg ans Tageslicht traten, in der That bedeutend. Die Opposition der Fünf benutzte das ihr gewährte Recht, die Politik der Regierung zu kritisiren, mit Schärfe und Geschicklichkeit. Die Regierung schickte zwar ihre besten Redner ins Treffen, um ihre Sache zu vertheidigen, und vor der Kammer gewann sie allerdings ihren Proceß, ja dort würde sie ihn gewonnen haben, auch wenn ihre Sache noch bei weitem schlechter gestanden hätte. Aber in der öffentlichen Meinung thaten diese lebhaften Wortgefechte der Regierung außerordentlichen Abbruch. Das Land hatte in den gewährten Zugeständnissen die ersten Symptome einer beginnenden Schwäche gesehen: die parlamentarische Debatte bestätigte die Ausfassung durchaus, daß die Regierung ihre viel gerühmte feste Haltung nach allen Seiten hin eingebüßt, daß sie das einst so stolz zur Schau getragene Gefühl der Sicherheit und Unfehlbarkeit verloren habe. Es war augenscheinlich ge¬ worden, daß die Kräfte des Kaiserthums in der Abnahme begriffen waren, und die Folge dieser sich Allen aufdrängenden Thatsache war, daß die Wahlen im Jahre 1863 35 oppositionelle Deputirte in die Kammer führten. Sollte der Kaiser auf dem eingeschlagenen Wege der Concessionen fort¬ fahren, oder sollte er das wankende persönliche Regime durch verschärfte Re- pressionsmaßregeln stützen? Er wagte weder das Eine noch das Andere mit Entschiedenheit zu thun, er verfiel in ein unsicheres Schwanken zwischen den Extremen; bald erbitterte er durch ein scharfes Auftreten, bald erhöhte er durch Nachgiebigkeit den Muth seiner Gegner, ohne sie zu versöhnen. Daß bereits 1863 an Stelle der Sprechminister der Staatsminister trat, war principiell eine Verbesserung, da das Institut der Sprechminister eine Mon¬ strosität war. Wesentliches wurde indessen, da der Kaiser nach wie vor alle wichtigen Angelegenheiten im Kabinet erledigte und weit entfernt war, den Slaatsmuüster mit der Vollmacht eines Ministerpräsidenten auszustatten und ihn zum Träger seiner Politik zu machen, mit dieser Neuerung nicht ge¬ wonnen, wohl aber wurde durch das Schwanken und die tastende Unsicher¬ heit der staatsmännische Ruf des Kaisers immer mehr compromittirt und das Vertrauen der Ergebenen in seiner Festigkeit erschüttert. Deutlicher und deut¬ licher kündigte sich die nahe Zersetzung der kaiserlichen Partei an; den Ultras trat eine liberal gefärbte Gruppe gegenüber; während andrerseits einzelne Mitglieder der liberalen Partei die entschiedene Neigung kund gaben, mit dem Kaiserthum ihren Frieden zu machen, unter der Bedingung natürlich, daß der Kaiser mit dem persönlichen Regime breche und sich aufrichtig den Anforderungen des parlamentarischen Systems unterwerfe. Mit der aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/542>, abgerufen am 28.09.2024.