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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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diesen Elementen sich bildenden Mittelpartei mußte der Kaiser rechnen; und
wie großen Antheil diese Partei an der Krisis des vorigen Jahres, die zur
Bildung des Kabinets Ollivier führte, genommen hat, lebt noch in Aller
Gedächtniß.

Noch einmal versuchte Napoleon, der Entwicklung des parlamentarischen
Systems entschiedenen Widerstand entgegenzusetzen. Die Thronrede, mit der
die Session von 1866 eröffnet wurde, ließ zwar für die Zukunft die Mög¬
lichkeit eines weiteren Fortschritts offen, feierte aber das persönliche Regime
und sprach sich unumwunden gegen das constitutionelle Princip aus. Der
gewaltige Eindruck, den der schmähliche Ausgang der mexikanischen Expedition
und die großen Ereignisse des Jahres 1866 hervorbrachten, nöthigten in¬
dessen den Kaiser, umgekehrt wie er es früher zu thun pflegte, den Blick der
Franzosen von Außen nach Innen abzulenken. Der Chauvinismus drängte
zum Kriege, der Kaiser wollte damals den Frieden. Er mußte also der leb¬
haft erregten öffentlichen Meinung durch weitere Zugeständnisse Befriedigung
zu gewähren suchen. Diese Zugeständnisse, die endlich die Krönung des Ge¬
bäudes bringen sollten, waren in dem bekannten Schreiben Napoleons an
Rouher (19. Januar 1867) formulirt: Abschaffung der Adreßdebatte gegen
Gewährung eines allerdings sehr beschränkten Jnterpellationsrechts -- ein
entschiedener Fortschritt --, eine liberale Modifikation des Preßgesetzes, Ge-
Währung eines beschränkten Versammlungsrechts, stark verclausulirte Theil¬
nahme der Fachminister an den Debatten mit voller Wahrung des persön¬
lichen Regimes.

Die Heftigkeit der Angriffe gegen die kaiserliche Politik wurde durch
diese Zugeständnisse keineswegs entwaffnet. Die Eifersucht wider Deutsch¬
land beherrschte alle Parteien, die strengen Imperialisten, die Altliberalen,
wie z. B. Thiers, die Republikaner, z. B. Jules Favre, welche beide Herren
jetzt, wo sie sich bemühen, ihre Hände in Unschuld zu waschen, daran erinnert
seien, daß sie unter den ersten das Feuer des Chauvinismus geschürt und
dadurch dem Kaiser ein gewisses Recht gegeben haben, sich bei seiner gegen
Preußen gerichteten Jntriguenpolitik und später bei seiner frevelhaften Kriegs¬
erklärung auf die Stimme der Nation berufen zu können. Aber auch abge¬
sehen von dem Verhältniß zu Deutschland, auf das wir hier nicht eingehen
können, befriedigten die Concessionen Niemanden völlig. Die strenge Rechte
verabscheute jede Concession, die Liberalen benutzten das Gebotene als Waffe,
um den Kaiser zu weiteren Zugeständnissen zu zwingen. Und die Wider¬
standskraft des Kaisers nahm mit reißender Schnelligkeit ab, aber merkwür¬
diger Weise, ohne daß die Kraft der völlig zerfahrenen parlamentarischen
Opposition in gleichem Verhältniß wuchs. Es war eine Schmach nicht min-


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diesen Elementen sich bildenden Mittelpartei mußte der Kaiser rechnen; und
wie großen Antheil diese Partei an der Krisis des vorigen Jahres, die zur
Bildung des Kabinets Ollivier führte, genommen hat, lebt noch in Aller
Gedächtniß.

Noch einmal versuchte Napoleon, der Entwicklung des parlamentarischen
Systems entschiedenen Widerstand entgegenzusetzen. Die Thronrede, mit der
die Session von 1866 eröffnet wurde, ließ zwar für die Zukunft die Mög¬
lichkeit eines weiteren Fortschritts offen, feierte aber das persönliche Regime
und sprach sich unumwunden gegen das constitutionelle Princip aus. Der
gewaltige Eindruck, den der schmähliche Ausgang der mexikanischen Expedition
und die großen Ereignisse des Jahres 1866 hervorbrachten, nöthigten in¬
dessen den Kaiser, umgekehrt wie er es früher zu thun pflegte, den Blick der
Franzosen von Außen nach Innen abzulenken. Der Chauvinismus drängte
zum Kriege, der Kaiser wollte damals den Frieden. Er mußte also der leb¬
haft erregten öffentlichen Meinung durch weitere Zugeständnisse Befriedigung
zu gewähren suchen. Diese Zugeständnisse, die endlich die Krönung des Ge¬
bäudes bringen sollten, waren in dem bekannten Schreiben Napoleons an
Rouher (19. Januar 1867) formulirt: Abschaffung der Adreßdebatte gegen
Gewährung eines allerdings sehr beschränkten Jnterpellationsrechts — ein
entschiedener Fortschritt —, eine liberale Modifikation des Preßgesetzes, Ge-
Währung eines beschränkten Versammlungsrechts, stark verclausulirte Theil¬
nahme der Fachminister an den Debatten mit voller Wahrung des persön¬
lichen Regimes.

Die Heftigkeit der Angriffe gegen die kaiserliche Politik wurde durch
diese Zugeständnisse keineswegs entwaffnet. Die Eifersucht wider Deutsch¬
land beherrschte alle Parteien, die strengen Imperialisten, die Altliberalen,
wie z. B. Thiers, die Republikaner, z. B. Jules Favre, welche beide Herren
jetzt, wo sie sich bemühen, ihre Hände in Unschuld zu waschen, daran erinnert
seien, daß sie unter den ersten das Feuer des Chauvinismus geschürt und
dadurch dem Kaiser ein gewisses Recht gegeben haben, sich bei seiner gegen
Preußen gerichteten Jntriguenpolitik und später bei seiner frevelhaften Kriegs¬
erklärung auf die Stimme der Nation berufen zu können. Aber auch abge¬
sehen von dem Verhältniß zu Deutschland, auf das wir hier nicht eingehen
können, befriedigten die Concessionen Niemanden völlig. Die strenge Rechte
verabscheute jede Concession, die Liberalen benutzten das Gebotene als Waffe,
um den Kaiser zu weiteren Zugeständnissen zu zwingen. Und die Wider¬
standskraft des Kaisers nahm mit reißender Schnelligkeit ab, aber merkwür¬
diger Weise, ohne daß die Kraft der völlig zerfahrenen parlamentarischen
Opposition in gleichem Verhältniß wuchs. Es war eine Schmach nicht min-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/543>, abgerufen am 28.09.2024.