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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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daß Maximilian nicht in der Lage war, gegen irgend welche Ausschreitung
Bazaine's das Geringste zu thun.

Aus beiden Berichten, so verschieden sie gefärbt sind und so sehr sie in
Betreff der Urheberschaft des Decrets abweichen, ergibt sich aber doch un¬
zweifelhaft, daß die Härte der Bestimmungen desselben Bazaine keineswegs
anstößig erschienen ist. Selbst Keratry gesteht zu, daß nur der Theil des
Decrets, in dem die versöhnlichen Absichten Maximilians ihren Ausdruck
fanden, dem Franzosen entschieden mißfiel, daß ihm die Strafbestimmungen
aber nur unzweckmäßig -- weil überflüssig -- erschienen. Daß Maximilian
das Decret, welches die Unterschrift seines Ministeriums gefunden, eigenhändig
geschrieben, ist unzweifelhaft, womit indessen sehr wohl die Annahme verein¬
bar ist, daß der Entwurf desselben von Bazaine herrührt, was wir nach
einer unbefangenen Prüfung der Zeugenaussagen für das Wahrscheinlichste
halten. -- Die letzten Monate vor der völligen Räumung des mexikanischen
Gebietes werden noch durch einige Acte kleinlicher Rache bezeichnet, durch
die Napoleon seinen Zorn über Maximilians Verhalten, welches alle seine
Pläne durchkreuzte, vielleicht auch über die Aeußerungen, die er in seiner
Unterredung mit der unglücklichen Kaiserin zu hören bekommen hatte, kund
gab. Dahin gehörte die Zurückberufung der französischen Fremdenlegion
sowie die Ermächtigung, die östreichischen und belgischen Legionen, wenn sie es
wünschen sollten (was einer Aufforderung gleich kam) zurückzuführen: eine
Maßregel, die von Napoleon direct befohlen wurde. Dahin gehört ferner
die Beschlagnahme der Douane von Veracruz, zu der es den Franzosen, da
sie selbst die Bestimmungen des letzten Vertrages nicht gehalten hatten, an
jeder Berechtigung fehlte. Nach einem vergeblichen Versuche Bazaine's. den
Kaiser zur Abreise zu bestimmen, lichtete am S. Februar der Rest der franzö¬
sischen Expedition die Anker, und Maximilian war vor den Verzweiflguus-
kampf gestellt.

Für Frankreich schließt die Expedition mit der Rückkehr des Heeres ab,
aber ihre verderbliche Einwirkung auf das französische Kaiserthum dauerte
fort. Sie leitet den innern Zersetzungsproceß des persönlichen Regimes ein.

Das mexikanische Abenteuer hatte dem Kaiser über die mannigfachen
Verlegenheiten hinweghelfen sollen, die ihm aus der in jeder Beziehung un¬
befriedigender Gestaltung der italienisch en Verhältnisse erwachsen waren; aber
die an dasselbe geknüpften Hoffnungen und Erwartungen hatten sich in keiner
Weise erfüllt; im Gegentheil, die Verlegenheiten waren infolge des unglück¬
lichen Verlaufs der Unternehmung zu ernsten Schwierigkeiten und Gefahren
geworden. Die persönliche Politik wurde ihres Nimbus entkleidet, si? erlitt
eine Niederlage, von der sie sich nicht wieder erholt hat. Die Opposition,


daß Maximilian nicht in der Lage war, gegen irgend welche Ausschreitung
Bazaine's das Geringste zu thun.

Aus beiden Berichten, so verschieden sie gefärbt sind und so sehr sie in
Betreff der Urheberschaft des Decrets abweichen, ergibt sich aber doch un¬
zweifelhaft, daß die Härte der Bestimmungen desselben Bazaine keineswegs
anstößig erschienen ist. Selbst Keratry gesteht zu, daß nur der Theil des
Decrets, in dem die versöhnlichen Absichten Maximilians ihren Ausdruck
fanden, dem Franzosen entschieden mißfiel, daß ihm die Strafbestimmungen
aber nur unzweckmäßig — weil überflüssig — erschienen. Daß Maximilian
das Decret, welches die Unterschrift seines Ministeriums gefunden, eigenhändig
geschrieben, ist unzweifelhaft, womit indessen sehr wohl die Annahme verein¬
bar ist, daß der Entwurf desselben von Bazaine herrührt, was wir nach
einer unbefangenen Prüfung der Zeugenaussagen für das Wahrscheinlichste
halten. — Die letzten Monate vor der völligen Räumung des mexikanischen
Gebietes werden noch durch einige Acte kleinlicher Rache bezeichnet, durch
die Napoleon seinen Zorn über Maximilians Verhalten, welches alle seine
Pläne durchkreuzte, vielleicht auch über die Aeußerungen, die er in seiner
Unterredung mit der unglücklichen Kaiserin zu hören bekommen hatte, kund
gab. Dahin gehörte die Zurückberufung der französischen Fremdenlegion
sowie die Ermächtigung, die östreichischen und belgischen Legionen, wenn sie es
wünschen sollten (was einer Aufforderung gleich kam) zurückzuführen: eine
Maßregel, die von Napoleon direct befohlen wurde. Dahin gehört ferner
die Beschlagnahme der Douane von Veracruz, zu der es den Franzosen, da
sie selbst die Bestimmungen des letzten Vertrages nicht gehalten hatten, an
jeder Berechtigung fehlte. Nach einem vergeblichen Versuche Bazaine's. den
Kaiser zur Abreise zu bestimmen, lichtete am S. Februar der Rest der franzö¬
sischen Expedition die Anker, und Maximilian war vor den Verzweiflguus-
kampf gestellt.

Für Frankreich schließt die Expedition mit der Rückkehr des Heeres ab,
aber ihre verderbliche Einwirkung auf das französische Kaiserthum dauerte
fort. Sie leitet den innern Zersetzungsproceß des persönlichen Regimes ein.

Das mexikanische Abenteuer hatte dem Kaiser über die mannigfachen
Verlegenheiten hinweghelfen sollen, die ihm aus der in jeder Beziehung un¬
befriedigender Gestaltung der italienisch en Verhältnisse erwachsen waren; aber
die an dasselbe geknüpften Hoffnungen und Erwartungen hatten sich in keiner
Weise erfüllt; im Gegentheil, die Verlegenheiten waren infolge des unglück¬
lichen Verlaufs der Unternehmung zu ernsten Schwierigkeiten und Gefahren
geworden. Die persönliche Politik wurde ihres Nimbus entkleidet, si? erlitt
eine Niederlage, von der sie sich nicht wieder erholt hat. Die Opposition,


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[0539] daß Maximilian nicht in der Lage war, gegen irgend welche Ausschreitung Bazaine's das Geringste zu thun. Aus beiden Berichten, so verschieden sie gefärbt sind und so sehr sie in Betreff der Urheberschaft des Decrets abweichen, ergibt sich aber doch un¬ zweifelhaft, daß die Härte der Bestimmungen desselben Bazaine keineswegs anstößig erschienen ist. Selbst Keratry gesteht zu, daß nur der Theil des Decrets, in dem die versöhnlichen Absichten Maximilians ihren Ausdruck fanden, dem Franzosen entschieden mißfiel, daß ihm die Strafbestimmungen aber nur unzweckmäßig — weil überflüssig — erschienen. Daß Maximilian das Decret, welches die Unterschrift seines Ministeriums gefunden, eigenhändig geschrieben, ist unzweifelhaft, womit indessen sehr wohl die Annahme verein¬ bar ist, daß der Entwurf desselben von Bazaine herrührt, was wir nach einer unbefangenen Prüfung der Zeugenaussagen für das Wahrscheinlichste halten. — Die letzten Monate vor der völligen Räumung des mexikanischen Gebietes werden noch durch einige Acte kleinlicher Rache bezeichnet, durch die Napoleon seinen Zorn über Maximilians Verhalten, welches alle seine Pläne durchkreuzte, vielleicht auch über die Aeußerungen, die er in seiner Unterredung mit der unglücklichen Kaiserin zu hören bekommen hatte, kund gab. Dahin gehörte die Zurückberufung der französischen Fremdenlegion sowie die Ermächtigung, die östreichischen und belgischen Legionen, wenn sie es wünschen sollten (was einer Aufforderung gleich kam) zurückzuführen: eine Maßregel, die von Napoleon direct befohlen wurde. Dahin gehört ferner die Beschlagnahme der Douane von Veracruz, zu der es den Franzosen, da sie selbst die Bestimmungen des letzten Vertrages nicht gehalten hatten, an jeder Berechtigung fehlte. Nach einem vergeblichen Versuche Bazaine's. den Kaiser zur Abreise zu bestimmen, lichtete am S. Februar der Rest der franzö¬ sischen Expedition die Anker, und Maximilian war vor den Verzweiflguus- kampf gestellt. Für Frankreich schließt die Expedition mit der Rückkehr des Heeres ab, aber ihre verderbliche Einwirkung auf das französische Kaiserthum dauerte fort. Sie leitet den innern Zersetzungsproceß des persönlichen Regimes ein. Das mexikanische Abenteuer hatte dem Kaiser über die mannigfachen Verlegenheiten hinweghelfen sollen, die ihm aus der in jeder Beziehung un¬ befriedigender Gestaltung der italienisch en Verhältnisse erwachsen waren; aber die an dasselbe geknüpften Hoffnungen und Erwartungen hatten sich in keiner Weise erfüllt; im Gegentheil, die Verlegenheiten waren infolge des unglück¬ lichen Verlaufs der Unternehmung zu ernsten Schwierigkeiten und Gefahren geworden. Die persönliche Politik wurde ihres Nimbus entkleidet, si? erlitt eine Niederlage, von der sie sich nicht wieder erholt hat. Die Opposition,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/539>, abgerufen am 29.06.2024.