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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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ganzen Verfahrens einmal abzusehen) hat hier ihren Höhepunkt erreicht. Der
Kaiser klügelt seine Intriguen aus ohne jede Rücksicht auf die gegenwirken¬
den Kräfte. Seine politischen Entwürfe werden zu einer mechanischen Con-
stcuction, als ob er nicht mit lebendigen Mächten zu rechnen, sondern Ma¬
rionetten unter den Händen hätte, die er an ihren Drähten nach Belieben
hin und her ziehen könnte.

Daß Bazaine sich dazu hergab, in diesem unwürdigen Spiel eine Rolle
zu übernehmen, statt seinen "Degen zu zerbrechen" und Castelnau die Aus¬
führung der Jnstructionen zu überlassen, deren Vollziehung er zu überwachen
hatte, berührt selbst Mratry schmerzlich, so sehr er sich sonst bemüht, das
Verfahren des Marschalls als streng ehrenhaft darzustellen und für die Per-
fidie der französischen Politik Napoleon allein verantwortlich zu machen.
Völlig gelungen ist ihm dies indessen nicht. Es läßt sich gar nicht wegdis-
Putir en, daß Bazaine, um von seinem oft herrischen Auftreten ganz zu schwei¬
gen, alle Winkelzüge der napoleonischen Politik ohne Bedenken unterstützt
hat. Niemand wird glauben, daß er erst nach Castelnau's Ankunft einen
klaren Einblick in Napoleons Entwürfe gewonnen habe. Er wußte offenbar
stets, was der Kaiser wollte, er mußte wissen, daß er zu einer zweideutigen
Rolle, zum Werkzeug der perfidesten Politik auserkoren sei. War er doch
nicht blos der militärische, sondern auch der höchste politische Leiter der Expe¬
dition; und wenn er als Marschall, indem er sich an seine Jnstructionen
hielt, seine Pflicht gethan, als Staatsmann steht er auf gleicher Stufe mit
allen andern gewissenlosen Handlangern der napoleonischen Politik, deren Recht¬
fertigung zu übernehmen übrigens Herrn von Ke'ratry gar nicht einfällt.
(Bazaine und Benedetti repräsentiren zwei Species der kaiserlich bonapartischen
Demimonde; dieser die Hofmännische Prostitution, jener das martialische
Banditenthum: mit beiden Sorten wird Hoffentlich in unseren Tagen für
immer aufgeräumt.) Von der Anschuldigung der Habgier, die gegen Bazaine
wie gegen die Mehrzahl der höheren französischen Offiziere erhoben wird,
dürfte es schwer fallen, ihn zu reinigen. Was man darüber in Mexico noch
jetzt allgemein erzählt, übersteigt allen Glauben. Vom Marschall wird be¬
hauptet, (so theilt nach einer gelegentlichen Notiz der Kölnischen Zeitung ein,
in Mexico ansässiger Schweizer Kaufmann mit), daß er beim Abmärsche den
Liberalen Gewehre und Munition verkauft habe; von andern französischen
Generalen heißt es in Mexico allgemein, daß sie stets die Stellung der deut¬
schen Truppen Maximilians den Juaristen für schweres Geld verrathen hätten.
Dem Prinzen Felix zu Salm-Salm hat Porfino Diaz selbst versichert, Ba¬
zaine habe ihm die Ueberlieferung der Stadt Mexico angeboten. Wie viel
von all diesen Gerüchten wahr sein mag, bleibe dahin gestellt, so viel ist ge¬
wiß, daß in dem Haß gegen die Franzosen alle Parteien Mexico's überein-


ganzen Verfahrens einmal abzusehen) hat hier ihren Höhepunkt erreicht. Der
Kaiser klügelt seine Intriguen aus ohne jede Rücksicht auf die gegenwirken¬
den Kräfte. Seine politischen Entwürfe werden zu einer mechanischen Con-
stcuction, als ob er nicht mit lebendigen Mächten zu rechnen, sondern Ma¬
rionetten unter den Händen hätte, die er an ihren Drähten nach Belieben
hin und her ziehen könnte.

Daß Bazaine sich dazu hergab, in diesem unwürdigen Spiel eine Rolle
zu übernehmen, statt seinen „Degen zu zerbrechen" und Castelnau die Aus¬
führung der Jnstructionen zu überlassen, deren Vollziehung er zu überwachen
hatte, berührt selbst Mratry schmerzlich, so sehr er sich sonst bemüht, das
Verfahren des Marschalls als streng ehrenhaft darzustellen und für die Per-
fidie der französischen Politik Napoleon allein verantwortlich zu machen.
Völlig gelungen ist ihm dies indessen nicht. Es läßt sich gar nicht wegdis-
Putir en, daß Bazaine, um von seinem oft herrischen Auftreten ganz zu schwei¬
gen, alle Winkelzüge der napoleonischen Politik ohne Bedenken unterstützt
hat. Niemand wird glauben, daß er erst nach Castelnau's Ankunft einen
klaren Einblick in Napoleons Entwürfe gewonnen habe. Er wußte offenbar
stets, was der Kaiser wollte, er mußte wissen, daß er zu einer zweideutigen
Rolle, zum Werkzeug der perfidesten Politik auserkoren sei. War er doch
nicht blos der militärische, sondern auch der höchste politische Leiter der Expe¬
dition; und wenn er als Marschall, indem er sich an seine Jnstructionen
hielt, seine Pflicht gethan, als Staatsmann steht er auf gleicher Stufe mit
allen andern gewissenlosen Handlangern der napoleonischen Politik, deren Recht¬
fertigung zu übernehmen übrigens Herrn von Ke'ratry gar nicht einfällt.
(Bazaine und Benedetti repräsentiren zwei Species der kaiserlich bonapartischen
Demimonde; dieser die Hofmännische Prostitution, jener das martialische
Banditenthum: mit beiden Sorten wird Hoffentlich in unseren Tagen für
immer aufgeräumt.) Von der Anschuldigung der Habgier, die gegen Bazaine
wie gegen die Mehrzahl der höheren französischen Offiziere erhoben wird,
dürfte es schwer fallen, ihn zu reinigen. Was man darüber in Mexico noch
jetzt allgemein erzählt, übersteigt allen Glauben. Vom Marschall wird be¬
hauptet, (so theilt nach einer gelegentlichen Notiz der Kölnischen Zeitung ein,
in Mexico ansässiger Schweizer Kaufmann mit), daß er beim Abmärsche den
Liberalen Gewehre und Munition verkauft habe; von andern französischen
Generalen heißt es in Mexico allgemein, daß sie stets die Stellung der deut¬
schen Truppen Maximilians den Juaristen für schweres Geld verrathen hätten.
Dem Prinzen Felix zu Salm-Salm hat Porfino Diaz selbst versichert, Ba¬
zaine habe ihm die Ueberlieferung der Stadt Mexico angeboten. Wie viel
von all diesen Gerüchten wahr sein mag, bleibe dahin gestellt, so viel ist ge¬
wiß, daß in dem Haß gegen die Franzosen alle Parteien Mexico's überein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/537>, abgerufen am 29.06.2024.