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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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dringend auf, sich noch einmal an das mexikanische Volk zu wenden und es
zur Vertheidigung des Thrones aufzurufen. Fände dieser Aufruf nicht die
erwünschte Aufnahme, dann könne der Kaiser seine edle Mission als vollendet
ansehen und mit voller Ehre nach Europa zurückkehren, wo seiner bei der
Mißstimmung der Oestreicher gegen den Kaiser Franz Joseph noch eine
große Rolle warte. Daß diese Andeutung auf den abenteuerlichen Geist
Maximilians Eindruck machte, ist unzweifelhaft. Dazu kamen nun aber noch
die stürmischen Bitten der Ultramontanen, die jetzt ebenso in ihn drängten,
wie sie sich Anfangs geflissentlich und in böser Absicht von ihm zurückgezogen
hatten. Sie versprachen ihm Geld. Credit und Soldaten, soviel er deren
bedürfe, obgleich sie weder über das Eine noch über das Andere zu verfügen
hatten. Stärker jedoch als diese Versprechungen, deren Nichtigkeit doch allzu
offenbar war, wirkte die Hinweisung auf die Gefahren, die nach seiner Ab¬
reise über seine Anhänger hereinbrechen würden. Von allen diesen Ein¬
drücken bestimmt faßte Maximilian den Entschluß, auszuharren und einen
Aufruf an das mexikanische Volk zu erlassen.

Im französischen Hauptquartier, wo man über alle Schwierigkeiten hin¬
weg zu sein wähnte, war man über diese plötzliche Gesinnungsänderung
ebenso überrascht wie erbittert: nicht blos, weil man voraussah, daß die
durch die Ereignisse von Orizaba aufgeregte Stimmung des Volkes der
Concentration der noch vielfach zerstreuten französischen Truppen ernste Hin¬
dernisse in den Weg legen werde, sondern vor Allem, weil Maximilians
Hartnäckigkeit Napoleons mexikanische Politik durchkreuzte. Worauf diese
von uns im Allgemeinen bereits charakterisirte Politik hinauslief, ist deutlich
ausgesprochen in einer von Paris an das französische Commando ergangenen
Anweisung: "Wenn Maximilian abgedankt hat. wird es nöthig sein, einen
Congreß zu vereinigen, den Ehrgeiz der verschiedenen Disstdentenführer, die
im Felde stehen, gegen einander aufzustacheln und die republikanische Prä¬
sidentschaft demjenigen unter ihnen, Juarez allein ausgenommen,
zuzuwenden, der der Intervention die meisten reellen Vortheile zugestehen
wird." Leider hatte man indessen in Washington diesen Plan längst durch¬
schaut und das ganze Gewicht des nordamerikanischen Einflusses für Juarez
in die Wagschale geworfen. Das mußte die französische Diplomatie wissen,
und wußte sie es, so war es für sie das Klügste, die Hand sofort aus dem
Spiele zu ziehen, Amerika das Feld zu räumen und alle ihre Anstrengung
darauf zu verwenden, Maximilian einen ehrenvollen Rückzug zu erleichtern.
Statt dessen intriguirte man gegen ihn, setzte sich mit seinen Gegnern in
Verbindung, ließ den Schützling nicht blos im Stich, sondern verrieth ihn
geradezu an seine Feinde, und Alles das, um einem Schattenbilde nach¬
zujagen. Die Willkühr im Combiniren (um von der Unehrenhaftigkeit des


dringend auf, sich noch einmal an das mexikanische Volk zu wenden und es
zur Vertheidigung des Thrones aufzurufen. Fände dieser Aufruf nicht die
erwünschte Aufnahme, dann könne der Kaiser seine edle Mission als vollendet
ansehen und mit voller Ehre nach Europa zurückkehren, wo seiner bei der
Mißstimmung der Oestreicher gegen den Kaiser Franz Joseph noch eine
große Rolle warte. Daß diese Andeutung auf den abenteuerlichen Geist
Maximilians Eindruck machte, ist unzweifelhaft. Dazu kamen nun aber noch
die stürmischen Bitten der Ultramontanen, die jetzt ebenso in ihn drängten,
wie sie sich Anfangs geflissentlich und in böser Absicht von ihm zurückgezogen
hatten. Sie versprachen ihm Geld. Credit und Soldaten, soviel er deren
bedürfe, obgleich sie weder über das Eine noch über das Andere zu verfügen
hatten. Stärker jedoch als diese Versprechungen, deren Nichtigkeit doch allzu
offenbar war, wirkte die Hinweisung auf die Gefahren, die nach seiner Ab¬
reise über seine Anhänger hereinbrechen würden. Von allen diesen Ein¬
drücken bestimmt faßte Maximilian den Entschluß, auszuharren und einen
Aufruf an das mexikanische Volk zu erlassen.

Im französischen Hauptquartier, wo man über alle Schwierigkeiten hin¬
weg zu sein wähnte, war man über diese plötzliche Gesinnungsänderung
ebenso überrascht wie erbittert: nicht blos, weil man voraussah, daß die
durch die Ereignisse von Orizaba aufgeregte Stimmung des Volkes der
Concentration der noch vielfach zerstreuten französischen Truppen ernste Hin¬
dernisse in den Weg legen werde, sondern vor Allem, weil Maximilians
Hartnäckigkeit Napoleons mexikanische Politik durchkreuzte. Worauf diese
von uns im Allgemeinen bereits charakterisirte Politik hinauslief, ist deutlich
ausgesprochen in einer von Paris an das französische Commando ergangenen
Anweisung: „Wenn Maximilian abgedankt hat. wird es nöthig sein, einen
Congreß zu vereinigen, den Ehrgeiz der verschiedenen Disstdentenführer, die
im Felde stehen, gegen einander aufzustacheln und die republikanische Prä¬
sidentschaft demjenigen unter ihnen, Juarez allein ausgenommen,
zuzuwenden, der der Intervention die meisten reellen Vortheile zugestehen
wird." Leider hatte man indessen in Washington diesen Plan längst durch¬
schaut und das ganze Gewicht des nordamerikanischen Einflusses für Juarez
in die Wagschale geworfen. Das mußte die französische Diplomatie wissen,
und wußte sie es, so war es für sie das Klügste, die Hand sofort aus dem
Spiele zu ziehen, Amerika das Feld zu räumen und alle ihre Anstrengung
darauf zu verwenden, Maximilian einen ehrenvollen Rückzug zu erleichtern.
Statt dessen intriguirte man gegen ihn, setzte sich mit seinen Gegnern in
Verbindung, ließ den Schützling nicht blos im Stich, sondern verrieth ihn
geradezu an seine Feinde, und Alles das, um einem Schattenbilde nach¬
zujagen. Die Willkühr im Combiniren (um von der Unehrenhaftigkeit des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/536>, abgerufen am 29.06.2024.